Drogenkonsument_innen haben oft andere Probleme, als zum Gesundheitscheck zu gehen. Viele von ihnen kümmern sich aber aufopferungsvoll um ihren Hund. Die Deutsche AIDS-Hilfe macht ihnen ein besonderes Angebot: Während ein_e Veterinär_in kostenlos den Vierbeiner versorgt, bekommt der Mensch die Gelegenheit für einen HIV-Test samt Beratung.

Das Projekt „Hund und Herrchen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt von Deutscher AIDS-Hilfe, Stiftung SPI, Kontaktladen enterprise, Berliner Aids-Hilfe und dem Projekt Hunde-Doc im Rahmen der Kampagne „Kein AIDS für alle!“.

Man sieht ihr das Alter nicht auf den ersten Blick an. Ein paar graue Haare ziehen sich zwar durch ihr hellbraunes Fell. Die zu erkennen, fällt aber schwer, denn Jumper ist ständig in Bewegung. Die Hundedame schnüffelt neugierig an dem umgebauten Krankenwagen, begrüßt freudig die Tierärztin Jeanette Klemmt und rennt dann wieder zurück zu ihrem Herrchen Bernd.

Der 44-Jährige ist heute mit Jumper hergekommen, um sie in der mobilen Tierarztpraxis untersuchen zu lassen. Das Projekt „Hunde-Doc“ behandelt Tiere von bedürftigen Menschen wie Obdachlosen, Drogenkonsument_innen oder Straßenkids. Bernd ist substituierter Heroinabhängiger und lebt von Hartz IV. Jumper in einer normalen Tierarztpraxis durchchecken zu lassen, könnte er sich nicht leisten.

Ein umgebauter Krankenwagen als Tierarztpraxis

Mit ihren 13 Jahren hat die Mischlingshündin schon einige gesundheitliche Probleme. Die Ohren sind immer mal wieder entzündet, die Pfoten oft wund, und in der Hüfte scheint Jumper auch nicht mehr so beweglich zu sein wie früher. Bernds aufmerksamen Augen ist das nicht entgangen, und er möchte sichergehen, dass seine pelzige Begleiterin keine Schmerzen hat.

„Sie hat auch in Ruhephasen oft einen Tremor, also zittert im Bein“, erklärt Bernd der Tierärztin, nachdem sie Jumper gemeinsam auf den Behandlungstisch im Krankenwagen gehoben haben. „Das ist neu, das hat sie erst seit ein paar Wochen.“ Jeanette Klemmt nickt und beginnt, die Hündin zu untersuchen. Dafür muss sie Jumper an den Hinterläufen ziehen  und die Gelenke durchstrecken. Dem Vierbeiner gefällt das gar nicht. Man sieht Bernds verzerrtem Gesicht an, dass er mitleidet.

Gegen den Schmerz in der rechten Hüfte der Hündin gibt die Tierärztin Bernd ein Medikament mit. „Was kostet das?“, fragt der Hartz-IV-Empfänger und reißt die Augen auf, als Jeanette Klemmt mit einem schlichten „Nichts“ antwortet.

„Ich gehe viel mehr spazieren, nehme deutlich weniger Drogen“

Das Projekt Hunde-Doc wird durch Spenden finanziert, vor allem durch eine regelmäßige Zuwendung einer großen Stiftung. Trotzdem muss auch Jeanette Klemmt den bedürftigen Hundebesitzer_innen, die zu ihr kommen, hin und wieder Geld abnehmen. Zum Beispiel für eine Blutuntersuchung.

„Bei fortgeschrittenem Alter eines Hundes ist so ein Blutbild regelmäßig angezeigt, am besten einmal im Jahr“, erklärt Jeanette Klemmt dem Hundepapa. Als sie Bernds besorgten Blick sieht, fügt sie hinzu, dass sie beim Labor einen Tierschutzrabatt bekäme. 35 Euro würde die Untersuchung kosten. Für Bernd viel Geld, aber für Jumper wird er die Summe schon aufbringen.

 

Kein Verlangen nach Drogen mehr – auch dank Jumper

Auf den Hund gekommen ist Bernd per Zufall. Sein früherer Mitbewohner brachte Jumper mit in die gemeinsame Wohnung. Von Anfang an war die Hündin auf Bernd fixiert, saß wartend an der Wohnungstür, wenn er nicht da war, und hörte irgendwann auch nur noch auf seine Befehle. „Sie hat mich ausgesucht“, lacht Bernd, „seither sind wir zusammen.“ Für beide eine gute Entscheidung. Jumper ist deutlich ruhiger und fröhlicher geworden, und Bernd hat sein Leben grundlegend geändert: „Ich gehe viel mehr spazieren, nehme auch deutlich weniger Drogen und gehe kaum noch aus. Mir geht´s gesundheitlich definitiv besser.“

„Die meisten suchen eher Hilfe für ihr Tier als für sich selbst“

Bernd hat eine 30-jährige Drogenkarriere hinter sich. Seit 2001 wird er substituiert, immer wieder mit Unterbrechungen. Aber vor zwei Jahren ist er von dem Medikament Subutex zu Substitol gewechselt. Mit diesem Mittel habe er gar kein Verlangen nach weiterem Drogenkonsum, freut sich Bernd, „und der Hund hat zu dieser Entwicklung definitiv beigetragen.“

Jeanette Klemmt kennt solche Geschichten. „Die meisten  kommen und suchen eher Hilfe für ihr Tier als für sich selbst“, weiß die Tierärztin. Bei Hunde-Doc bekommen sie beides, das ist das Konzept des Projekts.

HIV-Test mit Hund

Die mobile Tierarztpraxis hält ausschließlich vor sozialen Einrichtungen, heute vor dem Kontaktladen „enterprise“, einer Begegnungsstätte für Suchtkranke und Suchtgefährdete in Lichtenberg. Wer mit seinem Hund zu Jeanette Klemmt in den umgebauten Krankenwagen will, muss sich vorher im Kontaktladen anmelden. „Hunde-Doc ist kein reines Versorgungsprojekt, sondern eins mit sozialpädagogischem Ansatz“, erklärt die resolute Tierärztin, „wir möchten sichergehen, dass sie wirklich bedürftig sind. Sucht, Obdachlosigkeit oder Überschuldung sind Voraussetzungen, bei denen wir Hilfe anbieten, und nur wenn sie diese annehmen, kann auch der Hund behandelt werden.“

„Nur wenn sie die Hilfe annehmen, kann auch der Hund behandelt werden“

Ein tolles Konzept, fand auch die Deutsche AIDS-Hilfe und testet nun in einem Pilotprojekt und in Zusammenarbeit mit der Berliner Aids-Hilfe die Kooperation mit dem Hunde-Doc. Wenn die mobile Tierarztpraxis vor dem Kontaktladen „enterprise“ Station macht, sind nun auch zwei Mitarbeiter_innen der BAH vor Ort.

Heute haben der Arzt Maik Müller und Berater Jens Ahrens ihr temporäres Büro im zweiten Stock der Drogenberatung eingerichtet. „Bei der Anmeldung für den Hunde-Doc haben wir die Gelegenheit, die Tierhalter zu fragen, ob sie sich vielleicht zu HIV beraten lassen möchten“, erklärt Jens Ahrens, „und wenn sie Risiken gehabt haben, dann können sie gegebenenfalls auch einen Test machen.“ Sowohl auf HIV als auch auf Hepatitis C können sich die Hundebesitzer_innen hier testen lassen. Wenn das Infektionsrisiko lange genug zurückliegt, sind auch Schnelltests möglich.

„Für den Hund nimmt man sich die Zeit“

Auch Bernd hat heute bei der Anmeldung das Angebot bekommen, einen HIV-Test zu machen. „Das ist toll“, findet Jumpers Herrchen, „gerade für Süchtige ist es schwierig, sich die Zeit für die eigene Gesundheit zu nehmen. Für den Hund nimmt man sich aber Zeit. Und wenn man in dem Zuge auch noch seine eigene Gesundheit überprüfen kann, ist das der Schlüssel, der da passen könnte.“

Bernd selber nimmt das Angebot heute aber nicht an, er hat erst vor kurzem seinen HIV-Status testen lassen. „Beim nächsten Mal vielleicht“, grinst er. Bernd wird wiederkommen. Vor allem wegen Jumper.

Mehr Informationen:

Projektbeschreibung „Hund und Herrchen“

Kampagne „Kein AIDS für alle!“

 

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Über

Frauke Oppenberg

Frauke Oppenberg ist seit 1992 als freie Journalistin tätig. Derzeit arbeitet sie vorwiegend für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD) als Moderatorin und Autorin von Radio- und Fernsehbeiträgen.

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