„Gleichbehandlung ist ein Gewinn für uns alle“
Frau Lüders, die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) 2006 gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft. Was ist seither erreicht worden?
Christine Lüders: Für uns ist ganz entscheidend, dass die Menschen für Diskriminierung sensibilisiert worden sind. Eine Stellenanzeige wie „Junge hübsche Sekretärin gesucht“ wird es heute sicherlich nicht mehr geben. Wenn Mitbürgern mit Migrationshintergrund die Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter oder Menschen wegen ihrer sexuellen Identität eine Wohnung verweigert wird, nehmen sie das nicht mehr so einfach hin. Es gibt viele solcher kleinen Beispiele, die zeigen, dass das Gesetz angekommen ist und es vorangeht, auch wenn noch viel passieren muss.
Wo gibt es Ihrer Ansicht nach am meisten Handlungsbedarf?
Sich gegen Diskriminierung zur Wehr zu setzen, ist kompliziert, und Betroffene haben dafür nur zwei Monate Zeit. Sie müssen eine Diskriminierung konkret nachweisen. Und: Sie müssen das alleine tun. Sie müssen sich einen Anwalt suchen, gegen ihren Arbeitgeber vorgehen – und tragen das Prozessrisiko alleine. Das ist in meinen Augen ein großes Problem. Besser wäre ein Klagerecht für Verbände – und die Möglichkeit für uns als Antidiskriminierungsstelle, Musterprozesse anzustrengen.
Das sind Stellen, an denen gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Doch auch gesellschaftlich hapert es noch an vielem. Zunächst einmal daran, dass Menschen einfach Vorurteile haben. Es ist ja nicht so, dass Menschen immer vorsätzlich diskriminieren. Aber es gibt oft einfach Haltungen, die über Sozialisierungsprozesse angeeignet und nicht abgelegt wurden: seien es Formen von Homophobie oder Rassismus oder dass die Geschlechter nicht als gleichwertig wahrgenommen werden, etwa wenn es um die Bezahlung von Frauen in der Arbeitswelt geht. Es hat sich zwar bereits vieles im öffentlichen Bewusstsein geändert, aber es gibt immer noch Vorurteile, und diese Vorurteile müssen wir bekämpfen. Und daran arbeiten wir ja auch.
Fehlendes Klagerecht für Verbände
Welche Möglichkeiten haben Sie dazu als Antidiskriminierungsstelle?
Die haben wir zum Beispiel im Forschungsbereich und durch Öffentlichkeitsarbeit. Die Bevölkerung muss natürlich darüber aufgeklärt werden, was Diskriminierung eigentlich ist, und wie sie sich dagegen wehren kann. Dafür ist die Beratung wichtig. Wir bemühen uns darum, dass es in möglichst allen Bundesländern eigene Antidiskriminierungsstellen gibt, bei denen die Menschen Rat und Hilfe bekommen können. Und natürlich kann man sich auch direkt an uns wenden.
Wie können Sie denjenigen eigentlich helfen, die sich mit einem Anliegen an die Antidiskriminierungsstelle wenden?
Etwa 16.000 Menschen haben sich über die Jahre hinweg an uns gewandt. Wir schätzen jeden einzelnen Fall juristisch dahingehend ein, inwieweit eine Diskriminierung vorliegt. Wenn beispielsweise ein Unternehmen einen Menschen offensichtlich diskriminiert, können wir eine Stellungnahme einfordern. Das allein zeigt oft schon große Wirkung. Meist gibt es dann schnell gütliche Einigungen. Andere hingegen müssen ihr Recht erst vor Gericht erstreiten. Bei diesem Schritt können die Hilfesuchenden dann aber nicht mehr von uns begleitet werden. Jeder Fall, der vor Gericht kommt, ist dennoch wichtig für uns, weil mit diesen Urteilen Richtungsweisendes geklärt wird. Darauf können sich dann viele andere in ähnlicher Situation berufen.
Direkte Hilfe für Opfer von Diskriminierung
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ahndet Diskriminierungen aufgrund von Alter, Behinderung und chronischen Krankheiten, aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft sowie der Religion beziehungsweise Weltanschauung. Gibt es Zahlen darüber, welchen Anteil die unterschiedlichen Formen von Diskriminierung einnehmen?
Die Fälle, mit denen wir es in der Antidiskriminierungsstelle in den zurückliegenden zehn Jahren konkret zu tun hatten, betrafen zu 27 Prozent Diskriminierungen von Menschen mit Behinderung, zu jeweils 23 Prozent ging es um rassistische und um Geschlechterdiskriminierung, 20 Prozent der Fälle betrafen Altersdiskriminierung und jeweils etwa 5 Prozent der Betroffenen wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise ihrer Religion und Weltanschauung diskriminiert.
Diese Zahlen kann man allerdings nicht repräsentativ auf das ganze Land übertragen. Fundierte bundesweite Erhebungen fehlen bislang. Durch eine von uns in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage wissen wir, dass jeder Dritte schon einmal Diskriminierungserfahrungen gemacht hat. Was aber positiv ist: 60 Prozent dieser Menschen haben sich auf die eine oder andere Weise, also nicht unbedingt auf juristischem Wege, gegen die Diskriminierung gewehrt.
Bislang rund 50 Fälle von Diskriminierung wegen HIV
Haben sich auch Menschen an Ihr Haus gewandt, weil sie wegen ihrer HIV-Infektion diskriminiert wurden?
Ja, wir hatten bislang rund 50 solcher Fälle. Probleme gab es hauptsächlich am Arbeitsplatz – bis hin zu Kündigungen. Oft sind Unerfahrenheit im Umgang mit HIV-Positiven und unbegründete Ängste vor einer Infektion Ursache für dieses diskriminierende Verhalten. Auch da gibt es noch viel zu tun, damit HIV in der Arbeitswelt nicht mehr tabuisiert wird.
Menschen mit HIV, aber auch Transgender und Intersexuelle sind vergleichsweise kleine Bevölkerungsgruppen, die deshalb sehr leicht übersehen werden.
50 Fälle von Diskriminierung wegen HIV mag sehr wenig erscheinen, auch hier ist diese Zahl keineswegs repräsentativ. Wir wissen, dass es wesentlich mehr Fälle gibt, allerdings wollen oder können die Betroffenen darüber nicht immer sprechen – aus Angst, weiter ausgegrenzt oder geächtet zu werden. Als Antidiskriminierungsstelle haben wir deshalb auch die Aufgabe, diese Form der Diskriminierung offen anzusprechen, und das tue ich auch, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet.
Neben Beratung und Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den gesetzlichen Aufgaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auch die Forschung. Was bedeutet das konkret?
Wir geben sowohl Umfragen in Auftrag als auch Studien, und wir veranstalten Fachkongresse, zuletzt unter anderem zu Diskriminierungsrisiken von Transgender und intersexuellen Menschen. Unser Jahresthema 2017 wird die Diskriminierung wegen der sexuellen Identität sein, das wir unter anderem mit Aktions- und Fachtagen in der Öffentlichkeit gezielt herausstellen werden. Darüber hinaus ist auch ein Forschungsprojekt geplant, das die Einstellung der Bevölkerung gegenüber nichtheterosexuellen Menschen untersuchen wird. Einen unserer schönsten Erfolge hatten wir übrigens bei der Frage der Rehabilitierung und Aufhebung der Urteile nach Paragraf 175 …
… der in der BRD bis 1969 homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte und selbst nach 1945 noch zu über 50.000 Verurteilungen führte.
Wir hatten dazu den Verfassungsrechtler Prof. Dr. Martin Burgi um ein Rechtsgutachten gebeten. Dieses hat ganz klar gezeigt, dass die Urteile menschenrechtswidrig sind und die Bundesregierung angehalten ist, sie aufzuheben. Ich bin sehr glücklich darüber, dass Justizminister Heiko Maas nun einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg bringen will und wir dazu einen wichtigen Anstoß geliefert haben.
2017 ist das Themenjahr zu nichtheterosexuellen Lebensweisen
Als das Gleichbehandlungsgesetz vor zehn Jahren beschlossen wurde, gab es einigen Widerstand unter anderem aufseiten der Arbeitgeber und der Wohnungswirtschaft. Sie befürchteten Klagewellen von abgewiesenen Arbeits- beziehungsweise Wohnungssuchenden.
Es gab in der Tat die Angst vor immensem bürokratischen Mehraufwand und davor, dass Menschen das Gesetz missbrauchen und eine Klageflut lostreten könnten. Doch nichts davon ist eingetreten. Seit wir kürzlich Verbesserungsvorschläge für das Gesetz formuliert haben, wird wieder mit den gleichen Horrorszenarien und mit teilweise völlig falschen Zitaten und Zahlen hantiert. Ich kann da nur noch einmal betonen: Keine unsere Forderungen greift in irgendeiner Weise in die unternehmerische Freiheit ein.
Wir erleben derzeit ein durch konservative und rechtspopulistische Kräfte angetriebenes Rollback in der Gesellschaft, das insbesondere zu Lasten von Minderheiten geht. Wirkt sich die Stimmung auch auf Ihre Arbeit aus? Erfährt Ihr Einsatz für benachteiligte, diskriminierte Menschen möglicherweise verstärkt Kritik?
Ach, wissen Sie, wenn Sie Antidiskriminierungsarbeit machen, befinden Sie sich immer im Fokus und zugleich zwischen den Stühlen. Mich interessiert nur, wie die Opfer besser geschützt werden können. Und das kann nur in unser aller Interesse sein. Denn jemand, der nicht diskriminiert wird, ist zum Beispiel am Arbeitsplatz viel motivierter und letztlich auch produktiver. Umgekehrt erschwert Diskriminierung ganz sicher die Integration von Menschen.
Durch die Flüchtlingssituation wird die Integration von Migrant_innen zu einer der größten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben.
Auch auf die Antidiskriminierungsstelle kommt in diesem Zusammenhang eine Menge Arbeit zu, gerade wenn Flüchtlinge jetzt in Arbeit kommen und auf Wohnungssuche gehen.
Wir sind hier aufgefordert, sie über ihre Rechte aufzuklären, und müssen eng mit den Beratungsstellen und Flüchtlingsräten zusammenarbeiten. Je besser das funktioniert, desto besser für uns alle. Die Angst vor Fremden ist da, das können wir nicht leugnen, und wir sehen, wie die AfD mit populistischen und Angst machenden Szenarien Stimmen abfängt. Ich denke aber, dass die Mehrheitsgesellschaft insgesamt ein gutes Gespür dafür hat, welchen Wert sowie sozialen und gesellschaftlichen Gewinn die Gleichbehandlung von Menschen für uns alle bringt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Am 27. September 2016 feiert die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das zehnjährige Bestehen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes mit einem Festakt. Am 27. Oktober 2016 wird die ADS auf einem Fachtag mit anderen Expert_innen über Verbesserungsmöglichkeiten beim AGG diskutieren.
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