Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum soll für alle gelten. Foto: Carlo Schrodt, pixelio.de

Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Juli entschieden, dass die staatlichen Geldleistungen für Asylbewerber in Deutschland zu niedrig sind und damit gegen das Grundgesetz verstoßen. Das Urteil lässt auf bessere Lebensbedingungen für diese Menschen hoffen. Bernd Aretz sprach mit einem Flüchtling aus Afrika über sein Leben in Deutschland.

David stammt aus einem ostafrikanischen Land, wo Meinungsfreiheit, Wahlen und Menschenrechte Fremdwörter sind. Willkürliche Verhaftungen, Folter und Erschießungen sind nach Amnesty International an der Tagesordnung. David schmerzt es auch heute noch, mehr als 15 Jahre nach seiner Flucht, seine Herkunft verschleiern zu müssen, um die dort verbliebenen Verwandten nicht zu gefährden. In seiner Heimatstadt betrieb er mit seiner Familie einen Supermarkt. Nachdem er wegen kritischer Äußerungen um sein Leben fürchten musste, verkaufte er sein Geschäft, was ihm ermöglichte, mit seiner Frau und den drei Kindern nach Deutschland zu flüchten. Inzwischen ist er deutscher Staatsbürger.

Als er in den 1990ern nach Deutschland kam, waren seine drei Jungen zwischen wenigen Monaten und vier Jahren alt. Die fünfköpfige Familie bekam in einer bayerischen Sammelunterkunft für Asylbewerber ein Zimmer zugewiesen. Die sanitären Verhältnisse mit Gemeinschaftstoiletten und Duschen waren bedrückend. Asylbewerberheime wurden üblicherweise in Gasthöfen und Hotels betrieben, die so heruntergekommen waren, dass eine Vermietung an Reisende nicht mehr möglich war. Diese Häuser waren nun mit einem Vielfachen jener Personenzahl belegt, die sonst bei voller Auslastung zusammengekommen wäre.

Auf religiöse oder kulturelle Gepflogenheiten wurde keine Rücksicht genommen.

Die dort Untergebrachten erhielten Lebensmittelpakete für Frühstück und Abendessen. Mittags gab es im Lager eine einheitliche Verpflegung für alle – auf religiöse oder kulturelle Gepflogenheiten wurde da keine Rücksicht genommen. Manche verließen, ohne gegessen zu haben, den Mittagstisch. Kleidung gab es zweimal jährlich auf Gutschein, was bei schnell wachsenden Kleinkindern natürlich zu einem Problem wurde. Aber das konnte zum Teil über die Kleiderkammern der Wohlfahrtsverbände gemildert werden. Die Getränke beschränkten sich im Wesentlichen auf Wasser aus der Leitung. Anderes war nicht finanzierbar. An Bargeld gab es für die ganze Familie monatlich 140 DM, je 40 DM für die Erwachsenen und je 20 für die Kinder. An Plätze im Kindergarten für die Kleinen war überhaupt nicht zu denken.

Gewiss keine Heimstatt für Asylbewerber. Foto: Henning Hraban Ramm, pixelio.de

David war Mitte Dreißig, als er nach Deutschland kam. Er war ein stolzer Mann, gewohnt, für seine Familie Verantwortung zu übernehmen, zu arbeiten. Das wollte er natürlich auch in Deutschland. Aber er durfte nicht. Das Arbeitsverbot für Asylbewerber, die Streichung von Deutschkursen aus dem Leistungskatalog sollen verhindern, dass Flüchtlinge hier soziale Netze aufbauen, die bei Ablehnung eines Asylantrags eine Abschiebung schwieriger machen. Er erzählt: „Ich kam mir vor, als ob ich im Gefängnis gelandet wäre. Mir ging es schlecht, ich hätte mich in den ersten Wochen umbringen können. Die Kinder litten, wurden krank, bekamen Hautausschläge und Atemnot.“

Das besserte sich auch nicht, als es vom Lager in ein Heim ging. Auch dort hatte die Familie zu fünft einen einzigen Raum, aber immerhin war hier kein Schimmel an den Wänden. Wäre seine Frau nicht so stark gewesen und so findig, aus dem Wenigen etwas für die Familie zu zaubern, er hätte es nicht überlebt.

Immerhin gab es nach Jahren so etwas wie Intimität und Würde.

Die Situation änderte sich erst, als sie auf Intervention des Kinderarztes die Erlaubnis bekamen, sich eine Wohnung zu suchen. Die Einrichtung ließ sich über karitative Organisationen und den Sperrmüll regeln. Die Zeit der Essenspakete war vorbei. Es gab zwar wenig Geld, aber die qualvolle Enge, das Zusammenleben mit traumatisierten Menschen ohne Hoffnung war vorbei. Reisen durften sie zwar nicht, weil für Asylbewerber eine örtliche Residenzpflicht gilt, aber das wäre ja ohnehin nicht bezahlbar gewesen. Immerhin gab es nach Jahren so etwas wie Rückzugsmöglichkeiten, Intimität und Würde.

Es dauerte sechs Jahre, bis der Aufenthalt der Familie in Deutschland gesichert war, er und seine Frau ohne Einschränkungen arbeiten durften. Auch wenn er sich schnell zum Kolonnenführer im Reinigungsgewerbe hocharbeitete, blieb das Geld knapp. Immerhin konnte er jetzt hin und wieder mal mit seinen Kindern ein Fußballspiel, mit seiner Frau ein Kino besuchen. Von den Leistungen, die er als Asylbewerber bekommen hatte, war so etwas undenkbar. Schwimmbad, Rummelplatz oder einfach mal Essengehen waren nicht vorgesehen.

Nicht jeder hält den Belastungen in der neuen Umgebung stand. Foto: Rosel Eckstein

Nun hätte man ja hoffen können, dass für die drei Jungs die Schule ein Ausgleich war. Nur hatten die oft Angst, dahin zu gehen – „Schokoladenkopp“ zeugt auch an diesem Ort nicht für einen respektvollen Umgang. Wegen der finanziellen Not waren sie ohnehin von allem Möglichen ausgeschlossen. Alles, was auch bei Kindern und Jugendlichen als Statussymbol gilt oder einfach nur Sehnsüchte erfüllen soll – z. B. selbst ausgesuchte Kleidung – waren ihnen ja lange verwehrt. Da können sich die Eltern noch so einschränken, mehr als das Überleben zu organisieren, ist kaum möglich. Allein schon das macht zum Außenseiter. Da wundert es eher, dass zwei der Söhne die Schule so erfolgreich absolviert haben und inzwischen eine Ausbildung machen: der eine zum Krankenpfleger, der andere in der Industrie.

„Ich bin dem Land dankbar. Ich lebe noch“

Der Älteste hat die Belastungen nicht so gut verkraftet. Er ist psychisch krank geworden und muss deswegen immer mal wieder in eine Klinik. Auch Davids Gesundheit hat gelitten. Zwei Herzoperationen haben ihn zum Frührentner gemacht. Die Ehe hat all dem nicht standhalten können. Trennung, ein erneuter Versuch, zusammenzufinden, und wieder eine Trennung bestimmten die letzten Jahre. Ob er noch einmal nach Deutschland ginge? „Ich bin dem Land dankbar“, antwortet David. „Ich lebe noch. In Afrika täte ich das nicht. Deutschland ist jetzt meine zweite Heimat. Deswegen habe ich auch die deutsche Staatsangehörigkeit angestrebt und erhalten.“

Rassismus und Ausgrenzung gehören oft zu den Erfahrungen in der zweiten Heimat. Foto: Wilhelmine Wulff, pixelio.de

Aber einen würdigen Umgang mit Flüchtlingen hat er von den Behörden nicht erlebt. Wohl aber von sozialen Einrichtungen und einzelnen Menschen. Natürlich kennt er auch Rassismus und Ausgrenzung. Nach Dresden beispielsweise wird er sich freiwillig nicht mehr begeben. Und auch in der Hausgemeinschaft, in der er jetzt lebt, gab es bei seinem Einzug Irritationen – Zettel wie „Ausländer unerwünscht“ findet David nicht gerade schön. Aber es gab auch Unterstützung von anderen Bewohnern aus dem Haus. Und jetzt hat er einen kleinen, international gemischten Freundeskreis, und er engagiert sich in seiner Community.

Man soll die Menschen arbeiten lassen, ihnen die Chance zur Teilhabe geben.

Auf die Frage, was er sich anders wünsche, hat er schon ein paar Vorschläge. Man soll die Menschen arbeiten lassen, ihnen die Chance zur Teilhabe geben. Menschen, die ihre bisherige Existenz aufgeben und sich in eine völlig ungewisse Zukunft in der Fremde begeben, sind tatkräftig und eine Bereicherung. Ein Lebensunterhalt für Flüchtlinge unter dem Betrag, den die Gesellschaft für Deutsche für unerlässlich hält, ist unwürdig. Daneben ist aber auch im Kleinen viel möglich, z. B. freie Mitgliedschaft in Vereinen für Kinder aus armen Familien, Freikarten für nicht ausverkaufte Veranstaltungen, Gartenflächen für Arme. Das verbessert nicht nur die Versorgungssituation, sondern fördert auch die soziale Einbindung. Die Lagerunterbringung macht dagegen krank und zerstört die Menschen.

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