The Voice From Outer Space
Von welchem Planeten mochte dieses Wesen wohl stammen? Mit weißgeschminktem Gesicht, schrillem Cyber-Fiction-Styling und mephistophelisch zurückgekämmtem Haar erinnerte er an einen Alien. Und dann war da auch noch diese Stimme. Über mehrere Oktaven hinweg schraubte Klaus Nomi seinen Countertenor in die Höhe, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
Schrilles Cyber-Fiction-Styling
Alles zusammen, der theatralische, roboterhafte Auftritt, sein exzentrisches und dabei streng durchdesigntes Erscheinungsbild wie auch sein betörender Gesang machten aus ihm ein Gesamtkunstwerk. Die New Yorker New Wave- und Underground-Szene feierte den singenden Außerirdischen schon bald als ihren neuen Star. Und als 1978 David Bowie ihn als Backgroundsänger für einen Auftritt bei der Fernsehshow „Saturday Night Live“ engagierte, hatte Klaus Nomi kurz darauf einen Plattenvertrag.
Sechs Jahre zuvor hieß Nomi (ein Anagramm seiner Lieblingszeitschrift, dem Cyber-Punk-Science-Fiction-Blatt OMNI) noch Klaus Sperber und träumte lediglich von einer Gesangskarriere.
In seiner Allgäuer Heimat hatte er sich zunächst zum Konditor ausbilden lassen, am Theater Essen schaffte er es immerhin als Statist auf die Bühne.
Aus Klaus Sperber wird Klaus Nomi
In Berlin nimmt er Gesangsunterricht, tritt gelegentlich im schwulen Club Kleist-Casino auf und verdient sich seinen Lebensunterhalt an der Deutschen Oper – nicht als Sänger, sondern als Platzanweiser. Als er 1972 nach New York City übersiedelt, unterschlägt er dieses kleine Detail in seinem Lebenslauf. Doch auch in der brodelnden US-Metropole kommt seine künstlicher Laufbahn zunächst nicht voran, und so bleibt vorerst nur der Job in einer Patisserie.
1976 lernt er bei seinen Bemühungen, sich sängerisch und künstlerisch weiterzubilden, den Gesanglehrer Ira Siff kennen. Der erkennt zwar Sperbers außerordentliche Fähigkeit zum Falsettgesang, rät ihm aber, sich für die Tenorstimme zu entscheiden, weil an hochsingenden Männern zu dieser Zeit noch keinerlei Bedarf bestand.
Der Mann aus dem Allgäu wird zur androgynen Kreatur
Seine exzentrische Künstlernatur lebt Sperber eine Zeitlang noch in anderen Projekten aus, etwa als Loreley in Charles Ludlams Wagner-Parodie „Der Ring Gott Farblonjet“. Ende der 70er Jahre ist der junge Mann aus dem Allgäu schließlich so weit, um Klaus Sperber hinter sich zu lassen und sich in Klaus Nomi zu verwandeln. Als androgyne Kreatur zieht er durch die Bars und Hinterhofbühnen des East Village. Die unfassbar hohe Stimmlage macht es den Zuschauern unmöglich, zu enträtseln, ob es sich beim Künstler um einen Mann oder eine Frau handelt.
Der Künstler Kenny Scharf entwirft ihm nun die extravaganten Kostüme, und Nomi findet sich in der noch jungen New Wave-Szene bald in einer gemeinsamen Familie mit anderen Jungstars wie Madonna, Jean-Michel Basquiat und Keith Haring wieder. Die französische Dependance der Plattenfirma RCA, die ihn unter Vertrag genommen hat, investiert viel Geld in die Produktion und Promotion seines Debütalbums, überlässt Nomi aber völlige künstlerische Freiheit. Der nutzt sie und betritt mit seinem Crossover aus Oper, Pop und Wave musikalisches Neuland.
Einer der ersten prominenten Aidskranken
Neben maßgeschneiderten eigenen Songs interpretiert er Arien unter anderem aus „Samson und Deliah“, aber auch das Lied „Ding Dong“ aus dem Filmmusical „Der Zauberer von Oz“. 1980 macht er sich auf zur ersten Welttournee, erobert Europa und kehrt 1982 nach New York zurück, um sein zweites Album „Simple Man“ aufzunehmen.
Während dieser Zeit erkrankt Nomi an Aids. Gegen die neue Krankheit und die mit ihr einhergehenden opportunistischen Infektionen, mit denen Nomi in schneller Abfolge zu kämpfen hat, weiß die Medizin in jenen Tagen noch wenig auszurichten.
1982 reist Nomi noch einmal für wenige Auftritte nach Europa. Er ist sich bewusst, dass dies seine Abschiedstournee sein wird. In der ersten Ausgabe von Thomas Gottschalks Fernsehshow „Na so was!“ singt er den „Cold Song“ aus Henry Purcells Oper „King Arthur“, bis heute eine der bekanntesten Nomi-Aufnahmen überhaupt.
Klaus Nomi wirkt zu diesem Zeitpunkt bereits stark ausgezehrt, sein körperlicher Verfall ist unübersehbar. Dennoch verzichtet Nomi auf einen Playback-Auftritt und kämpft sich mit letzter Kraft und ergreifender Leidenschaft durch die Arie. Deren letzte Verszeile lautet „Let me, let me freeze again to death“.
Der internationale Durchbruch zum Greifen nah
Als Klaus Nomi am 6. August 1983 mit 39 Jahren im New Yorker Memorial Sloan-Kettering Cancer Center stirbt, ist sein internationaler Durchbruch zum Greifen nah. Den Zenit seines Erfolgs aber hatte er noch lange nicht erreicht. Seine LP „Encore“ erscheint bereits posthum.
Andrew Horn hat mit „Nomi Songs“ aus den wenigen überlieferten Dokumentaraufnahmen und Interviews mit Freunden und Weggefährten ein vielschichtiges Porträt collagiert: einerseits der androgyne, narzisstische Nomi, der sich erst zur Kunst-, dann zur Kultfigur formt; andererseits der krankhaft schüchterne, äußerst sensible Privatmensch Sperber.
„The Nomi Song“, 2004 bei der Berlinale als bester Dokumentarfilm mit dem Teddy Award ausgezeichnet, ist bei Indigo auf DVD erschienen. Dem Film sind auch die hier verwendeten Szenenfotos entnommen.
Weiterführende Links:
Offizielle Seite des Films „The Nomi Song“
Fan-Seiten zu Klaus Nomis Leben und Werk
Fanseite zu Nomis unvollendetem Opernprojekt „Zabakdaz“
Diesen Beitrag teilen