Was von der Liebe bleibt
Wortlos sitzen sie im Taxi nebeneinander und wenden den Blick voneinander ab. Auch zuvor, als Günther (Dieter Mann) seinen Lebensgefährten vom Krankenhaus abholte, wurde nur das Nötigste gesprochen. Ist es Wut, was sich da in Günthers Gesicht abzeichnet, Wut darüber, dass sich Bernhard (Martin Seifert) gegen den Rat der Ärzte entlassen ließ? Oder vielleicht doch das Erschrecken darüber, dass das Unvermeidliche bald geschehen wird?
Sie können sich zwar nicht in die Augen schauen, aber ihre ineinandergelegten Hände zeigen, dass sie keineswegs zerstritten sind, im Gegenteil. Unzertrennlich, bis in den Tod. In diesem Moment stirbt Bernhard, lautlos und unbemerkt. Später, auf der Beerdigung, wenn der Sarg in die Erde hinabgelassen wird, steht Günther abseits der Trauergemeinde und blickt auch hier demonstrativ zur Seite. Als wäre das Unerträgliche damit zugleich auch ungeschehen.
„Vergiss dein Ende“ ist der Diplomfilm des 33-jährigen Regisseurs Andreas Kannengießer, der wie auch sein Kameramann Stefan Fallucchi und Drehbuchautor Nico Woche an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ studiert hat. Man mag es bedauern, dass Kannengießer, statt gradlinig und in großem Bogen zu erzählen, auf eine eher offene Dramaturgie setzt. Das erschwert zunächst den Einstieg in die Geschichte, schmälert aber nicht die Wucht, mit der viele Szenen auf den Zuschauer einwirken.
Der Pflegealltag wird drastisch, aber zugleich ehrlich und würdevoll geschildert
Stoisch und mit großer Würde reagiert Günther auf den Tod seines Mannes und flieht überstürzt zu ihrem Ferienhäuschen an der Ostsee. Unbemerkt ist ihm die Nachbarin Hannelore (Renate Krößner) gefolgt. Zurückgelassen hat sie ihren demenzkranken Ehemann Klaus (Hermann Beyer), dessen Pflege ihre physischen und psychischen Kräfte zunehmend überfordert. Nun sitzt ihr gemeinsamer Sohn Heiko (Eugen Krößner) allein mit dem Vater in der Wohnung und weiß nicht, wie er diese Situation bewältigen soll.
Was es heißt, mit einem Demenzkranken zu leben, ihn ohne professionelle Hilfe zu pflegen, zeigt Kannengießer, der wie sein Drehbuchautor eigene Erfahrungen als Krankenpfleger in diesen Film eingebracht hat, in aller Drastik. Hannelores Mann ist nicht mehr jener, in den sie sich einst verliebt hat, mit dem sie die längste Zeit des Lebens innig verbracht hat.
Nachts, wenn er ausnahmsweise ruhig neben ihr schläft, kuschelt sie sich an ihn, streichelt ihn mit begehrlicher Leidenschaft. Doch ihre Leidenschaft und Liebe wird schon lange nicht mehr erwidert, denn dieser Mann ist längst ein anderer, ein Fremder geworden. Verirrt und verschwunden im Nebel der langsamen Wirrnis.
Renate Krößner, Dieter Mann wie auch Hermann Beyer, allesamt große Namen des DEFA-Films, spielen das auf eine solch intime und direkte Weise, dass sie einen das Spielen tatsächlich vergessen lassen. Hannelores verzweifelte und unverbrüchliche Sehnsucht nach der längst verlorenen Nähe schnürt einem bisweilen die Kehle zu, angesichts dessen, was sie – aus Liebe, und eben nicht nur aus Pflichtgefühl – erträgt.
Dann beispielsweise, wenn sich ihr Gatte Klaus in einen rabiaten alten Mann verwandelt, der um sich schlägt, seiner Frau wütend ins Gesicht spuckt, den sie mit großer körperliche Anstrengung in die Badewanne hievt, um ihn von seinem Kot zu befreien – und der wenige Minuten später wieder hilflos und sanft wie ein kleines Kind ist.
In ihrem Verlust kommen sich die beiden nahe: Günther, der seinen Mann an den Krebs verloren hat und ihm nun nachfolgen möchte, und Renate, die ihren Mann geistig und körperlich entgleiten sieht, ihn aber nicht gehen lassen kann. Das alles mag schrecklich klingen, auch schrecklich nach Sozialdrama in Sachen Pflegenotstand und Lehrfilm über Demenz, eine Krankheit, an der gegenwärtig 1,2 Millionen Menschen in Deutschland leiden. All das aber ist „Vergiss dein Ende“ ganz gewiss nicht.
Der Film zeigt vielmehr, was es bedeuten kann, einen geliebten Menschen zu pflegen, den es so nicht mehr gibt.
Kannengießer ist so aufrichtig und künstlerisch souverän, dass er den Figuren auch in extremen psychischen Situationen ihre Würde belässt. Möglich macht das auch die Könnerschaft und Souveränität der Darsteller. Dieter Mann als Günther schottet sich mit einer grimmigen Unnahbarkeit ab, um die Angst vor der nun drohenden Witwereinsamkeit nicht thematisieren zu müssen. Renate Krößner irrlichtert als Hannelore zwischen greifbarem Burn-out, unverbrüchlichem Lebenswillen und naiver, unverstellter Sehnsucht nach der Liebe, wie sie einst zwischen ihr und ihrem Mann bestand.
Der Film bleibt kitschfrei – und wirkt so umso mehr nach
Der Regisseur erspart ihnen und dem Zuschauer den konventionellen Weg zum Happy End, mit dem Filme dieser Art zumeist in Gestalt einer sich ankündigenden neuen Liebe die Schicksalsschläge erträglich und vergessen machen lassen wollen. Doch Kannengießer bleibt ehrlich, seine Darsteller bleiben wahrhaftig und der Film kitschfrei – und wirkt so umso mehr nach. Denn „Vergiss dein Ende“ ist in seinen besten Momenten wohl ein anrührendes, aber nie sentimentales Melodram, das vor allem von einem erzählt: von der Liebe, die Paare auch über Krankheit und Tod hinaus zu verbinden vermag.
„Vergiss dein Ende“. D 2011. Regie: Andreas Kannengießer. Mit Renate Krößner, Dieter Mann, Martin Seifert, Hermann Beyer, Eugen Krößner. 93 min. Kinostart 22. 9.
Trailer zum Film: http://www.youtube.com/watch?v=MI6nFuFPCg8 und
www.trailerseite.de/film/11/vergiss-dein-ende-film-kino-trailer-20826.html
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