Schwangerschaftsabbruch

„Ich habe große Erleichterung empfunden“

Von Gastbeitrag
Foto Johanna
Stigma, bürokratische Hürden, Heimlichkeit: Entscheiden sich Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch, werden sie mit viel mehr als nur dem Eingriff konfrontiert, sagt Johanna. Sie selbst hat zwei Abbrüche hinter sich.

Johanna, gerade hat der Bundestag der Reform des Paragrafen 291a zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen zugestimmt. In den Diskussionen im Vorfeld wurden Frauen immer wieder pauschal diffamiert.

Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck bekommen, dass es insgesamt eine ganz starke Stimmungsmache gegen legale Abtreibung gibt – nicht nur im Hinblick auf das sogenannte Werbeverbot. Diese komischen Demos, die es jedes Jahr im September gibt, werden immer größer. Wenn ich das mitbekomme, wird mir ganz anders. Das trifft mich persönlich sehr.

Was stört dich besonders?

Mir geht es sehr nahe, dass im Moment ein Klima spürbar ist, in dem es deutlich salonfähiger wird, Frauen das Recht auf Abtreibung abzusprechen. Abtreibungen werden dabei ganz selbstverständlich mit der Tötung eines Kindes gleichgesetzt. Dieser Vergleich macht es fast unmöglich, einigermaßen entspannt über das Thema zu reden. Sofort ist ein wahnsinnig moralisches Gewicht drin. Damit geht die Debatte in eine Richtung, bei der ich richtig Beklemmungen und auch Angst kriege. Was macht das mit unserer Gesellschaft? Und vor allem: Was heißt das für uns Frauen, wenn sich so eine Haltung durchsetzt?

„Formaljuristisch habe ich eine illegale Handlung begangen“

Und wie findest du den Paragrafen 219a und die Diskussion darüber?

Ich nehme es als ein Politikum wahr. Als etwas, das von bestimmten Gruppen politisch genutzt wird. Inhaltlich ist der Paragraf geradezu lächerlich, weil Ärzt_innen so oder so keine Werbung machen dürfen. Für gar nichts, was sie anbieten. Dass diese Diskussion überhaupt mit solcher Vehemenz geführt wird, zeigt, dass es gar nicht um den Inhalt geht, sondern um eine grundsätzliche politische Frage: das Recht auf Abtreibung.

Wird Frauen ein Stück weit Entscheidungsfreiheit genommen?

Ich habe zwei Schwangerschaftsabbrüche hinter mir. Die sind beide schon ziemlich lange her. Damals bin ich davon ausgegangen, dass es mein Recht ist, in den ersten zwölf Wochen zu entscheiden, ob ich eine Schwangerschaft austragen möchte oder nicht. Erst jetzt habe ich mit Entsetzen feststellen müssen, dass ich damals formaljuristisch eine illegale Handlung begangen habe, die gnädigerweise straffrei ist. Es macht aber für Frauen einen riesigen Unterschied, ob etwas ihr Recht ist oder ob es lediglich straffrei ist. Letztlich geht es um die Frage, ob eine Gesellschaft, ein Staat und die Mitbürger_innen darüber bestimmen dürfen, ob eine Frau eine Schwangerschaft austragen muss – ob sie will oder nicht.

In diesem Zusammenhang wird oft von Abtreibungen aufgrund einer Notsituation  gesprochen – beispielsweise bei einer Vergewaltigung.

Ja, genau. Das ist eine der wenigen Situationen, in der man Frauen hierzulande Zugeständnisse macht. Mutter zu werden würde einen massiven Einschnitt in mein Leben und meine Lebensplanung bedeuten – unabhängig von einer Notsituation. Diese Tatsache wird jedoch nicht beachtet. Selbst wenn ich das Kind zur Adoption freigeben würde: Um eine Schwangerschaft und Entbindung käme ich nicht herum. Und auch dann hätte ich ein Kind, das vielleicht später seine leibliche Mutter kennenlernen möchte, das vielleicht damit zu kämpfen hat, „weggegeben“ worden zu sein. Ich finde es einfach unfassbar, wie man überhaupt denken kann, man dürfe jemanden dazu zwingen.

„Frauen müssen immer vernunftgesteuert sein“

Was sagst du zu dem Argument „Verhüte doch einfach“?

Das liest man oft in Kommentarspalten. Mich schockiert das: Glauben die Leute tatsächlich – meistens sind es Männer, die das schreiben – , dass Verhüten reicht, um nicht schwanger zu werden? Es ist doch allgemein bekannt, dass es kein hundertprozentig sicheres Verhütungsmittel gibt. Selbst hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille sind nicht zu hundert Prozent sicher, von Kondomen ganz zu schweigen. Und selbst wenn man nur Unfallschwangerschaften anschauen würde, die passiert sind, obwohl Frauen wirklich verhütet haben, würde es weiterhin ungewollte Schwangerschaften geben. Auch ich bin beide Male trotz Verhütung schwanger geworden.

Selbst wenn ich geschludert hätte, selbst wenn eine Frau nicht verhütet – oder ein Paar, denn es gehören immer zwei dazu: Was für eine Erwartungshaltung an uns Frauen schwingt da eigentlich mit? Wir müssen selbst in den leidenschaftlichsten Momenten immer zu hundert Prozent vernunftgesteuert sein. Sonst heißt es: „Du bist selbst schuld. Dann trag halt die Konsequenzen.“ Aber Sexualität ist etwas, bei dem man am ehesten die Kontrolle verliert, bei dem man sich vielleicht einfach nur hingeben will.

Wie hast du die beiden Schwangerschaftsabbrüche erlebt?

Die Nachricht von der Schwangerschaft selbst war schon total schockierend. Die kam einfach beide Male zu superbeschissenen Zeitpunkten. Aber ich hatte großes Glück. Ich konnte sowohl in meinem Freundeskreis als auch in meiner Familie offen darüber sprechen. Ich habe das nicht ganz allein mit mir ausmachen müssen. Ich stelle es mir wahnsinnig schwer vor, wenn eine Frau mit so einer Entscheidung alleine gelassen wird oder sich sogar moralische Sprüche anhören muss, die sie noch mehr unter Druck setzen.

Wie ging es dann weiter?

Ich musste damals auch zu diesem Beratungsgespräch gehen, das war aber okay für mich. Ich bin zu Pro Familia gegangen, das ist eine sehr offene Beratungsstelle. Die haben mir dann eine Klinik genannt, sodass ich nicht selber suchen musste. Die haben mich auch direkt weitervermittelt. Es gab auch bei den Terminen kein Problem, das ging relativ flott. Man muss ja nach dem Beratungsgespräch mindestens drei Tage warten. Aber ich habe danach nicht weiter unnötige Zeit verstreichen lassen müssen.

Allerdings musste ich ganz schön weit fahren. Interessanterweise habe ich mir damals keine großen Gedanken gemacht, warum ich für den Eingriff in eine andere Stadt geschickt wurde. Ich habe erst hinterher erfahren, dass es kein flächendeckendes Angebot an Kliniken oder Ärzt_innen gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das heißt, man braucht auch jemanden, der einen hinbringt respektive wieder abholt. Es ist zwar nur eine örtliche Betäubung, aber man sollte danach nicht Auto fahren.

„Über einen Abbruch macht man sich so oder so genug Gedanken“

Was hilft Frauen aus deiner Erfahrung heraus, wenn sie ungewollt schwanger sind?

Es hilft auf jeden Fall, dass es diese Beratungsangebote gibt. Ich finde nicht, dass es eine Pflichtberatung braucht, aber ich finde die Angebote sehr wichtig. Gerade für Frauen, die es vielleicht nicht in der Familie oder im Freundeskreis offen besprechen können. Es müssen aber wirklich ergebnisoffene Angebote sein – keine tendenziösen Geschichten. Frauen müssen sich gut aufgehoben fühlen. Egal, wie sie sich entscheiden. Ansonsten finde ich als Rahmenbedingung sehr wichtig, dass es möglichst unkompliziert und unbürokratisch abläuft. Über eine Abtreibung macht man sich so oder so genug Gedanken. Tierisch viel bürokratischen und rechtlichen Stress, weil du mit einem Bein in der Illegalität stehst, kannst du dann nicht auch noch gebrauchen.

Wie hast du den Eingriff selbst wahrgenommen?

Auch den habe ich nicht als dramatisch in Erinnerung. In der Klinik haben sie mich über jeden Schritt aufgeklärt. Zum Beispiel über die Betäubung. Sie haben diese Absaugmethode angewendet und mir erklärt, wie die funktioniert. Ich habe mich die ganze Zeit gut informiert gefühlt.

Und danach?

Ich habe neulich einen Artikel gelesen. Eine Frau hat darin geschrieben, es müsse in Ordnung sein zu sagen, dass ein bisschen Trauer bei einem Abbruch dabei ist, ohne dass man gleich um die Ohren geknallt bekommt: „Ja, siehst du. Wir haben dir gleich gesagt, du bist traumatisiert.“

„Es ist ein Abschied von etwas, das hätte sein können“

Ich habe nach den Abbrüchen eine ganz große Erleichterung empfunden, weil ich in meiner Entscheidung sehr klar war. Aber ja, ein bisschen Trauer war auch dabei. Mir ist es wichtig, diese ein Stück weit zulassen zu dürfen. Das hat nichts mit Traumatisierung zu tun. Und ich würde das gerne wertfrei sagen dürfen, ohne dass wieder der moralische Zeigefinger gehoben wird. Es ist ein Abschied von etwas, das hätte sein können. Ich bin jetzt mit großem zeitlichem Abstand immer noch sehr zufrieden mit dieser Entscheidung.

Was müsste sich ändern, damit Frauen eben nicht mit dem moralischen Zeigefinger konfrontiert werden?

Wir müssen auf unsere Sprache achten. Wir müssen beim Thema Schwangerschaftsabbruch aufhören, über tote Babys zu sprechen. Das ist ein unfairer Vergleich, und der ist medizinisch nicht korrekt. Solange wir bei einem Embryo, der noch gar keine voll ausgebildeten Organe hat, der noch kein Schmerzempfinden hat und außerhalb der Gebärmutter nicht den Hauch einer Überlebenschance hätte, von Babys sprechen, machen wir Bilder auf, die ein wertfreies Gespräch unmöglich machen. Das macht es für Frauen schwierig. Und das macht es für Gynäkolog_innen schwierig, sich zu entscheiden, Abbrüche anzubieten, weil sie dann in eine ganz, ganz komische Ecke geraten.

Was sollte sich politisch ändern?

Ich erwarte von Politiker_innen, dass sie klar Position beziehen, was das Selbstbestimmungsrecht von Frauen angeht. Jeder Mensch hat das Recht, eine Blutspende zu verweigern  – selbst wenn nebenan einer am verbluten ist. Gleichzeitig darf man aber anscheinend Frauen zumindest moralisch dazu zwingen, Schwangerschaften auszutragen. Das passt nicht zusammen. Ich wünsche mir, dass wir eine Fristenlösung haben. Die ersten zwölf Wochen soll ein Schwangerschaftsabbruch legal sein. Danach muss man ganz neu gucken, denn dann kommt das Thema Spätabtreibungen ins Spiel. Das fände ich politisch die beste Lösung.

Interview: Christina Heuschen

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