„Man muss diesem Gegeneinander-Ausspielen entgegenwirken“
Die Sozialarbeiterin Jana Reekers hat viele Jahre für die Drogenhilfe Köln gearbeitet. Seit November 2016 leitet sie den von VISION e.V. betriebenen Kontaktladen in Köln-Kalk. Er bietet Drogengebraucher_innen Unterstützung bei Behördenangelegenheiten sowie Gesprächs- und Beratungsmöglichkeiten. Für die teils wohnungslosen Besucher_innen gibt es Essen und Getränke zum Selbstkostenpreis, Waschgelegenheiten, außerdem gehören auch der Spritzentausch und ein Arbeitsprojekt für Drogengebraucher_innen zu den Angeboten des Kontaktladens.
Rechtspopulismus und Drogenhilfe: Ressentiments auch in der Szene
Jana, inwieweit erlebt ihr in der Arbeit mit euren Klient_innen Rassismus und Ressentiments?
Es kommt in der Tat immer wieder vor, dass wir von einzelnen Gästen Sprüche hören wie: „Die Flüchtlinge nehmen uns die Wohnungen weg!“.
Meinem Eindruck nach hat dies in den vergangenen Jahren zugenommen. Der Rechtsruck, der ja gesamtgesellschaftlich zu spüren ist, macht offenbar auch vor der Drogenszene nicht halt.
„Es ist immer einfacher, einen Schuldigen zu haben“
Ich bekomme mit, dass sich auch Menschen, die selbst gesellschaftlich ausgegrenzt werden, eine andere Gruppe suchen, auf die sie herabschauen können und der sie die Schuld für ihre missliche Lage geben können.
Es ist ja immer einfacher, einen Schuldigen zu haben, in diesem Fall die Geflüchteten, als nach den wirklichen Ursachen zu suchen und vielleicht das ganze System in Frage zu stellen.
Gibt es diese Form der Ausgrenzung auch untereinander, zum Beispiel gegenüber zugewanderten Drogengebraucher_innen?
Wir haben in unserem Kontaktladen auch viele Gäste mit Migrationshintergrund, doch unter den Drogengebraucher_innen selbst nehme ich rassistische Äußerungen eher selten wahr. Da zählt dann vielleicht doch mehr das Zusammengehörigkeitsgefühl als Drogen Gebrauchende.
In der Situation Stellung beziehen
Wie reagiert ihr, wie reagieren eure Gäste darauf, wenn in eurem Kontaktladen ausländerfeindliche oder rassistische Äußerungen gemacht werden?
Wir haben ein paar Gäste, die sich in solchen Fällen deutlich gegen Rassismus in den eigenen Reihen aussprechen und ihn anprangern. Es gibt aber auch andere.
Einer unserer wohnungslosen Besucher beklagte sich zum Beispiel einmal darüber, dass man ihm eine Unterkunft in einem Hotel zugewiesen habe und man ihn dort mit vier schwarzen Menschen – hierbei benutzte er das N-Wort – in ein Zimmer stecken wollte, und das ginge ja gar nicht.
„Man kann Leute bei ihrer Unzufriedenheit abholen“
Zwei andere Leute am Tisch haben ihn in dieser Haltung dann auch noch unterstützt. In einem solchen Fall finde ich es dann ganz besonders wichtig, dass wir als Mitarbeiter_innen Stellung beziehen.
Was könnt ihr dann konkret tun?
Mit Argumenten zu überzeugen versuchen. Man kann die Leute ja bei ihrer – durchaus berechtigten – Unzufriedenheit abholen, zum Beispiel, wenn es um die Zustände in den zugewiesenen Hotelzimmern geht. Man muss dann aber deutlich machen, dass die Geflüchteten oder Menschen mit einer anderen Hautfarbe keine Schuld an diesem Problem tragen.
Manche Menschen sind allerdings mit sachlichen Argumenten kaum mehr zu erreichen.
Wenn Leute in ihrer rassistischen Haltung schon so festgefahren sind, ist es dennoch wichtig, sich zu positionieren, weil ja auch andere Menschen die Situation miterleben und so dann mitbekommen, dass rassistische Kommentare nicht einfach stehengelassen werden, sondern ihnen widersprochen wird.
Mangelnde Akzeptanz von Drogengebraucher_innen: kein neues Problem
Macht sich der Rechtsruck auch in der Lebenssituation der Drogenkonsument_innen selbst bemerkbar?
Die mangelnde Akzeptanz drogengebrauchender Menschen ist kein neues Problem. Unser Kontaktladen befand sich früher an einer anderen Adresse und wurde von Leuten aus der rechten Szene von dort regelrecht verjagt.
In der Diskussion um einen neuen Konsumraum am Kölner Neumarkt spüren wir aktuell, dass da eine Stimmungsmache im Gange ist, dass es Leute gibt, die am liebsten hätten, wenn Drogen gebrauchende Menschen komplett aus dem Stadtbild verschwinden würden.
„Unser Kontaktladen wurde von Leuten aus der rechten Szene regelrecht verjagt“
Und beim Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher_innen diesen Juli auf dem Neumarkt habe ich teils ablehnende Blicke und Kommentare von Passant_innen mitbekommen, das ist schon beunruhigend.
Rechtspopulismus und Drogenhilfe: Es steht einiges auf dem Spiel
Was steht für Drogengebraucher_innen durch den Rechtspopulismus auf dem Spiel?
Zum Glück hat die AfD jetzt noch nicht so viel politische Gestaltungsmacht. Was die sich für eine Gesellschaft vorstellen und welche Auswirkungen das auf Drogengebraucher_innen hätte, ist gruselig. Manche fordern beispielsweise eine Sicherungsverwahrung für Nicht-Therapierbare.
Drogengebrauchende Menschen sollen unsichtbar gemacht werden
Unter einer rechten Politik würde die bereits heute sehr geringe Akzeptanz drogengebrauchender Menschen noch weiter sinken, niedrigschwellige Hilfe würde staatlich wahrscheinlich gar nicht mehr unterstützt werden.
Stattdessen müssten wir mit noch stärkerer Ausgrenzung und Kriminalisierung und wahrscheinlich mit Zwangstherapien rechnen. Willkommen ist alles, was dazu dient, drogengebrauchende Menschen wegzusperren, zu beseitigen, unsichtbar zu machen. Und Drogengebraucher_innen mit Migrationshintergrund würden wahrscheinlich konsequent und ohne Skrupel abgeschoben werden.
Nötig sind Entkriminalisierung, Legalisierung, Aufklärung
Wenn du dir von der neuen Bundesregierung etwas wünschen dürftest: Was sollte sich im Bereich der Drogenpolitik dringend ändern?
Drogengebrauchende Menschen müssten sofort entkriminalisiert werden. Es bringt überhaupt nichts, Menschen aufgrund von Konsum oder Besitz in Haft zu stecken. Auf keinen Fall wird dadurch etwas besser. Im Gegenteil: die Menschen werden dadurch noch mehr ausgegrenzt und haben noch weniger die Möglichkeit, einen selbstbestimmten Umgang mit den Substanzen zu entwickeln.
Inhaftierung wegen Besitzes und Konsums bringt gar nichts
Darüber hinaus brauchen wir eine Legalisierung der Substanzen. Dadurch würden die Preise sinken und die Konsument_innen nicht mehr in die Beschaffungskriminalität rutschen.
Im Zuge dessen wäre dann auch das Reinheitsgebot zu sichern, der Konsum wäre dadurch nicht mehr so riskant, weil die Menschen wüssten, was sie da tatsächlich konsumieren.
Und was wir auf jeden Fall brauchen, ist eine sachliche und realistische Aufklärung über die Substanzen, deren Chancen und Risiken, aber auch über Menschen, die Drogen konsumieren. Denn nur so können wir auch die Stigmatisierung und Ausgrenzung beenden. Dass dies funktioniert, sehen wir beim Alkohol, wo der Konsum gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert ist. Aus diesen Gründen ist das – ferne Ziel – eben auch die Legalisierung anderer Drogen.
Weiter Weg zur Akzeptanz von Drogengebraucher_innen
Wird sich in der anstehenden Bundeswahl entscheiden, wohin sich unsere Gesellschaft sozial bewegt?
Ich erwarte bei dieser Wahl keine Wunder. Wir haben derzeit eine eher konservative Gesellschaft. Das Wichtigste ist für mich, den Einfluss rechtspopulistischer Parteien so weit wie möglich zu begrenzen.
Akzeptanz und Respekt für alle Menschen
Die Situation für drogengebrauchende Menschen oder Geflüchtete wird sich nicht von heute auf morgen verändern lassen, da bin ich einfach realistisch. Da ist noch ein langer Weg zu gehen, und es muss noch sehr viel Aufklärung betrieben und um Akzeptanz und Respekt für alle Menschen gekämpft werden.
Das ist allerdings nicht nur Aufgabe der Politik, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch für uns bei VISION e.V. und im Kontaktladen.
Wie schätzt du eure Klient_innen ein? Werden sie ihr Wahlrecht auch wahrnehmen oder spürst du eher die Haltung: „Durch meine Stimme ändert sich ohnehin nichts“?
Das lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hatten wir in unserer Einrichtung den Wahl-o-maten beworben und versucht, die Leute darin zu bestärken, sich zu politisieren.
Manche haben mir erzählt, dass sie ungültig wählen, da finde ich es dann wichtig und auch interessant, die Gründe zu erfahren.
Wenn jemand von unseren Besucher_innen die AfD wählen will, und die wird es sicherlich auch geben, kann ich sie natürlich nicht daran hindern. Aber ich kann alles daransetzen, sie darüber aufzuklären, was im AfD-Parteiprogramm tatsächlich steht. Viele kennen das nämlich gar nicht.
Den von Rassismus Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind
Wie kann jede_r Einzelne gegen den Alltagsrassismus, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorgehen und darauf aufmerksam machen?
Am Wichtigsten ist meiner Meinung nach, wenn man draußen – in der Bahn, auf der Straße oder wo auch immer – rassistische oder diskriminierende Situationen miterlebt, entsprechend zu reagieren und damit auch den betroffenen Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Das kann jeder machen.
Demonstrationen gegen rechtsextremistische Aufmärsche sind nicht jedermanns Sache, aber eigentlich gibt es auch hier keine hohe Hürde, sich auf diese Art und Weise politisch zu engagieren. Und man kann beispielsweise auch im Internet gegen rechte Kommentare vorgehen.
Im „Drogenkurier“, dem Magazin des JES-Bundesverbandes, haben dessen Vorstandsmitglied Claudia Schieren und Torsten Zelgert von VISION e.V. in einem Editorial sehr dezidiert Stellung gegen jegliche Art von ausländerfeindlichen und rassistischen Aussagen und Handlungen bezogen. Warum war dies wichtig?
VISION e.V. und JES setzen sich gleichermaßen für Akzeptanz und Respekt ein. Da finde ich es nur konsequent, diese Werte zu verinnerlichen – und Rassismus steht dem nun einmal völlig konträr gegenüber. Deshalb ist es für unsere Organisationen wichtig, sich klar von solchen Haltungen zu distanzieren.
Der JES-Bundesverband wie auch VISION e.V. sind politisch tätig, und gerade im Hinblick auf den Rechtsruck kann man sich da nicht einfach herausziehen, sondern muss dieser Hetze, dem Gegeneinander-Ausspielen von gesellschaftlichen Randgruppen, entgegenwirken.
Der „Drogenkurier“ wie auch wir in unserer Einrichtung haben die Möglichkeit, viele dieser Menschen zu erreichen und auch Werte wie Solidarität und Vielfalt zu vermitteln. Und diese Möglichkeiten sollten wir auch unbedingt wahrnehmen.
Dieses Interview ist Teil unserer Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“: Hier findest du weitere Inhalte und Materialien.
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