Seit seinem Coming-out als trans Mann wird unser Kolumnist Linus Giese immer wieder mit seltsamen Vorstellungen von seinem Körper und von der Transition konfrontiert. Er sagt: Some men have vaginas, get over it!

„Hast du Angst vor dem Penis-Aufbau?“, wurde ich letztens gefragt. Die Frage ist interessant, weil sie viel darüber verrät, wie über trans Menschen gedacht wird. Auch beim Onlinedating passiert mir das in unterschiedlichen Varianten immer wieder: „Bist du operiert?“, „Hattest du schon die OP?“, „Wie ist denn dein Zeitplan für die OP?“, „Aber die Brüste lässt du dir schon noch machen, oder?“

Seltsame Vorstellungen von der Transition

Viele Menschen, die nicht trans sind, haben eine seltsame Vorstellung davon, wie eine sogenannte Transition aussehen kann. Ich glaube, Schuld daran sind oft die Medien. Wenn es Artikel über trans Themen gibt, finden sich dort häufig Formulierungen wie: „Sie hat das Geschlecht gewechselt“, „Von der Frau zum Mann“, „Geschlechtsumwandlung“. Und ebenfalls ein Klassiker: „Er wurde im falschen Körper geboren.“

„Ich bin nicht im falschen Körper geboren“

Ich bin nicht im falschen Körper geboren. Ich steige auch nicht in einen Kleiderschrank, und habe, wenn ich wieder heraustrete, mein Geschlecht gewechselt. Ich wechsle mein Geschlecht nicht: Mir wurde bei der Geburt ein falsches Geschlecht zugewiesen, und ich habe nun endlich die Chance, meinen Körper nach meinen Bedürfnissen und Wünschen zu modifizieren.

Alles kann, nichts muss

Als trans Mann habe ich unterschiedliche Möglichkeiten: Ich kann eine Hormontherapie beginnen, ich kann mir die Brust entfernen lassen, ich kann mir die Gebärmutter entfernen lassen – und ich kann mir ein Klitorispenoid oder einen Penis-Aufbau machen lassen. Letzteres bedeutet: Ich kann mir aus einem Stück Unterarmgewebe einen Penis formen lassen.

Nichts davon ist verpflichtend, nichts davon wird zwangsläufig gemacht. Jeder trans Mann entscheidet individuell für sich, welche Änderungen er sich wünscht und welche Änderungen er für sein Wohlbefinden braucht.

Auch als ich darüber vor Kurzem auf Twitter schrieb, waren die Reaktionen interessant: Ich bekam Kommentare wie „Du bist okay so, wie du bist“ und „Dein Körper, deine Entscheidung“. Das ist nett gemeint, doch klingt es in meinen Ohren etwas seltsam, denn natürlich bin ich okay so, wie ich bin.

„Nichts davon macht mich mehr oder weniger zu einem Mann“

Ich wünsche mir bestimmte Veränderungen, um mich wohler zu fühlen. Ich wünsche mir eine tiefe Stimme, einen Bart und eine flache Brust. Aber nichts davon macht mich mehr oder weniger zu einem Mann.

Die Vorstellung, dass jeder trans Mensch automatisch ein Komplettpaket bucht, ist vermutlich in einem binären Denken begründet: Männer brauchen einen Penis und dürfen keine Brüste haben, erst dann sind sie ein „richtiger“ Mann. Deshalb muss man mir auch bestätigen, dass es schon okay ist, wenn ich genau das nicht möchte.

Viele trans Männer entscheiden sich gegen einen Penis-Aufbau

Kürzlich las ich über eine Studie aus den USA: 72 Prozent der darin befragten trans Männer entschieden sich gegen einen Penis-Aufbau (und 44 Prozent gegen ein Klitorispenoid, bei dem der chirurgische Aufwand geringer ist).

Die Gründe sind vielfältig: Ohne eine ausreichende Krankenversicherung können sich viele eine OP schlichtweg nicht leisten. Andere haben Angst vor dem großen operativen Eingriff: Trans Männer, die sich dafür entscheiden, verbringen fast sieben Monate im Krankenhaus. Und dann gibt es welche, die keine Genitaloperation brauchen, weil sie mit ihrer Vagina leben können – oder sogar zufrieden damit sind.

„Wir sehen in den Medien zu selten Körper wie meinen“

Dazu gehöre ich. Ich lebe ganz gut mit meiner Vagina – sie stört mich nicht, sie ist ein Teil von mir. Ich habe einen Pullover mit dem Satz: Some men have vaginas, get over it. Ich habe ihn schon länger nicht mehr getragen, doch ich glaube, ich sollte ihn mal wieder aus dem Schrank holen.

Wir sehen in den Medien, im Internet, in Filmen, in Pornos viel zu selten Körper wie meinen. Doch das macht ihn nicht weniger schön, nicht weniger erfüllend, nicht weniger begehrenswert. Ich spreche über mich und zeige mich, um anderen vielleicht Mut machen zu können, den eigenen Körper anzunehmen – auch wenn er nicht die Erwartungen der Gesellschaft erfüllt.

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Über

Linus Giese

ist studierter Germanist, trans* Aktivist und seit 2017 queereinsteigender Buchhändler. Auf magazin.hiv schreibt er eine Kolumne rund um das Thema sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung

4 Kommentare

  1. Grundsätzlich finde ich den Artikel in Ordnung. Was mich aber immer wieder stört bei vielen Artikeln oder Dokus; warum wird immer wieder erwähnt, wie der Penis Aufbau gemacht wird? Das erschwert es nur für die, die sich dafür entscheiden, denn es ist blöder je mehr Menschen wissen woher gewisse Narben stammen könnten. Schreibt doch einfach „aus Hautgewebe“ und lasst „Unterarm“ weg. Abgesehen davon kann man auch das Bein nutzen.
    Und ich frage mich auch, woher „7 Monate Krankenhaus“ stammen.

  2. Lieber Linus,

    mich macht ein bisschen der leicht genervte bzw verächtliche Unterton in dem Artikel traurig.
    Ich bin eine heterosexuelle 45jährige Frau und ich habe schlicht noch nicht viel Kontakt mit dem Thema Transgender gehabt.
    Ich bin einfach neugierig und hauptsächlich verwirrt weil ich mich noch nicht auskenne.

    Wenn dann in dem Artikel steht:
    “ immer wieder mit seltsamen Vorstellungen“

    dann denke ich: nicht soviel über ein Thema zu wissen, ist nicht seltsam.

    „weil sie viel darüber verrät, wie über trans Menschen gedacht wird“

    Ich denke überhaupt nicht in bestimmter Weise über trans Menschen – ich kenne mich schlicht noch nicht aus.
    Auf einer Pornoplattform habe ich kürzlich ein Video gesehen von einem beharrten Mann mit einer Vagina.
    Hier mal zur Veranschaulichung was meine Reaktion war:
    Ich war einfach nur verwirrt: Ist das ein Mann, der sich eine Vagina operieren hat lassen? Aber warum hat er dann keine Brüste?
    Oder war das mal eine Frau, die durch eine Hormonbehandlung männlich aussieht? Aber warum hat sie dann noch eine Vagina?
    Oder ist dieser Mensch mit gemischten Geschlechtsmerkmalen auf die Welt gekommen?
    Wünscht sich dieser Mensch jetzt Sex mit Frauen oder Männern? Oder beiden?

    Was ist an solchen Fragen seltsam?
    Du kennst dich vermutlich auch mit einigen Themen nicht aus, wo ich viel Wissen habe weil es mich selbst betrifft.

    Auch dein Pullover-Aufdruck:
    “ Some men have vaginas, get over it.

    Hat so etwas latent Genervtes, Barsches.
    Vielleicht einfach mal dran denken, dass Menschen ihr eigenes Leben haben und sich nicht jeden Tag mit Trans beschäftigen und daher logischerweise Fragen stellen und Dinge annehmen die darauf zurückzuführen sind, dass ihnen die Erfahrung mit dem Thema fehlt.

    Tina

  3. Als ich vor ca 3 einhalb Jahren als lesbische Frau das erste mal mit dem Thema Gender in Berührung kam, weil meine „Frau“ sich nach 20 Monaten Beziehung zum Mann outete, so gelesen werden wollte ohne operative Veränderung, – riß es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich konnte diese Beziehung nicht aufrecht erhalten, weil mein Gehirn nichts damit anzufangen wusste, mit der andersartigen menschlichen Ausrichtung umzugehen. In mir entstand eine tiefe Blockade, mein Körper sperrte sich und mich, weil fehlendes Wissen zu Irritation geführt hat.

    Nun lerne ich am 1. Dez 2023 einen neuen, lieben Menschen real kennen, der mir Ende Oktober auf meine Kontaktanzeige *Sie sucht Sie* geantwortet hatte und mich sofort darüber aufklärte, dass er sich trotz weiblicher Merkmale schon immer männlich gefühlt und gegegben hat und jetzt laut Ausweis einen männlichen Vornamen trägt, nachdem die Entfernung der Brust erfolgt ist.

    Doch wieder war meine Reaktion eine negative, weil ich mit dem Anderssein nicht mehr beschäftigen wollte.
    Da ich aber inzwischen mein Wissen darüber ausgeweitet hatte, bot ich ihm meine Freundschaft an, weil er in seiner Art sehr höflich in der Textformulierung war und irgendwie auch nicht locker ließ, weil er sich schon in meinem maritimen Anzeigentext „Seesüchtig“ verliebt hatte.

    Und nun, – nach unzähligen Telefonaten, in denen wir unverblümt offen über gänzlich alles sprachen- hat sich zwischen uns soviel Gefühl, Verbundenheit und Liebe aufgebaut, dass wir uns sogar eine gemeinsame Zukunft vorstellen können.

    Jetzt muss und möchte ICH meine letzte Hemmnis verlieren und ihm auch körperlich zeigen, dass er neben mir so sein kann und soll, wie er ist. Schließlich habe ich mich nicht in sein Geschlecht verliebt, sondern in diese wundervolle Seele von Mensch.
    Er gibt mir Halt, nimmt mir meine Ängste und meinte ganz zärtlich:

    „Lass dich doch einfach mal überraschen und denke nicht soviel darüber nach. WIR schaffen das, gemeinsam diesen Prozess zu durchlaufen-, auch wenn es am Anfang unserer Liebe vielleicht nur kleine, zaghafte Schritte sind. Du bist nicht allein, ich stehe IMMER hinter dir.
    Beziehe mich nur bitte in deine Sorgen, Ängste und Gedanken mit ein, nur so kann ich dir auf Alles eine Antwort geben. Denn nur wenn ich weiß und spüre, was dich bedrückt und wie du fühlst kann auch ich mich öffnen und der sein, der ich bin.“

    Mein Zug bringt mich am Freitag von Ostfriesland nach Karlsruhe und am Bahnsteig dort wird ein wundervoller 1,90 m Mann die kleine empathische 1,60 m Frau endlich in die Arme schließen können.
    Das lange Warten hatte auch sein Gutes : Wir haben uns in 4 Wochen so tief kennengelernt, wie manche Paare es oft in Jahren nicht schaffen.
    Jetzt könnte es ein happy End werden und die Zeit der erbarmungslosen Sehnsucht würde ihr Ende erreichen …

    Bestenfalls werden wir unsere Liebe in einem Buch verfassen und ihr werdet lesen können, wie man sich Neuem stellen kann, wenn man Ängste ausräumt und diese gemeinsam überwindet.

    Und wenn man dass auch im reiferen Alter von 60 plus noch schafft, dann k a n n daraus nur Liebe werden.

    Im Namen der Liebe
    Renate 62 & Tilon 64

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