Steiniger Weg zur Police
Seit etwa Ende der 1980er-Jahre wird im Gesundheitsfragen-Katalog der Versicherungen auch nach einer HIV-Infektion gefragt. Solche Fragen zur Gesundheit und Krankheitsgeschichte kommen hauptsächlich in den Anträgen zur Renten-, Lebens- und Krankenversicherung vor sowie bei Berufsunfähigkeitsversicherungen und Zusatzversicherungen für den Krankheits- und Pflegefall.
„Mit der Aids-Klausel wollen die Versicherer verhindern, daß sich ‚Aids-Infizierte, die bereits von ihrer Erkrankung wissen, mit hohen Summen bei der Lebensversicherung einkaufen‘“, heißt es 1988 in einem Spiegel-Artikel. Das Nachrichtenmagazin zitiert darin auch Wolfgang Schieren, seinerzeit Vorstandsvorsitzender der Allianz, der erklärt, man wolle verhindern, dass die sogenannten Aids-Infizierten „ein nicht kalkulierbares Risiko in unsere Bestände hineintragen“ (Der Spiegel, 20/1988).
Anbruch einer Zeitenwende?
Fast 30 Jahre später sieht es danach aus, als sei auch bei den Versicherungen so langsam eine Zeitenwende angebrochen und als zollten sie der medizinischen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte Tribut. So möchte sich die Allianz, wenn es um Menschen mit HIV geht, mittlerweile „auch diesem potentiellen Kundenkreis nicht verschließen“: „Unsere Maxime ist, Menschen mit dieser Erkrankung risikoadäquat im Sinne jedes einzelnen Kunden und des Gesamtkollektivs abzusichern, sofern dies medizinisch möglich ist.“
So jedenfalls teilte es die Allianz Harald Grün mit, Vorstandsmitglied im hessischen Lesben- und Schwulenverband (LSVD Hessen). Vor einem Jahr, im März 2014, schrieb er zwanzig große Versicherungen an. Elf* davon stellten sich stumm, antworteten trotz Erinnerung nicht und obwohl der LSVD sein Schreiben direkt an die Geschäftsleitung der Unternehmen adressierte.
Neben der Allianz bezogen aber noch ein paar weitere Versicherungsgesellschaften Stellung. Deren Antworten sollen hier kurz wiedergegeben werden:
Anbieter versprechen individuelle Prüfung – zumindest bei Lebensversicherungen
Die Cosmos Lebensversicherungs-AG nimmt für sich in Anspruch, zu jenen Gesellschaften zu gehören, „die bereits seit längerer Zeit Menschen mit HIV-Infektion versichern“. Eine sofortige Ablehnung bei Angabe der HIV-Infektion im Antragsformular erfolge also nicht. „Wir treffen individuelle Entscheidungen, je nach vorliegenden medizinischen Befunden der zu versichernden Personen“, sagt die Cosmos.
„unter bestimmten Voraussetzungen“
Auch die ERGO Lebensversicherung teilte dem LSVD mit, dass ihre „Einschätzungsgrundsätze für Lebens- und Invaliditätsversicherungen“ aufgrund der Fortschritte in der HIV-Therapie „unter bestimmten Voraussetzungen eine Versicherbarkeit für eine Todesfallabsicherung“ vorsähen. Die Antwort der Generali Lebensversicherung lautet ähnlich: Sie betrachte „grundsätzlich jeden Kunden individuell“ und bewerte seine „konkreten Gesundheitsverhältnisse in der Risikoprüfung“. Dies gelte sowohl für Diabetiker als auch für HIV-Infizierte oder an Aids erkrankte Personen.
Bei der Hannoverschen Lebensversicherung und der VHV Lebensversicherung hänge der Versicherungsschutz „von diversen Faktoren ab, die statistisch und medizinisch validiert“ seien. Zu den Faktoren gehörten „neben Versicherungshöhe und -dauer, auch zum Beispiel das Stadium und der Verlauf der Erkrankung, die Art der Therapie, der Therapieerfolg usw.“
Die HDI Lebensversicherung weist darauf hin, dass man zwischen einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer Lebensversicherung differenzieren müsse. Sie sei aber „grundsätzlich“ bereit, zu prüfen, ob sie einem HIV-Positiven „Versicherungsschutz im Rahmen einer Lebensversicherung bieten“ kann. Solche Anträge erforderten „immer eine individuelle Risikoprüfung für den beantragten Versicherungsschutz“. Die HDI berücksichtige den medizinischen Fortschritt, indem die „HIV-Infizierten im Lebensversicherungsbereich bei günstigen Voraussetzungen gegen einen Risikozuschlag“ Versicherungsschutz bietet.
Keine pauschale Ablehnung trotz HIV
Auch die HUK-Coburg-Lebensversicherung sei „grundsätzlich bereit“, Menschen mit HIV oder einer Aids-Erkrankung zu versichern. Aufgrund der Fortschritte in der HIV-Behandlung durch die HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie) sähen die Grundsätze für die Einschätzung „unter bestimmten Voraussetzungen eine Versicherbarkeit für einen Todesfallschutz“ vor. Ärztliche Berichte würden bei der Risikoeinschätzung „immer einer sorgfältigen Prüfung unterzogen“. „Bei Beantragung einer Lebensversicherung erfolgt daher keine generelle Ablehnung aufgrund der Angaben zu der Gesundheitsfrage bezüglich HIV“, so die HUK-Coburg.
Die Standard Life schreibt, sie verstehe es als ihren Auftrag, „möglichst vielen Menschen Zugang zu Versicherungsschutz zu ermöglichen“. Dies gelte „in besonderem Maße auch für Menschen mit Vorerkrankungen“. Voraussetzung sei jeweils, dass das mit Abschluss der Versicherung durch den Versicherer übernommene Risiko kalkulierbar sei. „Vor diesem Hintergrund ist Standard Life grundsätzlich auch bereit, Menschen mit einer HIV-Infektion zu versichern“, sagt das Unternehmen. Im Rahmen des Antragsprozesses sei dabei eine „genaue Analyse des Einzelfalles erforderlich, um eine risikogerechte Annahmeentscheidung treffen zu können“. Im Ergebnis könne „vielen, aber nicht allen Betroffenen ein auf ihre individuelle gesundheitliche Situation abgestimmtes Angebot gemacht werden“.
Die Württembergische Lebensversicherung sieht sich als „Vorsorgeversicherer“, der bestrebt sei, seine „Kunden in allen Lebenslagen zu unterstützen und abzusichern, sofern dies mit den Interessen der Versichertengemeinschaft in Einklang zu bringen ist“. Entsprechend ihrer „aktuellen Annahmegrundsätze“ erkläre sie sich „grundsätzlich“ bereit, bei Kunden beziehungsweise potenziellen Kunden, bei denen eine HIV-Infektion festgestellt wurde, eine Absicherung gegen das Risiko Todesfall zu prüfen.
Risikozuschlag bei „günstigen Verläufen“
Bei „günstigen Verläufen“ sei derzeit beispielsweise „eine Versicherbarkeit gegen Vereinbarung eines risikoausgleichenden Zuschlags für eine begrenzte Laufzeit bis circa 20 Jahren möglich“. Zur Beurteilung sei unter anderem eine ausführliche medizinische Dokumentation mit Angaben zum Erkrankungsverlauf, zu Therapie sowie Laborwerten erforderlich. Für eine längere Absicherung sei der Beobachtungszeitraum seit Einführung der antiretroviralen Therapie noch zu kurz. „Die weitere Entwicklung werden wir intensiv beobachten“, so die Württembergische.
Theorie und Praxis
Die Frage ist nur, wie oft es tatsächlich dazu kommt, dass Menschen mit HIV Versicherungen abschließen können, die mit Fragen zur Gesundheit einhergehen.
„Ein Problem, das wir immer wieder sehen, ist die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis“, sagt Silke Eggers, Referentin für Soziale Sicherung und Versorgung bei der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH). So sehr es die DAH auch begrüße, dass sich die Versicherungen für das Thema öffnen, so sei es noch längst nicht erreicht, dass angemessen mit HIV umgegangen wird.
Stattdessen erlebten HIV-Positive es immer wieder, dass ihre Anträge ohne Prüfung abgelehnt werden. „Es werden keine objektiven Kriterien angelegt und veröffentlicht. Zumindest wirkt es so, dass Angebote vom Wissensstand und auch vom ‚Wollen‘ einzelner Personen abhängen“, kritisiert Eggers. Da scheine es oft Glückssache zu sein, ob man an einen Mitarbeiter gerät, der auf dem aktuellen Stand zu HIV ist, oder an einen, der Ängste oder Vorurteile hat.
Spätestens bei der Berufsunfähigkeits-Versicherung hört’s auf
Zudem zeigten die Rückmeldungen, dass sich erste Ansätze einer Öffnung lediglich auf Lebensversicherungen beziehen. „Berufsunfähigkeitsversicherungen und die meisten medizinischen Zusatzversicherungen bleiben Menschen mit HIV nach wie vor verwehrt“, so Eggers.
Tatsächlich gestehen Versicherer ein, bei der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsversicherung passen zu müssen. Da es sich bei einer HIV-Infektion und bei Aids um sehr komplexe Krankheitsbilder handele, seien die Auswirkungen der Erkrankung und der Therapie im Rahmen einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung nicht kalkulierbar, heißt es von den Konzernen. „Daher können wir dem betroffenen Personenkreis in diesem Bereich leider keinen Versicherungsschutz anbieten“, sagt zum Beispiel die HDI.
Tipps für den Antrag
Der Weg zu einer Police ist also nach wie vor sehr steinig. Einige Hürden können Betroffene umschiffen, indem sie den Vertragsabschluss vorausschauend und gezielt planen. Es empfiehlt sich, dafür auf die professionelle Hilfe von Patientenverbänden und unabhängigen Maklern zurückzugreifen.
Ein Makler kann zum Beispiel zunächst telefonisch bei den Gesellschaften abklären, bei welchen Anbietern es sich überhaupt lohnt, einen Antrag abzuschicken. Der große Vorteil dabei ist, dass der Makler dem Versicherer am Telefon keine persönlichen Daten des Kunden übermittelt, sondern erst mal nur allgemein anfragt, ob das angesprochene Risiko versichert werden kann.
Hilfe von Patientenverbänden und unabhängigen Maklern
„Wird die Frage bejaht, kann durch eine konkrete Voranfrage mit allen medizinischen Daten – manchmal sogar anonym – die Versicherbarkeit geklärt werden“, sagt der Vermittler Micha Schrammke, der auf Kunden mit schweren und chronischen Erkrankungen spezialisiert ist. Wie Silke Eggers empfiehlt auch Schrammke, erst einmal zu prüfen, ob es Angebote gibt, bei denen wenige, vereinfachte oder sogar keine Gesundheitsfragen gestellt werden.
Umar Choudhry ist freier Journalist und bloggt auf seiner Assekuranz-Zeitung.
* AachenMünchener Lebensversicherung AG, Concordia Lebensversicherungs-AG, Gothaer Lebensversicherung AG, HanseMerkur Versicherungsgruppe a.G., INTER Versicherungsgruppe, InterRisk Versicherungs-AG, Karlsruher Lebensversicherung AG, Mannheimer Versicherung AG, R+V Versicherung AG, wgv Württembergische Gemeinde Versicherung a.G., Zurich Lebensversicherung AG.
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