Für Freiheit und Vielfalt

Sachsen! Stopp den Mob!

Von Dirk Ludigs
Sachsen! Stopp den Mob! Signet der Veranstaltung, Gesaltung: Eric Frymark
Rede von Dirk Ludigs bei der Mahnwache und Demonstration Sachsen! Stopp den Mob! vor der Sächsischen Landesvertretung in Berlin am 31. August 2018

Am 31. August fand vor der Sächsischen Landesvertretung in Berlin die Demonstration „Sachsen! Stopp den Mob!“ statt. Einem Mitarbeiter der Landesvertretung wurden dabei über 33.000 Unterschriften von Menschen übergeben, die die Sächsische Landesregierung auffordern, „endlich mit aller Härte den Rechtsstaat in Sachsen wiederherzustellen, alle Menschen aller Hautfarben, Religionen, geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen und ihre Institutionen in Sachsen gegen Gewalt zu schützen und gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenhass mit aller Entschiedenheit vorzugehen“.

Wir dokumentieren hier die Rede des Initiators der Kundgebung und der Petition, Dirk Ludigs. Denn Rassismus, Homo- und Transphobie, Fremdenfeindlichkeit, Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung treffen auch die Aidshilfe-Arbeit und die Zielgruppen, für die und mit denen wir uns starkmachen, beispielsweise Migrant_innen, trans* Menschen, schwule Männer oder Menschen, die Drogen gebrauchen.

Wir setzen uns deshalb gemeinsam mit Dirk Ludigs, den Unterzeichner_innen der Petition und vielen, vielen anderen für eine offene Gesellschaft ein, in der alle Menschen ohne Angst leben können – Grundlage von Aidshilfe-Arbeit und HIV-Prävention.

 

Ich stehe heute hier für keine Organisation, keine Partei keinen Verein.

Ich stehe hier als Mensch, Bürger und Mitglied der Zivilgesellschaft, der diese Mahnwache und Kundgebung angemeldet hat und dem es reicht!

Es reicht! Ich kann nicht länger schweigend zusehen

Als ein Bürger, der spürt: Es ist Zeit, auf die Straße zu gehen und die Regierenden daran zu erinnern, dass es ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die zweite deutsche Demokratie nicht den Weg der ersten geht.

Und ich kann nicht länger schweigend zusehen, wie die sächsische Landesregierung an dieser Aufgabe kläglich versagt.

Sachsen! Stopp den Mob!

Wie viele andere habe ich am Wochenende die unfassbaren Bilder aus Chemnitz gesehen, von diesem randalierenden Mob, der sich auf den Straßen aufmacht zur Hetzjagd auf Menschen, und von tausenden Bürgerinnen und Bürgern, die sich diesem Mob nicht in den Weg stellen, im Gegenteil.

Ich habe einen sächsischen Innenminister Roland Wöller gesehen, der hilflos etwas von Selbstjustiz in die Kameras stammelt.

Herr Wöller, natürlich ist auch Selbstjustiz in einem Rechtsstaat nichts, was wir dulden können.

Was in Chemnitz passiert ist, war keine Selbstjustiz

Aber was in Chemnitz passiert ist, war keine Selbstjustiz.

Der rassistische Mob ist dort stundenlang durch eine sächsische Stadt marodiert wie in den Zwanzigern die SA.

Er hat Hetzjagden auf unschuldige Menschen veranstaltet, Menschen verletzt, wahllos jeden in Angst und Schrecken versetzt, der anders aussieht als das, was Rassisten und Faschisten als Ihresgleichen akzeptieren.

Was in Chemnitz passiert ist, war keine Selbstjustiz. Was in Chemnitz passiert ist, war ein Pogrom! Und dann muss man das auch so nennen!

Fortgesetztes eklatantes Staatsversagen

Aber es passt ins Bild einer Landesregierung, die seit vielen Jahren konsequent den Rechtsradikalismus in Sachsen totschweigt, wo es geht, beschönigt, wo das nicht mehr geht, und das, obwohl wir aus der Geschichte und den Sozialwissenschaften gelernt haben: Nur wer den Mund aufmacht, wer rechten Tendenzen mit aller Macht entgegentritt, hat eine Chance, sie niederzuringen.

Die sächsische Landesregierung hat durch Nichtstun versucht, den Ruf eines Bundeslandes zu retten – und sie hat ihn durch Nichtstun ruiniert!

Wir halten die Vorgänge in Chemnitz – aber auch davor schon in Hoyerswerda, Freital, Schneeberg, Heidenau oder Dresden, man könnte die Liste beliebig lange fortsetzen – für ein fortgesetztes eklatantes Staatsversagen.

Schutz für alle Menschen

Wir fordern die sächsische Landesregierung auf, endlich mit aller Härte den Rechtsstaat in Sachsen wiederherzustellen, alle Menschen aller Hautfarben, Religionen, geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen und ihre Institutionen in Sachsen, die ja auch ständig von rechter Gewalt bedroht sind, zu schützen und gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenhass endlich mit aller Entschiedenheit vorzugehen.

Die sächsische Landesregierung versagt seit Jahrzehnten im Kampf gegen Rechts. Damit muss Schluss sein! Gegen rechte Tendenzen innerhalb von Verwaltung, Polizei und Verfassungsschutz muss radikal vorgegangen werden!

Und mit radikal meine ich: mit allen strafrechtlichen und disziplinarischen Mitteln, die unser Rechtsstaat zur Verfügung stellt.

Die Mehrheit der Bürger_innen sorgt sich vor einem Rechtsruck

Nach einer Spiegel-Umfrage fürchten sich 68 Prozent der Deutschen vor einem Rechtsruck. Wir fordern, dass die sächsische Landesregierung endlich die Sorgen und Ängste dieser 68 Prozent wichtiger nimmt als die Sorgen und Ängste von Rassisten und Faschisten.

Wir sehen mit Befremden und zunehmendem Entsetzen, dass unsere Regierenden in Sachsen und anderswo auf so genannte Wutbürger reagieren, die für dieses Land nie etwas getan haben! Die nichts können außer meckern, maulen, rechte Parolen rufen, das Recht brechen und Gewalt anwenden.

Wir Demokratinnen und Demokraten sind auch wütend!

Wenn Sie so gut auf Wut reagieren, dann kann ich ihnen sagen: Wir, die wir hier heute stehen oder im Internet unterschrieben haben: Wir sind auch wütend!

Wir sind wütend, dass die von uns gewählten Vertreter unserer Demokratie bei der Verteidigung unserer Freiheit, der Verteidigung der Rechte aller Menschen unabhängig von Hautfarbe, Religion, geschlechtlicher Identität oder sexueller Orientierung kläglich versagen.

Dass Polizei, Verfassungsschutz und Justiz auf dem rechten Auge zu oft blind sind, wenn sie Rechtsradikale nicht sogar offen unterstützen.

Freiheit, Vielfalt und die offene Gesellschaft schützen!

Und lassen Sie mich eines noch sagen. Wir, die wir uns seit Jahren und Jahrzehnten in diesem Land und für dieses Land engagieren, in Vereinen, Parteien, in der Flüchtlingshilfe, in LGBT-Gruppen oder wo auch immer: Wir sind die Bürgerinnen und Bürger, die dieses Land zu dem gemacht haben, was es ist.

Niemand von den faschistischen Gewalttätern, den rassistischen Rechtsbrechern, den Pegida-Anhängern oder den Nadelstreifen-Nazis von der AfD hat je etwas für dieses Land oder seine Demokratie getan.

Es geht um uns, unser Land, unsere Freiheit

Wir haben Sie, unsere Volksvertreter_innen gewählt, damit Sie unsere Freiheit, unsere Vielfalt und unsere offene Gesellschaft für uns verteidigen. Und wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann müssen wir uns andere Volksvertreterinnen suchen, die dazu in der Lage sind.

Denn es geht nicht um Sie. Es geht um uns, unser Land, unsere Freiheit, unsere offene Gesellschaft, für die wir uns engagieren, für die wir arbeiten, für die wir kämpfen.

Es geht um alles!

Und ein letztes Wort an euch alle: Bleibt nach diesem Tag nie wieder still. Engagiert euch.

Es geht um alles. Erich Kästner hat gesagt: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf …“

In Sachsen, liebe Landesregierung, rollt die Lawine. In Sachsen ist es 1932. Und zwar Herbst 1932.

Get your fucking shit together!

Um es auf Englisch zu sagen: Get your fucking shit together!

Ich kann es auch auf Deutsch sagen, denn es steht im Grundgesetz, Artikel 20, Absatz drei und vier, die letzten beiden Absätze der Grundrechte: „3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Schaffen Sie Abhilfe!

Denn auch unsere Geduld, die Geduld der Demokratinnen und Demokraten in diesem Land, ist begrenzt. Vielen Dank!

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