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„Ich heiße Kurt Raab und habe Aids“

Von Axel Schock
Szenenbild Kurt Raab
Vor 30 Jahren starb der Schauspieler und Filmemacher Kurt Raab. Der engste Vertraute Rainer Werner Fassbinders war einer der ersten Prominenten, die Aids in Deutschland ein Gesicht gaben.

Für die breite Öffentlichkeit war Rainer Werner Fassbinder ein Genie, das den deutschen Film wieder zu internationalem Renommee geführt hatte. Für Kurt Raab aber war er in erster Linie jener Mensch, „der mir Freud und Leid, Glück und Unglück gewesen ist“, wie er 1982 in seinem Nachruf auf Fassbinder in der Süddeutschen Zeitung schrieb.

Er habe ihn mit genommen durch die Höhen und Tiefen seines Lebens und ihn „mehr erleben lassen, als ich je zuvor erlebt habe und wohl auch zukünftig erleben werde“.

1966 begegnete Raab Fassbinder im Münchner „action theater“ – und wurde anschließend sein engster Mitarbeiter. In den elf Jahren der Zusammenarbeit wirkte Raab in 31 Filmen Fassbinders mit, in fast allen übernahm er kleinere und größere Rollen.

Kurt Raab: Idealbesetzung für gebrochene Antihelden

Raab, der sich im Freundes- und Kollegenkreis exaltiert, aber auch streng gab, war die Idealbesetzung für gebrochene Antihelden: gequälte und quälende Biedermänner, unterwürfige, Mitleid erregende Kleinbürger wie in „Warum lief Herr R. Amok?“ fiese Höllenhunde des Spießertums wie in „Bolwieser“ und „Satansbraten“.

Zudem war Raab in vielen Fassbinder-Filmen für die Ausstattung, Regieassistenz und Produktionsleitung verantwortlich. „Emma Kartoffel“ nannte Fassbinder seinen treuen Vasallen.

Sie liebten und sie schlugen sich

Die finanzielle wie psychologische Abhängigkeit machte Kurt Raab zeitweilig auch zum Privatsekretär, Haushälter, Putzfrau und Mädchen für alles. „Zwischen ihm und RWF lief das ewige Spiel derer, die sich lieben und schlagen“, so der Schriftsteller und Fassbinder-Freund Gerhard Zwerenz.

Zugleich partizipierte Raab an Fassbinders Macht: „Der eine wurde zum Meister vorgelassen, der andere von Raab abgewimmelt, kleine Intrigen gestreut“, so Zwerenz.

Leben ohne Fassbinder

1977 kam es zum Bruch. Er habe nichts mehr anderes tun können, als Alkohol in sich hineinzuschütten, schildert Raab diesen Absturz in seinem Erinnerungsbuch „Die Sehnsucht des Rainer Werner Fassbinder“.

Für Raab beginnt nun ein Leben ohne den alles beherrschenden Rainer Werner. Er schreibt Drehbücher, filmt unter anderem mit Robert von Ackeren, Hans W. Geißendörfer und Peter Kern und ist in Mehrfachfunktion an der TV-Serie „Kir Royal“ beteiligt.

Der Theatermacher Dieter Giesing holt in ans Schauspielhaus Hamburg, doch Raab kann dort aufgrund der gesundheitlichen Folgen seines Alkoholismus nur noch wenige Rollen übernehmen.

HIV-Test ohne Einwilligung

Im Rahmen einer Entziehungskur in der Psychiatrischen Klinik in Hamburg-Eppendorf wird dann 1986 seine HIV-Infektion diagnostiziert.

Der Test war ohne Raabs Einwilligung erfolgt. „Das war ein Skandal“, sagt Raab in einem Interview wenige Monate später, bekennt aber: „Ich bin inzwischen froh, dass es so gekommen ist“, so Raab. Er habe eine Ahnung gehabt, sich aber nicht zum Test getraut: „Ich dachte, damit könnte ich nicht leben.“

„Ich dachte, mit HIV könnte ich nicht leben“

Zunächst aber hält Raab seine Erkrankung geheim, nur wenige Freund_innen wissen Bescheid. Er spielt wieder Theater, doch eine Lungenentzündung und andere aidsbedingte Erkrankungen erzwingen einen mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt. Als ein enger Freund sich nach der eigenen HIV-Diagnose das Leben nimmt, bricht Kurt Raab sein Schweigen.

Selbstbewusster Umgang mit der HIV-Infektion

In zahlreichen Fernseh- und Zeitungsinterviews gibt er detailliert Auskunft über seinen Gesundheitszustand, über seinen Umgang mit der Krankheit („Ich werde kämpfen bis zum Schluss“), aber auch über sein exzessives Leben.

„Mein Gott, jetzt hat es dich erwischt!“

Er glaubt auch zu wissen, bei welchem Stricher er sich mit dem Virus angesteckt hat, und teilt dies dem Fernsehpublikum mit: „Der hatte schon überall diese Ausschläge, aber ich war zu besoffen, um noch zu schalten. Am nächsten Tag habe ich gedacht: Mein Gott, jetzt hat es dich erwischt!“

Raab ist zunehmend von der Krankheit gezeichnet, vorzeitig gealtert und abgemagert. Auch seine körperlichen Kräfte lassen nach, und er ist auf einen Rollstuhl angewiesen.

Doch für ihn ist dies kein Grund, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Im Gegenteil: Mutig und selbstbewusst sitzt er in Talkshows und steht offenherzig Rede und Antwort.

Mit Leidenschaft gegen Ausgrenzung und Isolierung

Er weiß um seine Wirkung und dass er mit seinen Auftritten auch die Sensationslüsternheit der TV-Redakteur_innen und -Zuschauer_innen bedient.

Doch Raab will kein Mitleid, kein Bedauern, sondern nutzt seine Prominenz, um für einen respektvollen Umgang mit den Erkrankten zu plädieren. Und auch, um leidenschaftlich gegen deren Ausgrenzung und Isolierung zu argumentieren, wie sie der damalige bayrische Innenstaatssekretär Peter Gauweiler und der CSU-Abgeordnete Horst Seehofer forderten.

„Gestatten, Kurt Raab, ich habe Aids“

In seinen letzten Lebensmonaten bringt Kurt Raab sogar noch die Kraft auf, an zwei Filmprojekten mitzuwirken. Herbert Achternbuschs satirischer Heimatfilm „Wohin?“ greift absurd-böse die bayrische Politik auf, lässt dazu den Landesfürsten an Aids erkranken und zur Vertuschung eine Bissattacke als Infektionsweg erfinden.

Einbruch der Wirklichkeit in die Groteske

Und mitten in dieser bajuwarischen Blasphemie setzt sich Kurt Raab an den Biergartentisch. „Gestatten, Kurt Raab, ich habe Aids.“ Es ist ein bemerkenswerter Auftritt. Der Einbruch der Wirklichkeit in diese scheinbar übersteigerte Groteske. Raab spricht von seiner Krankheit und davon, wie die Politik auf sie reagiert:

„Der Isolationsbedarf ist ein KZ-Bedarf“

„Wenn ich diese Wörter höre, die mit Bedarf enden, dann weiß ich, wohin die gehören. Sie gehören zum Entscheidungsbedarf, wenn es darum geht, demokratische Rechte zu beschneiden … Es gibt auch einen Isolationsbedarf, und der betrifft mich und meine Leidensgenossen. Und wenn Sie ein klein wenig einen Erkenntnisbedarf hätten, wüssten Sie, dass es sich bei einem Isolationsbedarf um einen KZ-Bedarf handelt.“

Schonungslos und beklemmend bis zum Ende

Noch intimer, schonungsloser und beklemmender wird schließlich Raabs letztes Filmprojekt, das knapp 45-minütige ZDF-Fernsehspiel „Sehnsucht nach Sodom“. Diese Collage aus experimentellen Spielszenen und Selbstbekenntnissen entstand auf Anregung des Schauspielerkollegen Hans Hirschmüller und des Filmemachers Hanno Baethe.

Gedreht wurde an zwanzig Wochenende von Januar bis Mai 1988. Raab befand sich bereits in stationärer Behandlung im Hamburger Tropeninstitut, damals eine der wenigen auf Aids spezialisierten Kliniken in Deutschland.

Als die Krankenhausverwaltung dem Team Drehverbot erteilte, wich man stundenweise ins Schauspielhaus aus.

Am 28. Juni 1988, einen Monat nach Abschluss der Filmarbeiten, starb Raab. Er wurde 46 Jahre alt.

Der Pfarrer verweigert die Bestattung im Familiengrab

Der Pfarrer in Kurt Raabs Heimatort Steinbeißen in der Oberpfalz verweigert die Erdbestattung im Familiengrab. Beigesetzt wird er schließlich im Grab der befreunden Familie Pagels auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf. Seit die Grabstelle 2012 aufgelöst wurde, erinnert eine Gedenktafel auf dem Aids-Gemeinschaftsgrab „Memento“ an ihn.

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