„Auch Sexarbeit ist Arbeit“
„Es mag zwar kein ehrenwerter Beruf sein“, sagt Aying, „aber immerhin fühle ich mich jetzt frei.“ In ihrer chinesischen Heimat sei sie „eine ganz gewöhnliche Hausfrau“ gewesen. Um familiären Problemen zu entkommen, ist sie nach Frankreich emigriert.
Frankreich war für sie das Land ihrer Träume: demokratisch und offen. Doch anders als erhofft konnte sie ohne Papiere und Sprachkenntnisse keinen Job finden – weder, wie geplant, in der Gastronomie noch anderswo. Notgedrungen wurde sie Sexarbeiterin.
Mehrfache Marginalisierung
Aying ist eine von fünf Protagonist_innen des Dokumentarfilms „Crossings – Stories of Migrant Sexworkers“: vier Frauen und ein Mann, die fern ihrer Heimat in Europa der Prostitution nachgehen.
In dem vom International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe gemeinsam mit regionalen Selbsthilfeorganisationen produzierten Film erzählen sie von ihrem Weg zur Sexarbeit, von ihrem Alltag und von den allgegenwärtigen Drangsalierungen und Diskriminierungen, die sie als mehrfach marginalisierte Menschen erfahren.
Zum Beispiel Rada: Sie verdient bereits seit 15 Jahren den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn mit Sexarbeit. In Serbien hat sie als Romni keine Chancen auf eine regelmäßige Arbeit. Ihr Gesicht mag sie nicht zeigen.
„Statt den Frauen zu helfen, hilft die Polizei Vergewaltigern und Kriminellen“
Denn ein neues Gesetz verbietet inzwischen Prostitution in Serbien, was auch bedeutet, dass Frauen wie Rada ihren Freiern (und nicht nur ihnen) gegenüber faktisch wehrlos sind.
„Da die Polizei nun unser Feind ist: An wen sollen wir uns wenden, wenn ich als Sexarbeiterin vergewaltigt werde? Und an wen sollen sich die Opfer von Menschenhandel werden?“, fragt Rada. „Statt den Frauen zu helfen, helfen sie Vergewaltigern und Kriminellen“, kritisiert sie die Polizei.
Notgedrungen ist Rada nach Österreich gegangen. Die dort verpflichtenden Gesundheitschecks empfindet sie zwar als entwürdigend – „Warum kann nicht jeder für seine Gesundheit selbst verantwortlich sein?“ –, doch dort kann sie wenigstens mit Sexarbeit legal ihr Geld verdienen.
Veränderte Gesetzeslagen
Auch in Frankreich hat sich die Gesetzeslage verändert. Seit nach schwedischem Modell Freier bestraft werden können, hat sich die Prostitution fast gänzlich von der Straße ins Internet verlagert.
Für Frauen wie Aying mit schlechten Sprachkenntnissen führt dies zu neuen Abhängigkeiten: Sie sind nun auf Vermittler_innen angewiesen.
Ihre Freiheit und Eigenständigkeit, die Aying in Frankreich gefunden zu haben glaubte, schrumpft immer weiter zusammen.
Mittlerweile traut sie sich kaum mehr auf die Straße, aus Angst, zufällig in eine Routinekontrolle der Polizei zu geraten und abgeschoben zu werden. Diese Angst folgt ihr bis in die Träume.
Die Hoffnung auf ein besseres Leben, Enttäuschungen und Notlagen, aber auch vielfältige Formen von Gewalt und Diskriminierung ziehen sich wie Leitmotive durch die Biografien der fünf Sexarbeiter_innen.
Die Ukrainerin Albina etwa berichtet, wie die Polizei ihre Stellung ausnutzt und von den Sexarbeiter_innen Schmiergeld verlangt oder sexuelle Dienstleistungen erpresst.
„Sexarbeit ist für viele von uns der einzige Weg, um zu überleben“
Sabrina hat Mexiko verlassen, weil dort trans* Personen wie sie um ihr Leben fürchten müssen. „Sexarbeit ist für viele von uns der einzige Weg, um zu überleben“, sagt sie.
Doch auch in ihrer Wahlheimat Spanien erlebt die Mittdreißigerin Drangsalierungen und Transfeindlichkeit.
Auch wenn in der von Istvan Takacs Gabor und Peter Sarosi gedrehten Dokumentation lediglich fünf Personen beispielhaft zu Wort kommen, decken diese doch ein enormes Spektrum an Lebenswelten, Beweggründen für Migration und Sexarbeit sowie Erfahrungen in diesem Beruf und als Menschen in einem anderen Land ab.
Zwischen Danny, dem 22-jährigen muslimischen Geflüchteten in Norwegen, der über einen Fotomodel-Job in der Sexarbeit gelandet ist und hofft, irgendwann eine Familie gründen zu können, und Ayina oder Sabrina liegen nicht nur geografisch Welten.
Während der eine sich legal im Land aufhalten darf und nur für sich selbst sorgen muss, ist die andere stets von der Abschiebung bedroht oder von nackten Existenzängsten geplagt.
Und doch verbindet sie mehr als nur die Tatsache, dass sie Sex für Geld anbieten.
Nicht aufgeben, sondern für die eigenen Rechte kämpfen
Zum Beispiel, sich nicht mit der Situation zufriedenzugeben. Ayina etwa engagiert sich in der Organisation „Roses d’Acier“ (Rosen aus Stahl) von und für chinesischstämmige Sexarbeiter_innen in Frankreich. Hinter Masken geschützt fordern sie auf einem Demonstrationszug ein Ende der Diskriminierung und skandieren „Auch Sexarbeit ist Arbeit“.
Sabrina hingegen kann Gesicht zeigen. Auf einer Pressekonferenz der spanischen Sexarbeiter_innen-Gewerkschaft OTRAS erinnert sie nicht nur an ermordete Kolleg_innen, sondern macht noch einmal deutlich, dass sie und ihre Mitstreiter_innen nicht aufgeben werden, für ihre Rechte und ihre Würde zu kämpfen.
Der rund 45-minütige Film „Crossings“ liegt mit englischen Untertiteln vor. Weitere Sprachversionen sind in Arbeit. Die Doku eignet sich ideal als Basis für Informations- und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Sexarbeit und kann für diese Zwecke kostenfrei gezeigt werden. Mehr Informationen dazu sowie der Trailer zum Film sind auf der Website www.crossingsmovie.org zu finden.
In Berlin wird Crossings am 24.7. um 20 Uhr (Einlass: 19:30) im Hydra Café in der Hermannstr. 18 gezeigt. Anschließend kann über den Film diskutiert werden. Für Snacks und Kinderbetreuung ist gesorgt.
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