Politisch eine Farce, menschlich eine Tragödie
In der Nacht zum 28. Juni 2013 ging in genau drei Minuten ein Schauspiel auf höchster politischer Ebene zu Ende. Begonnen hatte es am 3. Juni. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP hatte es in diesen 25 Tagen geschafft, ein Gesetz einzubringen, zu diskutieren und zu beraten, eine Anhörung mit Sachverständigen durchzuführen und das Gesetz schließlich zu verabschieden. Eine rasche Arbeit! Doch warum diese Eile?
Zunächst geht es bei dem Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten (Drucksache 17/13706) um die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels. Während die EU von Deutschland jedoch ausdrücklich und unter Androhung eines Strafgeldes den Schutz der Opfer angemahnt hatte (also z. B. Videobefragungen statt direkte Zeugenaussagen vor Gericht, bessere Absicherung etwa durch Bleiberecht), entschied sich die Regierung nur für eine Ausweitung der Strafvorschriften.
Fehlender Opferschutz, juristisch unklare Formulierungen
Gleichzeitig fügte sie im Gewerberecht Regelungen für „Prostitutionsstätten“ ein. Diese fallen nun nach § 38 GewO unter die überwachungspflichtigen Gewerbe. Die Regelungen sind geprägt von vagen Formulierungen und unbestimmten Rechtsbegriffen. So sind beispielsweise die verschiedenen Prostitutionsstätten nicht definiert oder Begriffe wie „Gefahren“, „erhebliche Nachteile“ oder „Belästigungen“ unklar. Und was genau ist unter „Bewohnern der Nachbargrundstücke“ zu verstehen?
Im dramaturgischen Sinne handelt es sich um eine Tragödie, und zwar in mehrfacher Hinsicht:
- Von allen Seiten wird kritisiert, dass der Opferschutz fehlt. Das wird den Opfern nicht gerecht und ist zudem unwürdig für Deutschland, das für die Strafverfolgung auf die Opfer angewiesen ist. So etwas geht nicht zum Nulltarif.
- Die Vermischung von Straf- und Gewerberecht negiert zum wiederholten Mal eine freiwillige Prostitution, die wie jedes andere Gewerbe geregelt, aber auch rechtlich abgesichert gehört.
- Die juristisch unklaren Formulierungen öffnen in unserem föderalen System den Ländern und Kommunen Tür und Tor für die praktische Ausgestaltung und Anwendung. Zu befürchten ist, dass es bundesweit zu unterschiedlichsten Regelungen für die vielen verschiedenen Prostitutionsstätten kommen wird.
Ein Schlag ins Gesicht aller an der Prostitution Beteiligten
Damit sind wir weit entfernt von der so dringend erforderlichen Rechtssicherheit, ohne die sich die Prostitutionsbranche nicht in das allgemeine Wirtschaftsgefüge einfügen und entwickeln kann. Nach der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes (ProstG) im Jahr 2001 hat der Gesetzgeber elfeinhalb Jahre ohne großes Engagement verstreichen lassen. Und dann dieser Schnellschuss.
Das Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht aller an der Prostitution Beteiligten: Nach wie vor nutzen die Kunden unsere Dienste. Der Staat nimmt gern unsere Steuern, aber verdrängt uns aus den geschützten Innenstädten an den Rand und ins Abseits – und verwehrt uns unsere Rechte. Auch Sexarbeiter/innen haben ein Recht auf Selbstbestimmung, Würde, staatlichen Rechtsschutz und vor allem auf das grundgesetzlich garantierte Recht auf Arbeit (Art. 12 GG). Ganz zu schweigen von Arbeitsschutzrechten.
Erneute Enttäuschung über die Haltung des Staates macht sich breit. Mit der Verabschiedung des ProstG hatte er einen ersten Schritt unternommen, um die an der Branche Beteiligten ins Sozial- und Wirtschaftsgefüge zu integrieren und bisher verwehrte Rechte zu garantieren (z.B. das Recht auf Lohn). Dann aber wurde es versäumt, das ProstG auf die anderen Gesetze zu übertragen (z. B. das Ordnungswidrigkeitengesetz). Dadurch entstand enorme Rechtsunsicherheit, sodass zum Beispiel moralisch motivierte Behörden über das Baurecht gute, geschützte Arbeitsplätze in Wohnungsbordellen vernichtet haben.
Rechtssicherheit und Respekt sehen anders aus!
Gleichzeitig ist ein Klima entstanden, das von vollständiger Ablehnung und sogar Verteufelung der Prostitution geprägt ist: Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter werden ständig mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie keine seriöse Dienstleistung anbieten. Trotzdem verlangt man von ihnen die Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten, wie etwa Steuern zu zahlen. Immer wieder werden sie in einen Topf mit Kriminellen, Straftätern und sonstigen Übeltätern geworfen.
Der ständigen Stigmatisierung als Opfer kann sich kaum eine Sexarbeiterin erwehren; ihr wird jede persönliche Entscheidungsfreiheit abgesprochen. Und nach wie vor weigern sich Staat und Gesellschaft, Prostitution als eine Arbeit zu verstehen, für die man Arbeitsplätze, Arbeitsrechte, Arbeitsschutz, Aus- und Fortbildung und zumindest Empowerment braucht.
Rechtssicherheit und Respekt sehen anders aus! Warum sollen Sexarbeiter/innen noch mit dem Staat und seinen Behörden wie Polizei, Beratungsstellen und Gesundheitsämtern kooperieren? Es ist doch nur verständlich, wenn sie sich in ihrer Arbeitswelt wieder verschließen, eigene Regeln aufstellen und unter sich bleiben. Warum sollten sie sich für Informationen von außen interessieren? Die Erfahrung hat doch gezeigt, dass alles von außen mit Reglementierungen und Repressalien verbunden ist, die letztlich gegen sie und auf die Abschaffung der Prostitution zielen.
Diese Situation ist katastrophal – und leider lang geübte Tradition. Wenn Sexarbeiter/innen nicht informiert sind, ihre Rechte und Möglichkeiten nicht kennen und keine Perspektiven sehen, fügen sie sich in die Gegebenheiten, akzeptieren Forderungen und Arbeitssituationen, die nicht gesund sind, und konzentrieren sich ausschließlich aufs Geldverdienen.
Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen baut auf Vertrauen auf
Was die HIV/STI-Prävention angeht, könnte das wieder „Russisch-Roulette-Spielen“ bedeuten. Aus Unwissenheit über Risiken und Schutzmaßnahmen lassen sich Kunden und Sexarbeiter/innen auf alles ein und probieren alles aus. Oder Sexarbeiter/innen haben nicht die Stärke und Professionalität, ihre Grenzen zu bestimmen und diese auch durchzusetzen. Und dem Staat und seinen Institutionen vertrauen sie nicht, denn von ihnen sind sie ja schon immer verraten und verkauft worden.
Prävention baut auf Vertrauen auf. Gebraucht werden Respekt und eine auf Rechten basierende Parteilichkeit. Das gilt bei Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern genauso wie bei allen anderen. In dieser Form jedenfalls schadet das Gesetz mehr als es nutzt.
Stephanie Klee arbeitet als Sexarbeiterin, ist Mitbegründerin des Bundesverbandes Sexuelle Dienstleistungen e. V. und Inhaberin der highLights-Agentur.
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten
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