Eine Kerze für die Freundin ohne Namen
Liebe … ach, mit deinem Namen darf ich dich selbst in diesem Brief nicht anreden, weil es deiner Tochter (und inzwischen auch deiner Enkelin) nicht schaden soll; auch 15 Jahre nach deinem Tod könnte ich dies nicht ausschließen. Also deshalb:
Liebe Freundin,
bei der Veranstaltung zum sogenannten „Drogentotengedenktag“ spielen sie in meiner Heimatstadt auf meinen Wunsch „Nehmt Abschied Brüder ungewiss…“ Ja, für mich wird es tatsächlich ein Abschied. Und so wandert mein Blick auch zurück. Weit zurück und GANZ weit zurück. Anlässlich des Gedenktages heißt „weit“ vor allem ins Jahr 2001.
Das Interesse der Leute für die Forderungen nach einer anderen Drogenpolitik war gering
Damals hatten wir die Idee, uns mit der damaligen JES-Gruppe am „Nationalen Gedenktag für die verstorbenen Drogengebraucher“ zu beteiligen. Mit Unterstützung der Aidshilfe hatten wir einen Stand in der Einkaufsstraße aufgebaut, legten dort Informationsmaterialien aus und versuchten Menschen direkt anzusprechen. Wir wollten erklären, weshalb jedes Jahr so viele unserer Freunde und Freundinnen starben. Wir beschrieben, wie eine andere Drogenpolitik aussehen könnte; wie die zaghafte Abkehr von der Repression und Prohibition in anderen Bundesländern erste Erfolge brachten. Das Interesse der Leute war eher gering. Die meiste Aufmerksamkeit erregte, als wir schwarze Luftballons mit Namensschildchen und/oder Fotos von Verstorbenen alle paar Minuten aufsteigen ließen. Mit den konkreten Forderungen wie Einrichtung von Drogenkonsumräumen, Originalstoffvergabe für Heroinsüchtige (ja, so deutlich sprachen wir das damals aus!), Erleichterungen des Zugangs und Ausweitung der Substitution, geschweige denn eine grundsätzliche Abkehr von der herrschenden Drogenpolitik – konnten die Wenigsten etwas anfangen. Und dann gab es ja auch noch so manchen bösen Kommentar, und ein paar üble Beschimpfungen mussten wir auch ertragen.
Es gab manch bösen Kommentar und üble Beschimpfungen
Wie viele andere hatten wir noch ein anderes Problem: Wegen HIV und Hepatitis waren unsere Lebensperspektiven nicht sonderlich gut, auch wenn es erste erfolgreiche Behandlungsformen gab. Schlimm empfand ich etwas anderes. Dir und vielen anderen Freunden und Bekannten war Folgendes wichtig: Ja, wir sind Menschen, die Drogen konsumieren; ja, wir hatten auch Zeiten von „problematischem Konsum“, aber bitte lasst auf keinen Fall nach außen dringen, dass wir HIV-infiziert sind. Klar, verstehen konnte ich dies gut – geradezu makaber empfand ich’s trotzdem.
Das Verständnis resultiert aus den Erfahrungen einer Zeit, die ich vorher mit „ganz weit zurück“ meinte. In den frühen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts endete abrupt unser manchmal recht sorgloser Umgang mit „unseren“ Drogen. Da starben plötzlich viele nicht wie bis dato üblich an versehentlicher oder gewollter Überdosierung, sondern eine rätselhafte Krankheit mit unterschiedlichen Symptomen breitete sich aus. Relativ schnell bekam sie einen Namen: AIDS. Wir hatten Angst, uns damit zu infizieren und zu erkranken. Aber noch größer war eine andere Angst: ausgegrenzt und diskriminiert zu werden. Und diese Angst hatten wir gemein mit denjenigen, die in noch viel größerem Maß von dieser Krankheit betroffen waren: mit schwulen Männern.
Die Angst vor Aids brachte schwule Männer und Drogengebrauchende zusammen
Der gemeinsame Kampf gegen Aids brachte Gruppen – heute sagt man „communities“- zusammen, die davor nicht allzu viel miteinander zu tun hatten. Eigentlich merkwürdig – hatten doch beide Gruppen ähnliche Formen von Stigmatisierung, Diskriminierung, ja sogar Kriminalisierung erfahren und erleben müssen. Es waren harte Kämpfe, aber wir haben doch viele Erfolge erzielt. Stigmatisierung und Diskriminierung auf Grund einer HIV-Infektion mag noch nicht restlos beseitigt sein. Zu seiner sexuellen Orientierung kann sich heute im Prinzip jeder und jede bekennen, wie die zahlreiche Beteiligung an den „Christopher-Street-Day“-Veranstaltungen und deren Unterstützung durch Prominenz aus Politik und Kultur zeigen; eine Kriminalisierung deswegen gibt es nicht mehr. Es ist schon grotesk, dass dies für uns Drogen gebrauchende Menschen leider bis heute noch immer nicht gilt. Vielleicht liegt’s daran, dass jene „nur“ gegen einen Paragraphen (den § 175) kämpfen mussten, wir aber gegen ein ganzes Sonder-Gesetz (das „Betäubungsmittelgesetz“).
Sogar in Übersee haben sich viele Initiativen angeschlossen
Aber ich will dir ja auch von den Erfolgen berichten. Inzwischen heißt der 21. Juli „Internationaler Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende“, und wir, die Aktivisten und Aktivistinnen, sind mächtig stolz, dass an diesem Tag nicht nur in Deutschland in zahlreichen Städten und Gemeinden an die Opfer der Prohibition erinnert wird, sondern dass sich in Europa und sogar in Übersee viele Initiativen angeschlossen haben.
Ein breit aufgestelltes Aktionsbündnis
In unserer Stadt konnte ich zwei Jahre nach unserer ersten Aktion ein „Aktionsbündnis“ zusammenbringen, das in seiner breiten Aufstellung einzigartig ist. Dazu gehören die Aidshilfe, die Elterngruppe LEDRO, die Caritas, der Drogenhilfeverein Release, der Verein „Die Brücke“ und die Frauen-Suchtberatungsstelle LAGAYA. Ohne dieses Aktionsbündnis hätten wir bei uns den Gedenktag nicht so etablieren und jedes Jahr in unterschiedlichen Formen begehen können. Ein Gottesdienst und die Luftballonaktion gehören als fester Bestandteil immer dazu. Obwohl es immer wieder innerhalb des Bündnisses auch Differenzen und kleinere Reibereien gab, besteht es nun seit 15 Jahren. Ich gebe zu, darauf ein bisschen stolz zu sein. Schön ist auch, dass es seit einigen Jahren an dem vom Aktionsbündnis gepflanzten „Gedenkbaum“ eine Stahlplatte gibt, auf der an die Verstorbenen erinnert und das Recht von Drogengebrauchenden auf eine menschenwürdige Behandlung eingefordert wird.
Und welche Erfolge hatten wir noch? Wir haben alle politischen Ebenen von der Bezirksbürgermeisterin bis zur Landtagspräsidentin, von den Grünen bis zur CDU für Schirmherrschaften gewonnen, durch die unsere Anliegen immer wieder zur Sprache gebracht werden. Substitution, inklusive Diamorphin („Heroin“) als weiteres Mittel, ist heute unumstritten, sogar die gewünschten Verbesserungen in der alltäglichen Vergabepraxis sind inzwischen umgesetzt.
Die Mauer der Ablehung war eher aus Gummi
Lange ist unsere Forderung verhallt, hier in unserer Stadt endlich dem Beispiel vieler anderer Städte zu folgen und einen Drogenkonsumraum einzurichten. Jedes Jahr haben wir sie am 21. Juli immer wieder erhoben – die Mauer der Ablehnung war dabei weniger aus Beton, eher aus Gummi. Richtig stichhaltige, überzeugende Argumente dagegen gab es nicht, stets ein Ja-Aber. Um so schöner finde ich, dass es vor ein paar Tagen gelungen ist, mit den Ergebnissen eines zweijährigen Partizipations-Forschungsprojekts die Mehrheit im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kommunalparlaments zu überzeugen: Es wird einen Drogenkonsumraum geben,und die nötigen Vorarbeiten laufen bereits. Mir ist es deshalb eine besondere Freude, am diesjährigen Gedenktag davon berichten zu dürfen.
Es wird einen Drogenkonsumraum geben
So schließt sich nun in dieser Hinsicht tatsächlich ein Kreis. Zum Ende kommt der größte Erfolg. Schade, dass du ihn nicht mehr erleben durftest. Und kurios bleibt, dass man sich heute – genau anders als damals in der Zeit deines Engagements – als HIVler nicht mehr verstecken muss. Wenn ich mich aber als Drogen gebrauchender Mensch präsentieren würde, wäre ich weiterhin fast überall diskriminiert und müsste gar Strafverfolgung fürchten. Also in diesem Sinn: Es gibt noch viel zu tun.
Beim diesjährigen Gedenkgottesdienst werde ich wie jedes Jahr an dich, liebe Freundin, denken und ein Kerze für dich anzünden.
Dein
Roland Baur
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