Der bekannteste schwule Filmemacher Deutschlands porträtiert den bekanntesten schwulen Comiczeichner: Rosa von Praunheims „König der Comics“ wird am 15. Februar bei den Berliner Filmfestspielen uraufgeführt. Axel Schock hat ihn vorab gesehen.

Knollennasen und ihr Schöpfer: Ralf König
Knollennasen und ihr Schöpfer: Ralf König. Foto: Praunheim Filmproduktion

Vielleicht werden eines fernen Tages wissenschaftliche Arbeiten im Detail erkunden, wie nachhaltig diese Knollennasen das Bild der Homosexuellen in der bundesrepublikanischen Mehrheitsgesellschaft beeinflusst haben. Keiner zuvor hatte das Wesen, Treiben und Lieben des schwules Mannes so genau beobachtet und als Chronist schwulen Alltags festgehalten wie Ralf König.

Dank seiner Comicgeschichten bekamen auch szenefremde Heteros und Heteras Einblick in die Techniken des Rimmings, die Mechanismen des Tuntentratsches, die Vorzüge und Nachteile der Promiskuität. Und so manche/r erfuhr erst hier von der Existenz von Cruisingparks, Poppers und Cockringen.

Als Comic-Künstler ist Ralf König gerade in jüngster Zeit verdientermaßen mit Preisen, Ausstellungen und Ehrungen gewürdigt worden. Was noch fehlte, war ein abendfüllender Dokumentarfilm. Rosa von Praunheim hat dies nun nachgeholt, dramaturgisch sehr gradlinig – schließlich ist das Werk von ZDF/arte produziert und mit den üblichen Praunheim’schen Sonderlichkeiten wie dem einen oder anderen etwas holprigen Schnitt.

Westönnen
Zurück im Dorf: von Westönnen in die weite Welt. Foto: Praunheim Filmproduktion

Für die künstlerischen Aspekte in Königs Werk und Wirken hat sich Praunheim weniger interessiert. „König der Königs“ ist kein Werkstattbericht. Wer erhofft, Einblick zu bekommen, wie König Geschichten entwickelt, wie er zeichnet, textet und koloriert, wird enttäuscht sein. Praunheim zeichnet vielmehr die wichtigsten Stationen von Königs Biografie nach: vom 2500-Seelen-Dorf Westönnen in Westfalen über Dortmund bis in die Wahlheimatstadt Köln.

„Ich war immer ein ausgesprochen sexueller Mensch“

König ist für Regisseur Praunheim ein idealer Protagonist: auskunftsfreudig, sympathisch, ein offener und pointierter Erzähler, der zwar Schüchternheit und Bescheidenheit kennt und sich deshalb nicht selbst in Szene setzt, aber dennoch keine Angst vor peinlichen Offenbarungen hat.

„Ich war immer ein ausgesprochen sexueller Mensch“, bekundet Ralf König und erzählt, wie er als Kind Papas Super8-Pornos aus dem elterlichen Schlafzimmerversteck kramte und sich mit Schulfreunden zum Gruppenwichsen um den Projektor versammelte. Er erzählt von seinem homosexuellen Initiationserlebnis, dem schwulen Festival „Homolulu“ 1979 in Frankfurt, von gescheiterten Beziehungen und wie man sich als öffentliche Person auf Sexpartys verhält.

Dass Ralf König seit geraumer Zeit mit Comiclesungen auf Tour geht und dabei seine Sprechblasen mit Hilfe eines Overheadprojektors und seiner Entertainer-Qualitäten zum Leben erweckt, kommt Praunheims Film sehr gelegen. So gelingt es, Königs Humor auch auf der Leinwand im besten Sinne erlebbar zu machen.

Praunheim und Ralf König bei der Anti-Papst-Demo 2011 in Berlin
Praunheim und Ralf König bei der Anti-Papst-Demo 2011 in Berlin. Foto: Praunheim Filmproduktion

Auch live vertont König derbere Stellen mit saftigen Schmatz-, Schleck- und anderen Geräuschen zwischenmenschlicher Aktivität. Schwulen Sex unverstellt – und im Falle des Comicromans „Bullenklöten“ sogar in Großaufnahme! – als Selbstverständlichkeit darzustellen, war für ihn stets eine Herzensangelegenheit. Dass es Leser gibt, die sich auf seine Knollennasenmännchen sogar einen runterholten, habe ihn stolz gemacht.

Safer-Sex-Comics für die Deutsche AIDS-Hilfe

Auch mit seinen Safer-Sex-Comics, 1985 im Auftrag der Deutschen AIDS-Hilfe entstanden, hatte König Neuland betreten. „Ich fand es damals so unglaublich, dass es eine Krankheit geben soll, die nur Schwule bekommen“, erinnert er sich an den Beginn der Epidemie in den 80er Jahren. Die Aufklärungscomics seien ihm sehr wichtig gewesen, aber mit der eigenen Lebenswirklichkeit hätten sie damals noch nicht viel zu tun gehabt.

Erst einige Jahre später gab es erste HIV-Positive unter seinen Freunden und schließlich auch den ersten Toten im engsten Kreis zu beklagen. Diese Erfahrungen hat Ralf König zu zwei seiner bis heute besten Comicromane verarbeitet: „Beach Boys“ und „Super Paradise“.

Trautes Glück: Ralf König mit seinem Lebensgefährten Olaf
Trautes Glück: Ralf König mit seinem Lebensgefährten Olaf. Foto: Praunheim Filmproduktion

Thematisch hat er sich in den letzten Jahren ein neues, weites Feld für sich erschlossen, mindestens so unübersichtlich und wirr wie die schwule Welt: die großen Weltreligionen im Allgemeinen und fundamentalistische Muslime, alttestamentarische Bibelstorys und neutestamentarische Sexualfeindlichkeit im Besonderen. Dies alles hat König gleichermaßen akribisch recherchiert und mit leidenschaftlichem Engagement seziert.

Fürs Erste ist aber auch dieses Kapitel für ihn abgeschlossen. Und was kommt? Er lässt es offen. Die letzten Filmminuten zeigen König mit seinem neuen Lebensgefährten als einen glücklich verliebten, in sich ruhenden Mann – und so ist man als Kinozuschauer nach 80 unterhaltsamen, spannenden und immer wieder auch sehr lustigen Minuten sogar richtiggehend gerührt.

„König der Comics“. D 2012. Regie Rosa von Praunheim. Mit Ralf König, Joachim Król, Olaf Gabriel, Ilona Winjen, Ralph Morgenstern u. a., 80 min.

Trailer zu König der Comics

König der Comics“ ist ab 22. Februar in ausgewählten Kinos zu sehen. Kinoliste und Termine von lokalen Premierenveranstaltungen mit Rosa von Praunheim und Ralf König gibt es beim Basisfilm Verleih

Und hier noch ein kleiner Schatz: Ralf Königs erster Safer-Sex-Comic für die Deutsche AIDS-Hilfe aus dem Jahr 1985!

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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