HERAUSRAGEND

Amnesty-Menschenrechtspreis für Alice Nkom

Von Axel Schock
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Alice Nkom
Alice Nkom, Trägerin des 7. Amnesty-Menschenrechtspreises (Foto: © Amnesty International)

Für ihren Einsatz für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender wird die Rechtsanwältin Alice Nkom aus Kamerun heute mit  dem 7. Amnesty-Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Axel Schock hat die 69-Jährige zur Situation in ihrem Land und den Folgen ihres Engagements befragt.

Alice Nkom, was hat Sie dazu bewogen, sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Inter*-Menschen (LGBTI) einzusetzen?

Vor etwa zehn Jahren kamen vier junge Männer in meine Kanzlei, weil sie sich in Kamerun niederlassen wollten. Ich begriff sofort, dass sie mehr als einfach nur Freunde waren, und machte ihnen vorsichtshalber klar, dass Homosexualität in Kamerun unter Strafe steht. Ihre traurigen Gesichter machten mich betroffen, und ich sagte mir, dass ich mehr tun musste, als ihnen nur zu sagen: „Ihr könnt hier leider nicht glücklich werden – und vor allem, zeigt es niemandem!“ Damit begann mein Engagement für das Recht auf einvernehmliche Liebe zwischen Erwachsenen gleich welchen Geschlechts.

Welche Folgen hat dieses Engagement für Sie selbst?

„Ich wusste, dass dieser Kampf seinen Preis haben würde“

Als ich beschloss, mich für die Rechte von Homosexuellen einzusetzen, die durch den Artikel 347a das Strafgesetzbuchs stark eingeschränkt sind [er sieht bis zu fünf Jahre Haft und Geldstrafen für homosexuelle Handlungen vor, d. Red.], wusste ich, dass dieser Kampf seinen Preis haben würde. Und auch, dass mir dieser Kampf zahllose Gespräche und viel Überzeugungsarbeit abverlangen würde. Ich hätte aber nie mit dem gerechnet, was mir gegenwärtig passiert: Es gibt Drohungen gegen mich und auch gegen meine Familie, und man versucht mich in meiner Berufsausübung als Anwältin unter Druck zu setzen.

Sie haben den „Verein zur Verteidigung der Rechte von Homosexuellen“ (ADEFHO) gegründet, der LGBTI Aufklärung, Rechtsberatung, medizinische und psychologische Betreuung bietet.

Alice Nkom
Die Rechtsanwältin Alice Nkom kämpft seit zehn Jahren für die Rechte von LGBTI in Kamerun (Foto: © Amnesty International)

Ja, und ich musste all meine Überzeugungskraft einsetzen, um ihn bei der zuständigen Präfektur eintragen zu lassen. Dazu habe ich den Artikel 347a beziehungsweise die Verfassung des Landes auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gegeneinander aufgewogen – und damit vergleichsweise leicht einen Etappensieg errungen. Ich hatte daher große Hoffnung, dass sich dieser Weg so fortsetzen würde. Aber schon bald kam die erste große, unangenehme Überraschung: ein Antrag, mich aus der kamerunischen Anwaltskammer auszuschließen, weil ich angeblich das Verbrechen der Homosexualität gerechtfertigt hätte. Eingereicht worden war der Antrag von einer ominösen Richtervereinigung unter Vorsitz des Leiters der Abteilung Menschenrechte des Justizministeriums … Und bald darauf kamen Morddrohungen über sämtliche bei uns im Land verfügbare Kommunikationskanäle: Soziale Netzwerke, Fernsehen, Radio, E-Mail und SMS … da wurde nichts ausgelassen.

Welche Folgen hatte das für Ihre Arbeit?

Die Türen des Justizministeriums sind für mich verschlossen – obwohl es von einem Freund aus Kindertagen und Promotions-Kommilitonen der Universität Douala geleitet wird. Der aber verweigerte das Gespräch über dieses  so wichtige Menschenrechtsthema. Vielleicht erklärt das auch die Tatsache, dass meine Strafanzeigen, die ich aufgrund der Bedrohungen gestellt habe, unbeachtet blieben und ich demzufolge von meinem Land keinerlei Schutz mehr zu erwarten habe.

Sehen Sie eine Entwicklung in Ihrem Land, was die Rechte und Lebensbedingungen von LGBTI angeht? Verschlechtert sich die Situation oder gibt es Hoffnung auf eine liberalere Atmosphäre?

„Ich habe von meinem Land keinen Schutz mehr zu erwarten“

Ich sehe in der Tat eine positive Entwicklung. Der erste Schritt bestand zunächst einmal darin, das Thema überhaupt öffentlich zu machen und das von der Gesellschaft aufgezwungene Schweigen zu brechen. Ein Tabu, das LGBTI dazu verdammte, stumm zu leiden und vergessen zu werden. Inzwischen können die Menschen in Kamerun nicht mehr ignorieren, dass es Homosexuelle gibt und dass man ihnen ihre Menschenrechte verweigert. Und wir wissen auch, dass diese Diskriminierung sie allmählich zerstört, weil man ihnen damit ihre Zugehörigkeit zur Menschheit abspricht.

Worauf gründet sich Ihre Hoffnung auf Veränderung?

Gegenwärtig sind zwei Verfahren beim Obersten Gerichtshof Kameruns anhängig, deren Ausgang ausschlaggebend für die Fortsetzung unseres Kampfes sein wird, um eine Entkriminalisierung von Homosexualität zu erwirken. Das Gericht wird darüber urteilen müssen, ob der Artikel 347a des Strafgesetzbuchs, der Homosexualität unter Strafe stellt, angewendet werden darf, obwohl er diskriminierend ist und im Widerspruch zur kamerunischen Verfassung und zu internationalen Verträgen steht.

Jean-Claude Roger Mbédé und Alice Nkom Foto privat
Roger Mbédé, 2011 wegen einer Liebes-SMS verurteilt, starb im Januar 2014 (Foto: privat)

Die Diskriminierung von Homosexuellen behindert immer auch die HIV-Prävention. Wie sieht das in Kamerun aus?

Wir bemühen uns zurzeit bei ADEFHO darum, das genauer zu erfassen. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Verurteilung zweier junger Männer zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe durch das Gericht in Yaoundé. Man wirft ihnen vor, Präservative mit zweideutiger Aufschrift besessen zu haben, weil auf der Verpackung steht: „Glisse entre mecs“. [Wörtlich: Gleitet zwischen Männern, übertragen als Produktwerbung: Wird unter Männern gern weitergereicht, weiterempfohlen; d. Red.]. Dieses Urteil ist ein schwerer Schlag gegen die Aidsprävention und widerspricht sämtlichen Kampagnen kamerunischer NGOs zur Werbung für Präservative, allen voran jene unter der Leitung unserer First Lady Chantal Biya.

Können denn die NGOs oder ihre internationalen Geldgeber nichts dagegen unternehmen?

„Die Homophobie ist vor allem eine staatliche“

Doch, man muss die kamerunische Regierung mit Nachdruck fragen, wie es denn sein kann, dass der Gesundheitsminister einerseits einen Teil der vielen Gelder von der internationalen Gemeinschaft für die HIV-Prävention unter besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie Homosexuellen einsetzt, während gleichzeitig die Justiz und der Regierungssprecher alles daransetzen, Festnahmen und Verurteilungen für genau diese Bevölkerungsgruppen zu rechtfertigen. Der Fall der beiden jungen Männer, die zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurden, weil sie ein Präservativ benutzt haben, das Grundwerkzeug im Kampf gegen die Geißel Aids, ist außerordentlich besorgniserregend. Von der Regierung muss daher eine Erklärung eingefordert werden, inwieweit ihre Politik gegenüber den Homosexuellen unseres Landes schlüssig zu nennen ist. Denn die jüngsten Statistiken zeigen nicht nur eine besorgniserregende Zunahme von HIV-Infektionen, sondern auch, dass diese mit der brutalen Unterdrückung von Homosexuellen in Kamerun zusammenhängt.

Alice Nkom (Foto: Amnesty International)
Alice Nkom (Foto: Amnesty International)

Wie lässt sich die Homosexuellenfeindlichkeit in Kamerun erklären?

Die Homophobie in Kamerun ist vor allem eine staatliche. Wenn Sie seit mehr als 30 Jahren ein Land im Alleingang regieren, aber nicht einmal die Versorgung mit Trinkwasser sicherstellen können, dann haben Sie natürlich Schwierigkeiten, dies der sogenannten Mehrheitsbevölkerung zu vermitteln. Aus diesem Grund sucht man nach anderen Themen: Religion, Alkoholausschank, Homosexuelle … Die Politik greift zu diesem Trick, um die Bevölkerung von den wahren Problemen abzulenken. Die Ursachen für die Unterdrückung der Homosexuellen in Kamerun sind deshalb vor allem in diesem Demokratiedefizit und in der fehlenden Rechtsstaatlichkeit zu suchen.

Was können Europa und die westliche Welt tun, um die Situation von LGBTI in Afrika zu verbessern?

„Wir brauchen eine globale Strategie gegen Homophobie“

Menschen- und Grundrechte  gelten über Grenzen hinweg. Wir brauchen deshalb auch eine globale Strategie im Kampf gegen die Homophobie in den einzelnen Ländern. Dieses Problem gibt es auf der ganzen Welt, und deshalb muss sich auch die gesamte Menschheit zu einer weltweiten Koalition zusammenschließen und sich für diese Rechte stark machen. Genauso, wie sie sich zusammengeschlossen hat, um gemeinsam das Ende der Sklaverei und der Apartheid zu erwirken und Aids gemeinsam den Kampf anzusagen. Es wäre falsch und ein großer Fehler anzunehmen, dass die Rechte von Homosexuellen keine Menschenrechte sind. Homosexuelle verdienen deshalb die Aufmerksamkeit und das Interesse aller Staatsoberhäupter. Deshalb zählen wir darauf, dass die Staatengemeinschaft uns dabei unterstützt, in Kamerun rechtsstaatliche Verhältnisse zu schaffen und diese zu festigen – indem über Bildungsprogramme in den Schulen Aufklärungsarbeit für die Bevölkerung geleistet wird, vor allem auch in den Ausbildungsstätten für unsere Justizbeamten, in Polizeiakademien, Verwaltungshochschulen, Rechtsfakultäten …

Was erhoffen Sie sich davon?

Die Polizei und der Rechtsapparat müssen mit ihren Entscheidungen dafür sorgen, dass Kamerun sich an internationales Recht und die Menschenrechte hält, wie sie von der Regierung unterzeichnet und ratifiziert wurden. Wir wünschen uns, dass hierbei den Medien und der Ausbildung von Journalisten ein hoher Stellenwert beigemessen wird.
Und schließlich muss die internationale Gemeinschaft mit geeigneten Instrumenten für die Unterstützung und den Schutz von Akteuren der Zivilgesellschaft Kameruns sorgen. Das betrifft vor allem engagierte Vereine und die Gemeinschaft der Homosexuellen.

Beitrag von Alice Nkom auf dem Amnesty-Blog: Liebe ist kein Verbrechen

Facebook-Seite von Alice Nkom

Weiterführende Informationen zur Preisträgerin und zur Situation von LGBT in Kamerun auf amnesty.de

Hintergrundbericht auf lemonde.fr zum Tod von Roger Mbédé (17.2.2014, in französischer Sprache)

 

 

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