Spielfilm

Eine fantastische Frau: Mit Kraft und Würde für das Recht auf Trauer

Von Axel Schock
Eine fantastische Frau Bild aus dem Film
In Eine fantastische Frau kämpft die trans* Frau Marina nach dem Tod ihres Geliebten Orlando gegen die Anfeindungen der Familie und um ihr Recht auf Trauer. Sebastián Lelios chilenisches Drama, das auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären und dem Teddy Award für den besten queeren Film ausgezeichnet wurde, ist ab dem 7. September im Kino.

Die ersten Minuten gehören Orlando (Francisco Reyes). Die Kamera zeigt den Endfünfziger bei der Arbeit, begleitet ihn in die Sauna und dann ins Restaurant, wo er mit seiner Geliebten deren Geburtstag feiert.

Stiller Kampf gegen Anfeindungen

Die gezeigte Vertrautheit dieser beiden Menschen, ihr fürsorglicher Umgang miteinander, auch als sie später zusammen Sex haben, erfüllen einen klaren Zweck. Zumindest die Zuschauer_innen sollen wissen, was später fast alle anderen Filmfiguren bezweifeln werden: dass Orlando und Marina sich geliebt haben, dass ihre Beziehung aufrichtig und ohne Berechnung war.

Denn nach kaum 15 Filmminuten ist Orlando tot. Mitten in der Nacht erleidet er eine Gehirnblutung, im Krankenhaus kann ihm nicht mehr geholfen werden. Den Rest des Filmes wird Marina nun damit beschäftigt sein, sich gegen Anfeindungen und Verdächtigungen, gegen Hass und Demütigungen zu wehren.

Eine trans* Frau und ein viel älterer Mann, und das Vorurteilskarussell dreht sich

Dieser oft im Stillen ausgetragene Kampf gegen Widerstände findet bereits auf dem Klinikflur statt. Denn Marinas Pass trägt noch ihren früheren Namen Daniel. Und nicht nur der behandelnde Arzt, sondern auch der Kommissar zieht voreilige, von Vorurteilen getriebene Schlüsse: Er vermutet ein Gewaltverbrechen hinter Orlandos Tod. Eine trans* Frau, die mit einem so viel älteren wohlhabenden Mann liiert ist? Da kann es doch nur um Prostitution und Ausbeutung gegangen sein.

Rache, blanker Hass und Gewalt

Für Orlandos Ex-Frau Sonia (Aline Küppenheim) und den gemeinsamen Sohn Bruno (Nicolás Savendra) wiederum ist nun endlich der Zeitpunkt gekommen, sich an dieser Person zu rächen, die ihnen vermeintlich den Vater und Ehemann genommen hat.

Sie fordern von Marina nicht nur, umgehend aus Orlandos Appartement auszuziehen und das Auto zurückzugeben, sogar der geliebte Hund wird ihr ungefragt einfach weggenommen.

Grausame Verweigerung von Trauer

Bei der anstehenden Beisetzung ist Marina ausdrücklich nicht erwünscht. Was könnte grausamer sein, als einer Trauernden den Abschied vom geliebten Menschen zu untersagen? Es ist zuletzt sogar blanker Hass, der Marina entgegenschlägt und selbst vor Gewalt nicht haltmacht.

Marinas Schweigen: Kein Zeichen von Ohnmacht

Marina erträgt dies alles mit stiller Würde. Sie widerspricht nicht, sie wehrt sich nicht. Immer wieder zeigt die Kamera ihr Gesicht in Großaufnahme. Mal lassen einen ihre schockstarren Augen frösteln, mal irritiert sie mit einem unbeugsamen Stolz in ihrem Blick.

Nicht jeder Kampf lohnt sich

Dass Marina schweigt, wenn Menschen ihr trans*-feindliche Sprüche entgegenschleudern, völlig distanzlos ihren Körper taxieren, sie bewusst mit „er“ anstatt mit „sie“ ansprechen oder – wie Orlandos Ex-Frau – als „Monster“ und „Chimäre“ bezeichnen, sollte aber nicht als Ohnmacht missgedeutet werden.

Denn Marina ist, wie der Filmtitel sagt, eine fantastische Frau. Sie kennt die Grenzen ihrer Kräfte und teilt sie deshalb sorgsam ein. Nicht jeder Kampf lohnt sich, und auch Widerworte kosten Kraft.

Eine fantastische Frau hält stand

Lelio findet dafür ein prägnantes Bild: Ein Sturm peitscht durch Santiago de Chile, reißt Äste von den Bäumen und Scheiben aus den Fenstern, und Marina stemmt sich mit aller Kraft gegen die Böen, von denen sie beinahe fortgetragen zu werden scheint.

Intensiv und einfühlsam inszeniert

Aber: Sie hält stand. Zugegeben, diese Szene ist von geradezu überdeutlicher Symbolik, aber fällt in diesem intensiven und einfühlsam inszenierten Film dennoch nicht unangenehm auf.

Das liegt insbesondere auch an der Hauptdarstellerin Daniela Vegas, selbst eine trans* Frau. Marinas innere Anspannung, ihre nur unter großer Mühe im Zaum gehaltene Wut und nicht zuletzt ihre unbewältigte Trauer, die man ihr schlicht verweigert – das alles spielt die charismatische Vega mit großer Souveränität und äußerster Zurückhaltung.

Silberner Bär für das beste Drehbuch

So umgibt damit diese Titelfigur bis zuletzt nicht nur etwas Geheimnisvolles, sondern sie wird zu einer dieser leidenschaftlichen und starken Frauengestalten, wie man sie aus Melodramen von Pedro Almodóvar kennt.

Auf der diesjährigen Berlinale wurde der Film nicht nur mit dem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch ausgezeichnet, sondern auch mit dem Teddy Award für den besten queeren Spielfilm. Die Jury würdigte damit die von Sebastián Lelio „mit Verständnis und Mitgefühl ausgestattete Geschichte“, mit er „die anhaltende Diskriminierung und die Marginalisierung von Transgender-Menschen auf der ganzen Welt beleuchtet“.

„Eine fantastische Frau“ („Una mujer fantástica“). Chile 2017, Regie Sebastián Leilo. Mit Daniela Vega, Francisco Reyes, Nicolas Saavedra, Francisco Reyes, Aline Küppenheim. 104 min., Kinostart: 7.9.

Trailer: http://eine-fantastische-frau.de/trailer.php

Webseite: http://eine-fantastische-frau.de/

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