„Ich würde den Vatikan homophil-homophob nennen“
Herr Berger, ist der Vatikan ein homophober Ort?
Ich würde ihn homophil-homophob nennen. Beides ist vorhanden. Unter all den Männern dort ist eine homophil enorm aufgeladene Stimmung. Zumal man davon ausgehen kann, dass etwa die Hälfte von ihnen zumindest homosexuell veranlagt ist. Deshalb wird dort schwuler Sex auch ausgiebig praktiziert. Natürlich nicht im Vatikan, aber in der Umgebung.
Sehen Sie eine direkte Verbindung zwischen Homophobie und Homosexualität?
Ich kann das nicht wissenschaftlich beweisen, aber so habe ich es erlebt: Diejenigen, die in Vorlesungen und privaten Gesprächen besonders homophob aufgetreten sind, haben in den meisten Fällen selbst heimlich ein schwules Leben geführt – aber ohne Selbstakzeptanz. Wenn man zu ihnen sagte: „Du bist doch auch schwul!“, reagierten sie entsetzt. Es ist zwar Sex mit Männern, aber man darf es nicht schwul nennen, weil das ja verboten ist.
Woher kommt diese Homophobie?
Zum einen ist es Konkurrenzdenken. Das Priestertum der katholischen Kirche war über Jahrhunderte das Lebensmodell für schwule Männer. Wenn man damals nicht heiraten oder zu einem verschrobenen alten Onkel werden wollte, konnte man nur noch Priester werden. Für diese Männer war die zölibatäre Lebensform der perfekte Schutzraum. Mit der Legalisierung der Homosexualität in Europa und der Schwulenbewegung wird diese Grundaufgabe der katholischen Kirche hinfällig. Der schwule Lebensentwurf tritt in Konkurrenz zum Priesterdasein.
Zum anderen: Wenn ich sehe, wie andere fröhlich als schwule Männer leben, ich mir aber meine Sexualität immer verkniffen habe, wird mir ein Spiegel vorgehalten: So könntest du auch leben! So entsteht extreme Homophobie – gerade bei Männern, die ihre Homosexualität nicht verarbeitet haben.
Wobei die Ablehnung der Homosexualität kein Phänomen der heutigen Zeit ist. Sie widerspricht schlicht der katholischen Lehrmeinung …
Das Verbot der Homosexualität als Machtmittel ist auch heute noch nützlich
Es gibt eine lange Tradition, Homosexualität zu verbieten, das ist richtig. Auch in der Heiligen Schrift. Allerdings hat die Kirche schon weitaus traditionsreichere Verbote fallen lassen, zum Beispiel, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Aber das Verbot der Homosexualität ist auch heute noch nützlich, weil es ein Machtmittel ist. Wenn ich den vielen homosexuell veranlagten Klerikern verbiete, Sex zu haben, obwohl das Sexualbedürfnis so fundamental ist, dann habe ich viele Untergebene mit Leichen im Keller. Die kann ich dann damit loyal halten, zur Not auch erpressen.
Warum haben Sie trotzdem eine theologische Karriere begonnen?
Am Anfang stand der feste Wunsch, Priester zu werden. Es gibt Fotos von mir, wo ich mit vier, fünf Jahren schon selbstgebastelte Messgewänder trage. Aber kurz vor dem Abi merkte ich, dass ich auf Sexualität nicht werde verzichten können. Deshalb bin ich nicht Priester geworden. Eine gewisse Traurigkeit darüber ist geblieben, die sicher auch eine Motivation war, auf den Wegen der konservativen Theologie zu wandeln – im Sinne von „damit mache ich wieder gut, dass ich dem vermeintlichen Wunsch Gottes nicht nachgekommen bin“.
Wie haben Sie damals Ihr Sexleben gehandhabt?
Als ich vor 22 Jahren mit meinem Freund zusammenkam, haben wir unsere Partnerschaft von Anfang an offen gelebt. Ich wollte anfangs gar keine Beziehung. Aber wie das so ist, man verliebt sich – dagegen ist kein Kraut gewachsen. Für mich war das auch religiös kein Problem, weil ich Sexualität immer als ein Geschenk Gottes begriffen habe, das ich auch ausleben soll.
Konnten Sie mit anderen Geistlichen auch aufrichtige Gespräche über schwulen Sex und Beziehungen führen?
„Ich ging ganz pragmatisch mit dem öffentlichen Schweigeverbot um“
Ja, meist mit solchen Priestern, die homosexuell veranlagt sind und darum wissen, sich aber strikt an ihren Zölibat halten. Die leiden enorm unter der derzeit zunehmenden Homophobie in der katholischen Kirche. Da gab es sehr offene und ehrliche Gespräche. Bis hin zu einem sehr konservativen Priester, der meinem Freund und mir ganz vorbildlich geholfen hat, unsere Beziehung zu retten, als wir eine schwere Krise hatten.
Wie haben Sie denn ausgelotet, mit wem Sie offen darüber sprechen können?
Ich hatte gar nicht so sehr das Bedürfnis, mich mitzuteilen und über meine Sexualität zu reden. Ich hatte ja ein glückliches Privatleben und ging ganz pragmatisch mit dem öffentlichen Schweigegebot um. Ich habe mir gesagt: Sie wollen die fromme Kulisse nach außen, also sollen sie sie haben. Insofern mussten eher die anderen ausloten, inwieweit sie mir vertrauen und darüber reden wollten.
Hat Sie in all den Jahren kein Zweifel beschlichen?
Man plant ja eine Karriere nicht, sondern man wächst hinein. Man sagt oft automatisch ja, wenn der nächste Schritt kommt. Dann spielen auch persönliche Eitelkeiten eine Rolle. Wenn man die Wahl hat, in einem stickigen Seminarraum in Bochum zu lehren oder im Palazzo della Cancelleria vor Kardinälen zu sprechen, dann ist die Tendenz groß, den schönen Rahmen in Rom zu wählen – und manches zu übersehen, was man eigentlich sehen müsste.
„Ich habe mich unerpressbar gemacht, indem ich mich outete“
Haben auch Sie Homophobes verkündet?
Nein, nie. Als ich Herausgeber der katholischen Monatsschrift Theologisches geworden bin, ist dort kein homophober Artikel mehr erschienen. Ich wies alle zurück. Das wurde bemerkt, und man wollte mich unter Druck setzen. Man gab mir zu verstehen, dass mein Privatleben bekannt sei, dass man wisse, dass ich mit einem Mann zusammenlebe. Das wurde immer wieder angedeutet – bis ich mich dann unerpressbar gemacht habe, indem ich mich öffentlich outete.
Damit haben Sie ihre Karriere beendet.
Ja, das wusste ich. Aber letztlich hat sich der Zustand der Erpressbarkeit psychisch so stark niedergeschlagen, dass ich das Ende meiner theologischen Karriere gerne in Kauf genommen habe.
Was gab den Ausschlag für Ihr öffentliches Coming-out?
Ein Auslöser war ein Talk bei Anne Will, wo Bischof Overbeck gesagt hat, homosexuell zu sein, sei eine Sünde. Damit ging er weit über die katholische Lehrmeinung hinaus. Das hatte bis dahin kein Kirchenführer behauptet.
Was hat dafür gesorgt, dass Sie sich mit einem Skandalbuch verabschiedet haben?
Die permanente Erpressung. Ich wurde immer stärker unter Druck gesetzt. Als sich die kirchenpolitische Ausrichtung unter Benedikt XVI. veränderte, habe ich gemerkt, dass die konservative Denkrichtung, die ich vertreten habe, in letzter Konsequenz zur Erpressung von Menschen führt. Da hatte sich etwas aufgestaut, das raus musste.
Können Sie ein Beispiel für eine solche Erpressung geben?
„Mit dem Outing habe ich ja auch meine Lehrerlaubnis als katholischer Religionslehrer verloren“
Als der Papst die reaktionären Piusbrüder rehabilitierte, unterschrieb ich eine Petition dagegen. Danach wurde ich zu meinen Vorgesetzten in der Theologisches-Redaktion zitiert. Zuerst sagte man mir: „Das hat man Ihnen untergeschoben.“ Mir wurde also angeboten, meine Unterschrift zu leugnen. Ich habe sie dennoch bestätigt. Dann kam die Frage: „Wussten Sie, dass dort auch Homosexuelle unterschrieben haben? Wollen Sie mit Ihrem Namen unter lauter Homosexuellen stehen?“ Damit sollte mir klargemacht werden: Wenn du so etwas unterschreibst, musst du damit rechnen, dass wir dich outen. Das war auch eine ökonomische Drohung, denn mit dem Outing habe ich ja auch meine Lehrerlaubnis als katholischer Religionslehrer verloren.
Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität in den nächsten 20 Jahren ändert?
Nein, auf absehbare Zeit nicht. Der nächste Papst wird vermutlich aus Lateinamerika oder Afrika kommen und in gesellschaftspolitischen Fragen noch konservativer agieren. Wenn wir also für etwas kämpfen sollen, dann für das energische Zurückschneiden des Einflusses der katholischen Kirche überall dort, wo sie die gesellschaftlichen Rechte, die wir als schwule Männer und lesbische Frauen errungen haben, rückgängig zu machen versucht.
Wo ist das der Fall?
Nur ein Beispiel: Als 2006 versucht wurde, in Moskau einen Pride* zu organisieren, war der Nuntius des Papstes für die Russische Föderation der erste, der Protest bei der russischen Regierung einlegte: Mit Entschiedenheit unterstütze er im Namen des Papstes das Demonstrationsverbot für Homosexuelle in Russland. Welche Kreise dieses Verbot inzwischen gezogen hat, sehen wir an der aktuellen Gesetzgebung in Russland. Daran mag die katholische Kirche nur am Rande beteiligt sein, aber der Papst hat hohe moralische Autorität. Sein politischer Einfluss ist groß. Da muss man zur Not den Vertretern der katholischen Kirche Widerstand leisten – das ist für mich auch meine Aufgabe als Christ.
* Demonstration schwulen und lesbischen Selbstbewusstseins und Stolzes, zum Beispiel in Form von Paraden wie etwa zum Christopher-Street-Day.
Literaturtipp: David Berger: Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche. List Taschenbuchverlag
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