Armut und HIV

Frau, alleinerziehend, HIV-positiv

Von Frauke Oppenberg
Frau mit Kind
Dieses Symbolfoto sagt nichts über den HIV-Status der Personen aus.
Die HIV-Infektion ist vor allem für Frauen ein Armutsrisiko. Das belegen die bei der Deutschen AIDS-Stiftung gestellten Anträge auf Einzelfallhilfe.

Ein neues Bett, ein Schrank, Ersatz für die kaputte Waschmaschine, Unterstützung bei der Kaution für eine neue Wohnung. Ralf Pütz klickt sich durch die Fälle in seinem Computer. Er ist Leiter der Abteilung Mittelvergabe bei der Deutschen AIDS-Stiftung (DAS). Seit 1987 kümmert sich diese um HIV-positive Menschen in prekären Situationen. Im vergangenen Jahr haben Ralf Pütz und seine Mitarbeiter über 400.000 Euro verteilt.

Die sogenannte Einzelfallhilfe macht etwa ein Drittel der Ausgaben der DAS aus. Vor allem bei größeren Anschaffungen für die Wohnung hilft die Stiftung, aber häufig auch bei der medizinischen Versorgung, wenn Zuschüsse für Brillen oder Zahnersatz fehlen oder das Sozialamt besondere Bedürfnisse nicht nachvollziehen kann.

„Wir haben da ein bisschen mehr gegeben als üblich“

„Das hier zum Beispiel ist ein Klassiker“, meint Ralf Pütz mit Blick auf seinen Bildschirm, auf dem er einen der rund 2.000 Fälle des vergangenen Jahres aufgerufen hat. „Eine 53-jährige Frau, bezieht Erwerbsminderungsrente, leidet an Osteoporose, hat sich bei einem Sturz mehrere Wirbel angebrochen“, fasst er die Eckdaten zusammen. „Offensichtlich hat ihr das Tippen des Antrags schon Mühe bereitet. Wir haben da ein bisschen mehr gegeben als üblich.“ 300 Euro für eine spezielle Matratze hat diese Frau aus dem Topf der DAS erhalten.

HIV ist vor allem für Frauen ein Armutsrisiko. Erstmals in der fast 30-jährigen Geschichte der Stiftung haben im Jahr 2014 mehr Frauen als Männer finanzielle Hilfe bei der DAS gesucht. Dabei liegt der Anteil der Frauen an den HIV-Infizierten in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts seit Jahren konstant bei etwa 20 Prozent.

Dass überproportional viele von ihnen Unterstützung brauchen, erstaunt Ralf Pütz allerdings nicht. „Frauen mit HIV sind aus verschiedenen Gründen bei der Jobsuche eingeschränkt“, erklärt er. „Sie haben wegen der Infektion Lücken im Lebenslauf, sind oft körperlich nicht so belastbar, und wenn sie dann einen Job finden, ist er meist schlecht bezahlt.“ Zudem seien sie vielfach Mütter und nicht nur für sich selbst verantwortlich. Vollzeit zu arbeiten, sei für viele daher gar nicht möglich.

„Sie legen viel Wert darauf, dass es vor allem ihren Kindern gut geht“

Von den Frauen, die im vergangenen Jahr bei der DAS einen Hilfeantrag gestellt haben, sind mehr als die Hälfte alleinerziehend. „Sie legen viel Wert darauf, dass es vor allem ihren Kindern gut geht. Das sehen wir an der Art der Antragsgegenstände wie zum Beispiel Kinderfahrräder oder Schulausstattung“, analysiert Ralf Pütz.

Barbara, 56: Nur einmal brauchte sie Geld für sich – als Zuschuss für ein Auto, das sie, streng genommen, auch nur kaufen wollte, um ihre Tochter zur Ergotherapie zu fahren. Alle anderen Anträge, die sie in den vergangenen Jahren an die Deutsche AIDS-Stiftung gestellt hatte, waren ausschließlich nötig, um ihrem Kind ein annähernd normales Leben zu ermöglichen. Ihre Tochter ist in der Entwicklung verlangsamt, geht heute auf eine Förderschule in Dortmund. Barbara fährt sie jeden Tag 25 Kilometer hin und zurück. Ihren Vater hat die 15-Jährige nicht kennengelernt, er starb kurz vor ihrer Geburt an den Folgen von Aids.

Barbaras HIV-Infektion wurde im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge diagnostiziert. Da waren ihre Werte schon schlecht. Sie hatte offene Wunden, die nicht verheilen wollten, nahm innerhalb von drei Monaten 38 Kilo ab. Die Spätfolgen aus dieser schweren Zeit merkt die Witwe heute noch. „Ich bin immer schlapp und habe keine Ausdauer“, erzählt sie. „Acht Stunden am Tag zu arbeiten, könnte ich körperlich gar nicht durchhalten.“ Sie bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente und geht nebenbei noch putzen, um bloß nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Und auch die Anträge auf Einzelfallhilfe bei der DAS sind ihr nicht leicht gefallen, gesteht Barbara: „Ich würde nicht fragen, wenn es nicht sein müsste.“

„Ich würde nicht um Einzelfallhilfe fragen, wenn es nicht sein müsste“

Viermal im Jahr fährt sie zu den Treffen von XXelle, einem Netzwerk der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und HIV/Aids in Nordrhein-Westfalen. Hier findet sie Frauen, denen es ähnlich geht wie ihr. „Mein Bekanntenkreis ist klein geworden“, erzählt die 56-Jährige, „aber auf die, die übrig geblieben sind, kann ich zählen“. Viele der Frauen in Barbaras Umfeld sind Migrantinnen und haben mehr als ein Kind, um die sie sich alleine kümmern. Diese Frauen haben noch weniger Chancen, Arbeit zu finden und ohne finanzielle Unterstützung auszukommen, weiß Barbara.

Vor allem in den Städten sind es in erster Linie HIV-positive Frauen mit Migrationshintergrund, die in prekären Situationen leben. „Wegen der sprachlichen Schwierigkeiten gibt es wenig Eigeninitiative“, berichtet Indra Mechnich von der Aidshilfe Bochum. Die Frauen wüssten deshalb oft nicht, an wen sie sich wenden können. Aber auch Alleinerziehende mit deutschen Wurzeln würden oft nicht versuchen, Hilfsangebote, zum Beispiel vom Jugendamt, in Anspruch zu nehmen. Der Grund, so Indra Mechnich, sei „die Angst, das Kind zu verlieren“.

Und so ist die Deutsche AIDS-Stiftung Anlaufstelle Nummer eins geworden, wenn es um finanzielle Unterstützung geht. Das könnte zumindest in Nordrhein-Westfalen auch ein Ergebnis der guten Arbeit von XXelle sein, sagt Annette Ritter, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen und HIV/Aids in NRW. „Wir erreichen mittlerweile mehr als ein Drittel der Frauen mit HIV“, berichtet die langjährige Mitarbeiterin der Aidshilfe Münster und vermutet hier einen Zusammenhang mit den gestiegenen Anträgen auf Einzelfallhilfe: „Dass Frauen besonders von Armut betroffen sind, war ja schon immer so.“

Anna* hatte das erste Mal einen Antrag bei der Deutschen AIDS-Stiftung gestellt, als es noch die D-Mark gab. Mitte der Neunzigerjahre lebte sie in Berlin und erfuhr im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge von ihrer HIV-Infektion. „Ich habe mich nicht mal getraut, in die Apotheke zu gehen und dort die Medikamente zu kaufen“, erinnert sie sich. „Ich habe alle Freundschaften damals abgebrochen, damit ich keinem von der Infektion erzählen muss.“

„Ich muss halt alles alleine wuppen“

Bei der Berliner Aids-Hilfe fand sie Unterstützung und bekam den Tipp, finanzielle Hilfe bei der Deutschen AIDS-Stiftung zu suchen. Bis heute ist sie immer wieder auf die Einzelfallhilfe angewiesen: für eine neue Waschmaschine, einen Schrank oder Bekleidung für den Sohn. Die Weihnachtsbeihilfe der DAS nimmt sie jedes Jahr in Anspruch. Achtzig Euro sind es, die formlos beantragt werden können. „Davon kaufe ich grundsätzlich einen Weihnachtsbaum und bastle einen Adventskalender für meinen Jungen“, erzählt Anna. Ohne die finanzielle Unterstützung der Stiftung wäre das nicht möglich. Dabei hat sie zwei Minijobs – bei einem Pflegedienst und als Putzhilfe – und bekommt Sozialhilfe. „Ich muss halt alles alleine wuppen“, sagt die Alleinerziehende, „mit den Jahren gewöhnst du dich daran“.

Vor zwölf Jahren hat Anna gedacht, dass es anders werden könnte – dass sie nicht mehr auf sich allein gestellt sein müsste. Für die vermeintlich große Liebe ist sie aus Berlin in eine Kleinstadt gezogen. Aber das Glück hielt nur ein paar Jahre. Der Mann hat sie betrogen und nach der Trennung ihre HIV-Infektion in der Nachbarschaft publik gemacht. „Die Leute haben mich dann blöde angeguckt, und ich habe mich gar nicht mehr aus dem Haus getraut“, erzählt Anna von der Zeit nach ihrem unfreiwilligen Outing.

Die psychische Belastung dieser Zurückgezogenheit wiegt über die Jahre immer schwerer, und als sie nach einem Unfall im vergangenen Jahr nicht mal mehr ein Auto hat, um ihrer Isolation wenigstens zeitweise entfliehen zu können, bricht Anna zusammen. Sie wird mit einer Psychose ins Krankenhaus eingeliefert. „Da ist alles eingekracht, was mir auf der Seele lag“, blickt die 38-Jährige zurück. „Und mir hat keiner geholfen, dort wieder rauszukommen. Dabei wollte ich nur wieder normal sein“. Sie hat darüber nachgedacht, wieder nach Berlin zu ziehen, aber ihr Sohn hat gerade eine Ausbildung begonnen und seine Bedürfnisse gehen für Anna vor. „Für ein Kind ist es ja ideal, auf dem Land groß zu werden.“

„Da ist alles eingekracht, was mir auf der Seele lag“

„Frauen stecken Stigmatisierung anders weg als Männer“, weiß Hortense Lademann von der Aidshilfe in Potsdam, „sie machen sich einfach mehr Gedanken und sind dadurch seelisch stärker belastet“. Auch sie betreut vor allem Migrantinnen und Alleinerziehende. „Diese Frauen brauchen eine intensivere Betreuung“, weiß die Sozialarbeiterin. Dabei ist gerade in ländlichen Regionen eine HIV-Infektion für Frauen ein besonders großer Makel. Leben sie dazu noch in prekären Verhältnissen, ziehen sie sich nicht selten zurück, sagt auch Manuela Brandt von der Aidshilfe Westmünsterland in Ahaus. „In der Regel quälen diese Frauen große Schuldgefühle. Es ist wichtig, sie aus ihrer Isolation zu holen“, sagt sie. „Wir müssen ihnen Angebote zur Verfügung stellen, die ihre Individualität berücksichtigen.“

Ralf Pütz hat das bei jeder der über 1.100 Frauen getan, die im vergangenen Jahr bei der DAS einen Einzelfallantrag gestellt haben. „Die Situationen, in denen sich die Frauen befinden, sind so vielgestaltig wie das Leben nun mal ist“, sagt er. „Die typische HIV-positive Frau, die Hilfe braucht, gibt es nicht.“

Von Frauke Oppenberg

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