Menschen mit HIV bemängeln fehlende Akzeptanz in der Psychotherapie
Menschen mit HIV leiden überdurchschnittlich oft unter psychischen Krisen und Problemen. Die auslösenden und verstärkenden Faktoren sind dabei vielfältig: Sie reichen vom psychischen Trauma aufgrund der HIV-Diagnose über die Angst, sozial ausgegrenzt zu werden, bis hin zu Stigmatisierungserfahrungen und den Auswirkungen der HIV-Infektion auf das eigene Selbstwertgefühl und Sexualleben.
Umso wichtiger ist es für Betroffene, geeignete Therapeut_innen zu finden. Doch häufig treffen Menschen mit HIV in der Psychotherapie auf Unverständnis für ihre Lebenssituation und Unkenntnis in Bezug auf die eigene Lebenswelt, wie die Ergebnisse einer Onlineumfrage der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) und der Themenwerkstatt „HIV und Psyche“ zeigen.
Rund 300 Menschen haben daran teilgenommen. In die Auswertung eingeflossen sind die 172 Fragebögen, bei denen die Personen angegeben hatten, HIV-positiv zu sein.
Die Ergebnisse zeigen ein sehr deutliches Stimmungsbild. Zwar gaben nur 11 Prozent an, in der Psychotherapie direkte Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben, die deutliche Mehrheit jedoch berichtete über enorme Defizite in der Therapie.
Fehlendes Wissen über HIV
So attestieren lediglich 16 Prozent der Befragten ihren Psychotherapeut_innen sehr gutes Wissen über die HIV-Infektion. Fast ein Drittel fühlte sich häufig oder manchmal in bestimmten Gesprächssituationen aufgrund ihrer Lebensweise, zum Beispiel als schwuler Mann oder Drogengebraucher_in, abgewertet. Weitere 51 Prozent fühlten sich in Bezug auf ihre Lebenswelt nur teilweise, wenig oder gar nicht verstanden.
Die Folge: Fast ein Viertel der Teilnehmenden hat die Therapie abgebrochen. 11 Prozent der Befragten haben den Therapeuten beziehungsweise die Therapeutin gewechselt, weitere 30 Prozent haben das Problem angesprochen. Doch rund 30 Prozent haben die entsprechenden Themen in den weiteren Sitzungen einfach vermieden.
„Wenn HIV im Gespräch gemieden wird, hat das Auswirkungen auf den Therapieerfolg“
Laut Heike Gronski, DAH-Fachreferentin für „Leben mit HIV“, können die in der Umfrage offenbarten Unzulänglichkeiten eklatante Folgen haben: „Wenn Menschen mit HIV in der Psychotherapie aus Selbstschutz vermeiden, über wichtige Aspekte ihres Lebens wie die HIV-Infektion und ihre Sexualität zu reden, hat dies zweifellos Auswirkungen auf den Therapieerfolg.“
Angststörungen (rund 40 Prozent) sowie Depressionen beziehungsweise depressive Verstimmungen (rund 70 Prozent) zählen zwar zu den am häufigsten genannten Anlässen der Psychotherapie, bei 60 Prozent der Befragten allerdings war es auch die HIV-Infektion selbst beziehungsweise der Umgang damit. Bei 83 Prozent war HIV ein Thema im Erstgespräch, und bei etwa 70 Prozent wurde es im Laufe der Therapie weiter vertieft.
Anlass für eine Psychotherapie ist häufig auch die HIV-Infektion selbst
Immerhin: Nicht wenige der Befragten reagierten selbstbewusst auf erkennbare Wissenslücken und Vorbehalte ihrer Therapeut_innen. Manche brachten Infomaterial zur nächsten Sitzung mit, thematisierten ihr Unbehagen oder legten Beschwerde bei der Klinikleitung beziehungsweise dem zuständigen Berufsverband ein.
Für Heike Gronski wird durch die Ergebnisse dieser Onlinebefragung mehr als deutlich, dass Menschen mit HIV auch im psychotherapeutischen Bereich häufig mit Unwissenheit, Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert werden.
„Wir müssen also unsere Bemühungen, Diskriminierung im Gesundheitswesen durch gezielte Informationen, Beschwerden und Fortbildungen abzubauen, auch auf den Bereich der Psychotherapie ausdehnen“, erklärt die DAH-Referentin. Keine leichte Aufgabe, wie sie betont.
„Meist führen Vorurteile zu Diskriminierungen“
Denn wenn es um die Medizin am Körper geht, sind Diskriminierungen und ungerechtfertigtes Handeln von Ärzt_innen in Praxen und Kliniken meist konkret zu fassen und leichter zu belegen. „Hier kann man klar ansetzen, um sich zu wehren, und die Situation durch Informationen – zum Beispiel über HIV-Übertragungswege – verändern“, sagt Heike Gronski.
„In der Psychotherapie allerdings sind es meist Vorurteile und Fragen der persönlichen Haltung der Therapeutinnen und Therapeuten, die zu den Diskriminierungen führen. Dies anzusprechen oder gar zu belegen, ist für HIV-Positive daher weitaus schwerer, und es ist auch schwieriger, hier Verbesserungen zu erreichen.“
Als ersten Schritt will die DAH nun Gespräche mit der Bundespsychotherapeutenkammer führen und dabei die Ergebnisse der Umfrage vorstellen. „Gemeinsam können wir dann schauen, wie wir durch Informationsmaterial oder Fortbildungen das Thema aufgreifen können“, so Gronski.
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