Trans* und HIV

Sein, wer man ist

Von Gastbeitrag
Porträt von Valentijn, die vor einem bunten Vorhang steht
Man muss nicht genau die gleichen Ziele haben, um gemeinsam stark zu sein. Diversität und Inklusion gehen für Trans*-Frau Valentijn de Hingh Hand in Hand.

Dieser Beitrag erschien zuerst im HIV-Magazin Hello gorgeousHerzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, Autorin Anouk Benden und Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Übersetzung: Alexandra Kleijn

Valentijn de Hingh (26) und ich treffen uns an einem schönen, sonnigen Abend für dieses Gespräch. Das Fotoshooting für den Artikel ist gerade zu Ende – es sind tolle Fotos entstanden. Valentijn ist Modell, Schriftstellerin und DJ. Viele Niederländer_innen kennen sie jedoch aus dem Dokumentarfilm, in dem Hetty Nietsch Valentijn – die da noch den Körper eines Jungen hat – von ihrem achten bis zum 17. Lebensjahr begleitet. 2007 entschließt sich Valentijn zu einer Operation zur Geschlechtsangleichung. Ich will jedoch keine Fragen stellen, die jene Zeit betreffen. Ich bin gespannt auf die heutige Valentijn. Was beschäftigt sie, welche Motive und Ideale hat sie? Und warum war sie Botschafterin des Amsterdam Pride/EuroPride 2016?

Die Antwort auf die letzte Frage ist eigentlich klar: „Ich fand diese Aufgabe einfach toll, aber noch wichtiger ist, dass der Pride eine Institution ist. Die Stimme für die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*-Menschen ist nirgendwo lauter als während des Pride.“

„Wir sind stärker, wenn wir zusammenhalten“

Die Bedeutung von Diversität und Inklusion hervorzuheben, ist für Valentijn eine Herzenssache. Darum freut sie sich, dass der Pride, ursprünglich vor allem für Schwule und Lesben gedacht, sich immer mehr zu einem Event für die gesamte LGBT-Community entwickelt hat. „Stolz darauf zu sein, wer sie sind, ist für viele Trans*-Menschen noch ein langer Weg“, so Valentijn. „Deshalb ist es ja auch so wichtig, gemeinsam mit dieser so vielfältigen Community zu feiern, dass jeder so sein darf, wie er ist. Viele Trans*-Menschen haben diese Freiheit noch nicht erlebt und fühlen sich einsam. Ich hoffe, sie wissen, dass dieses Event auch für sie ist. Gleichzeitig müssen wir uns dort als eine Einheit präsentieren. Diese Einheit ist keineswegs selbstverständlich, denn die Anliegen von Homosexuellen und Trans*-Menschen sind längst nicht immer die gleichen. Aber wir dürfen nie vergessen, dass wir 1969 mit dem Stonewall-Aufstand unseren Kampf für Emanzipation gemeinsam begonnen haben. Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, was uns eint, weil wir stärker sind, wenn wir zusammenhalten. Dass die Pride-Organisatoren mich gebeten haben, ihre Botschafterin zu werden, war ein klares Signal, dass das auch ihr Anliegen ist.“

„Ich wollte zeigen, dass wir nicht komisch oder seltsam sind“

Um ihre Geschichte und ihre Erfahrungen hat Valentijn nie ein Geheimnis gemacht. „Ich hatte immer gehofft, dadurch ein Beispiel für andere trans* Personen zu sein. Aber ich wollte auf diese Weise ebenso zeigen, dass es uns Trans*-Menschen gibt und dass wir nicht komisch oder seltsam sind. Das reicht mir aber nicht. Die Gesellschaft als Ganzes muss sich viel weiter öffnen und sich auch selbst kritischer betrachten. So ist die Einteilung in männlich/weiblich immer noch sehr bestimmend. Sie gibt vor, wer du bist, was du kannst und was du in unserer Gesellschaft darfst. Aber diese starren Etiketten passen einfach nicht auf Trans*-Menschen. Als ich 16 war, wurde ich total nervös, wenn ich bei Bewerbungen angeben sollte, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Identität ist nicht in Stein gemeißelt, und auf Menschen kann man keine Etiketten kleben. So lange das passiert, wird es Ungleichheit, Schikane, Aggression und Ausgrenzung geben.“

„Identität ist nicht in Stein gemeißelt“

„Es sollte normal sein, mit der eigenen Identität zu spielen. So kann man herausfinden, was sich gut und richtig anfühlt. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Nicht umsonst ist ‚zusammenleben‘ ein Verb – es geht um das ständige Bemühen um Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen. Aber nicht jede_r ist dazu bereit. Wenn es zu kompliziert wird, geben viele auf. Trotzdem sehe ich Fortschritte: Seit einigen Jahren wird in der Gesellschaft respektvoller über Trans*-Menschen gesprochen.“

Das Leben mit HIV ist für Valentijn nicht das Hauptthema. Aber jede Person sollte ihrer Meinung nach sie selbst sein und selbst bestimmen können, wie sie lebt. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen mit HIV. „Besonders schlimm finde ich, dass viele keine Unterstützung mehr bekommen, weil sie kein soziales Netz mehr haben, womit das Grundgefühl von Sicherheit und Schutz verloren geht. Das sieht man in Afrika, aber auch bei uns in den Niederlanden. Die Angst, infiziert zu werden, spielt immer noch eine Rolle. Auch hier sollte sich die Gesellschaft zur mehr Offenheit und Aufklärung bekennen, damit die Betroffenen nicht mit Stigma und Tabus konfrontiert werden.“

„Trans* Menschen dürfen oft nur als Fetisch existieren“

Für Transgender sei HIV auf jeden Fall ein wichtiges Thema, so Valentijn. Denn weltweit seien viele gezwungen, in der Sexindustrie arbeiten, was für sie ein höheres Infektionsrisiko bedeute. „Trans* Menschen dürfen oft nur als Fetisch existieren. Sexarbeit ist dann die einzige Möglichkeit, Liebe zu empfinden und Sex zu haben. Hinzu kommen finanzielle Gründe, denn Transgender werden ja auch auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert.“

Obwohl Valentijn eigentlich nicht an Rollenmodelle glaubt, ist sie fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, sich für etwas einzusetzen, was noch nicht funktioniert. „Ich weiß, dass Rollenmodelle wichtig sein können. Aber man bräuchte eigentlich viele davon – und ganz unterschiedliche, um nicht nur eine Geschichte, eine Meinung und eine Sichtweise darzustellen. Ich glaube fest an die Kraft, im eigenen Umfeld das Gespräch in Gang bringen zu können, dort ist die Wirkung ja auch am größten. Jeder Mensch kann dort ein Rollenmodell sein. So funktioniert es sogar am besten.

Ich werde jedenfalls nicht aufhören, gegen Tabus zu kämpfen und das Gespräch zu suchen. Das muss einfach weitergehen – der Pride kann viel dazu beitragen. Auch ich bin noch auf dem Weg der Identitätsfindung. Dieser Weg ist nicht immer einfach, aber sehr spannend. Ich stelle mich gern den Fragen, die für mich noch offen sind. Ich darf sein, wer ich bin – mit allem, was dazugehört.“

 

Kurzprofil

Valentijn de Hingh, 26

Beruf: Modell, Schriftstellerin, DJ

Lebensmotto: „Das Leben ist nicht geradlinig, sondern immer paradox und vielfältig. Wer das leugnet, ist auf dem falschen Weg.“

 

Weitere Informationen

Der Dokumentarfilm „Valentijn“ von Hetty Nietsch (2007, in Niederländisch) ist online verfügbar.

Transgender Netwerk Nederland ist der Interessenverband für Trans* Menschen in den Niederlanden

 

 

 

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