Am 1. Juli tritt das umstrittene sogenannte Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, doch viele Kommunen sind schlecht vorbereitet. Aktivist_innen haben außerdem eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht

Das „Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (ProstSchG) wird die Arbeits- und Lebenssituation von geschätzt bis zu einer Million Sexarbeiter_innen im Lande nachhaltig verändern.

Anmeldepflicht, Beratungspflicht, Erlaubnispflicht, Kondompflicht

Zentrale Punkte im ProstSchG sind die

  • Anmeldepflicht: Sexarbeiter_innen müssen ihre Tätigkeit nunmehr behördlich anmelden. Daran gekoppelt ist eine Pflichtberatung zur Gesundheit, zu rechtlichen Vorschriften und zu Steuerpflicht. Die Anmeldebescheinigung, in der Szene „Hurenpass“ genannt, muss bei der Arbeit immer mitgeführt werden.
    Kritiker_innen befürchten unter anderem, dass Sexarbeiter_innen aus Angst vor Stigmatisierung verstärkt in die Illegalität gedrängt werden und so nur noch schwer für Unterstützungsangebote erreichbar sind.
  • Erlaubnispflicht: Wer ein Prostitutionsgewerbe betreiben will, benötigt eine behördliche Erlaubnis und ein Führungszeugnis. Die Örtlichkeiten müssen Mindestanforderungen erfüllen. Dazu gehören ausreichende Sanitäranlagen, aber auch die Trennung vom Schlaf- und Wohnraum. Dies macht es vor allem vielen selbstständigen Sexarbeiter_innen nahezu unmöglich, künftig auf legaler Basis wie bisher ohne Zuhälter ihrer Tätigkeit nachzugehen.
  • Kondompflicht: Kund_innen von Prostituierten sowie Prostituierte haben dafür Sorge zu tragen, dass beim Geschlechtsverkehr Kondome verwendet werden. Verstoßen Kund_innen gegen diese Pflicht, können Bußgelder bis zu 50.000 Euro verhängt werden.

Das Prostituiertenschutzgesetz läuft seinem erklärten Ziel zuwider

Für die Kritiker_innen ist der programmatische Titel des Gesetzes ein Hohn: Das Ziel, Sexarbeiter_innen bei ihrer Arbeit künftig besser zu schützen, werde durch die gesetzliche Neuordnung der Prostitution verfehlt.

Dies haben zahlreiche Expert_innen sowie Organisationen und Fachverbände immer wieder betont, darunter der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, das Europäische Komitee von Sexarbeiter_innen, die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH), Amnesty International, der Deutsche Frauenrat, die Diakonie Deutschland und der Deutsche Juristinnenbund.

Für die DAH-Referentin Marianne Rademacher wirkt das Prostituiertenschutzgesetz seinem eigenen Ziel entgegen. „Statt Sexarbeiter_innen zu schützen, gefährdet es die bisher sehr erfolgreichen Ansätze der strukturellen Prävention. Es verstärkt Diskriminierung im Rahmen des gesellschaftlichen und politischen Lebens und schafft damit die Bildung neuer rechtsfreie Räume, nämlich die Verdrängung in die Illegalität, um die Anmeldung zu umgehen.“

Tiefer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Sexarbeiter_innen

Ein solch tiefer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Personen, die selbstbestimmt die Prostitution ausüben, sei nicht mit der Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu rechtfertigen.

Die vielfach geäußerten Forderungen nach einem Ausbau von anonymer gesundheitlicher und psychosozialer Beratung sowie von Test- und Behandlungsmöglichkeiten sowie aufsuchender Präventions- und Sozialarbeit blieben beim zuständigen Familienministerium hingegen ungehört.

Dass die nunmehr gesetzlich verordneten Zwangsberatungen den erhofften Erfolg bringen, bezweifeln die meisten Expert_innen.

Die Kommunen sind schlecht auf das Prostituiertenschutzgesetz vorbereitet

Ohnehin werden viele Kommunen diesen gesetzlichen Vorgaben derzeit noch gar nicht nachkommen können.

Die sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz Melanie Leonhard (CDU) spricht von einem klaren handwerklichen Fehler des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Man habe schlicht nicht „hinreichend berücksichtigt, dass die Länder eine ausreichende Vorlaufzeit für die Umsetzung benötigen“ und sich zudem auch noch die Kommunen darauf vorbereiten müssten.

In vielen Ländern und Kommunen, von Berlin über Hamburg bis Niedersachsen, ist die konkrete Umsetzung bis heute noch nicht im Detail geklärt. Sachsen hat beispielsweise erklärt, erst zum Jahresbeginn 2018 die Vorbereitungen abgeschlossen und das notwendige Personal zur Verfügung zu haben.

Klage in Karlsruhe

Möglicherweise wird das Gesetz sogar vom Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht: Die in Frankfurt ansässige Prostituierten-Selbsthilfeorganisation Doña Carmen hat Verfassungsklage eingereicht. 62 Seiten umfasst die Klageschrift, der sich bereits zahlreiche Beschwerdeführer_innen angeschlossen haben.

„Wir werden nicht sehenden Auges hinnehmen, wie Sexarbeiter_innen einem System entwürdigender Kontrollen unterworfen, ihrer Grundrechte beraubt und mit rechtlicher Billigung in die Position einer vogelfreien gesellschaftlichen Randgruppe gedrängt werden“, erklärte Doña-Carmen-Sprecherin Juanita Henning. Sollte die Klage in Karlsruhe keinen Erfolg haben, werde man notfalls vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.

Weiterführende Seiten und Beiträge zum Prostituiertenschutzgesetz:

https://www.prostituiertenschutzgesetz.info (ein Projekt von voice4sexworkers.com und der Gemeinnützigen Stiftung Sexualität und Gesundheit)

Europäisches Komitee von Sexarbeiter_innen kritisiert Gesetz zur Prostitution (magazin.hiv, 02.06.2017)

Sie wollen keine Opfer sein (magazin.hiv, 15.02.2017)

Ein Gesetz, das seinem Namen nicht gerecht wird (magazin.hiv, 06.10.2016)

Bundesrat stimmt „Prostituiertenschutzgesetz“ zu (magazin.hiv, 23.09.2016)

Flagge zeigen! (magazin.hiv, 09.06.2015)

Offener Brief: Prostituierten drohen neue Gefahren (magazin.hiv, 28.01.2015)

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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