AUSTRALIEN

HIV und Aids „down under“

Von Gastbeitrag
rote Sandstraße
Warnschild KängurusVom 20. bis zum 25. Juli findet in Melbourne die 20. Welt-Aids-Konferenz statt. Wie das Land „down under“ mit HIV und Aids umging und umgeht, beschreibt Peter Wiessner

Nachrichten aus Australien sind bei uns eher selten zu hören, was vermutlich mehrere Gründe hat. Das Land ist einfach weit weg. Vielleicht ist das Leben dort auch weniger aufregend als andernorts. Möglicherweise sind wir aber auch einfach nur ignorant oder zu sehr mit unseren Problemen in Europa beziehungsweise mit uns selbst beschäftigt. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem.

Auf europäischen Landkarten liegt Australien in aller Regel abseits, rechts unten auf der Südhalbkugel. Man spricht deshalb auch oft von „down under“, was so viel heißt wie „unten drunter“. Früher wurden vor allem Gefangene aus England „nach unten“ geschickt, da die Gefängnisse in der Heimat überfüllt waren und man sonst keine weitere Verwendung für Australien hatte. Zwischen 1797 und 1838 wurden beinahe 80.000 Sträflinge nach Australien deportiert. Das war mit dem Ausstoß aus der Gesellschaft gleichzusetzen: schlimmer konnte es kaum kommen. Australien galt damals als unwirtlicher Ort, gerade recht, um Kriminelle oder Unerwünschte abzustrafen.

Das ist heutzutage natürlich anders. Australien gilt mittlerweile als exotisches Reiseziel und wird gerne von Touristen besucht. Viele Menschen möchten dort auch gerne leben und arbeiten, was für die meisten aber ein unerreichbarer Traum bleibt. Der mit etwa 7,7 Millionen Quadratkilometern sechstgrößte Staat der Erde, 21,5 Mal größer als Deutschland und mit 22 Millionen Einwohnern eher dünn besiedelt, schottet sich ab: Die „Das-Boot-ist-voll“-Ideologie führt zu Fremdenfeindlichkeit und zu einer restriktiven Einwanderungspolitik.

Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen: Es tut sich was

Auch und gerade für Menschen mit HIV war es bislang schwierig, ein Visum für die Einreise oder den Aufenthalt in Australien zu bekommen. Gesundheitschecks inklusive HIV-Test hatten das Ziel, Menschen mit HIV und andere, die für das Gesundheitssystem zur Belastung werden könnten, auszugrenzen. Menschen mit HIV hatten nur dann eine Chance, für längere Zeit ins Land gelassen zu werden, wenn sie dort familiäre Bindungen hatten oder nachweislich über genügend finanzielle Ressourcen verfügten, um gegebenenfalls ihre Behandlung zu finanzieren. Darin spiegelte sich die Angst wider, dass Menschen mit HIV andere Gesundheitssysteme ausbeuten könnten – eine Angst, die von vielen Ländern geteilt wird und bisher nirgends belegt werden konnte. Außer Betracht gelassen wird hier auch, dass die meisten Menschen mit HIV arbeiten können und ihren Beitrag zum Aufbau der Gesellschaft leisten.

HIV- und Menschenrechtsaktivisten haben in Kooperation mit UNAIDS und der International AIDS Society, der Ausrichterin der Welt-Aids-Konferenzen, immer wieder internationale Konferenzen genutzt, um Länder zum Überdenken diskriminierende Einreisebestimmungen zu bewegen: Internationale HIV-Konferenzen wurden lange Zeit nur dort abgehalten, wo die Einreise von Menschen mit HIV nicht diskriminiert wird. Das hat sowohl bei den USA als auch in anderen Ländern gut funktioniert. Die Welt-Aids-Konferenz konnte erst dann in Washington stattfinden, nachdem die USA das Einreiseverbot für Menschen mit HIV aufgehoben hatten.

Auch „down under“ scheint sich hier etwas zu bewegen. In einer Presseerklärung vom 10. Juli begrüßte UNAIDS die Bestätigung der australischen Regierung, dass Menschen mit HIV in Australien zukünftig bei der Beantragung der Einreise und Aufenthaltsvisa keine automatische Ausgrenzung mehr zu befürchten hätten. Zwar muss für die Beantragung längerer Aufenthalte nach wie vor ein HIV- und Hepatitis-B-Test vorgelegt werden, doch verspricht die Regierung, dass HIV wie andere chronische Erkrankungen auch behandelt wird. Ob dies tatsächlich zu einer anderen Handhabung führen wird, bleibt abzuwarten.

Noch 2007 hatte der damalige australische Ministerpräsident Howard geplant, die Bewegungen einreisender Menschen mit HIV elektronisch überprüfen zu lassen, weil sie ein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellten könnten. Die European AIDS Treatment Group erinnerte ihn damals in einem offenen Brief daran, dass derlei Maßnahmen lächerlich, populistisch und inadäquat sind. Howard wurde später für seine populistischen Eskapaden von der eigenen  Bevölkerung abgestraft und nicht wieder ins Amt gewählt. Die derzeitige Regierung tut gut daran, das beschädigte Image des Landes durch geeignete Maßnahmen aufzupolieren, und versteht es, die Welt-Aids-Konferenz dafür zu nutzen.

Insgesamt niedrige Infektionszahlen

Dass Populismus à la Howard mit Ängsten spielt und die Fakten ignoriert, belegen die niedrigen Infektionszahlen des Landes. Nach Angaben des Landesberichts 2012 von UNAIDS lebten dort Ende 2010 ca. 25.000 Menschen mit HIV, die geschätzt 15 Prozent Nichtdiagnostizierten bereits eingerechnet. Bei 22 Millionen Einwohnern liegt die Prävalenz damit bei ca. 0,1 Prozent, pro Jahr kommen derzeit etwa 1.000 Neuinfektionen hinzu. Wie bei uns auch konzentriert sich die Epidemie auf vulnerable, also besonders verletzliche, gefährdete Gruppen – vor allem auf Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben: (MSM) Zwei Drittel der zwischen 2006 und 2010 neu diagnostizierten Infektionen geschahen beim Sex zwischen Männern, 25 Prozent bei heterosexuellen Kontakten, 3 Prozent beim intravenösen Drogengebrauch. Die Infektionsrate unter Sexarbeiterinnen wird als extrem niedrig eingeschätzt. Insgesamt gaben 80 Prozent aller mit HIV diagnostizierten Personen in Australien als wahrscheinlichen Übertagungsweg Sex zwischen Männern an. Bei geschätzten 180.000 schwulen und bisexuellen Männern in Australien berechnet UNAIDS die Prävalenz unter MSM auf 11 Prozent. Nicht weiter erstaunlich ist dabei, dass sich die Epidemie hauptsächlich auf die großstädtischen Regionen wie Sydney, Melbourne, Brisbane und Adelaide konzentriert.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist die Prävalenz unter den Aborigines, den Ureinwohnern Australiens, und den Inselbewohnern auf den Torres-Strait-Inseln mit 0,13 Prozent etwas höher. Dies verweist vor allem auf Unterschiede bei den ökonomischen Ressourcen und auf Barrieren für den Zugang zu Bildung, Informationen und zum Versorgungssystem.

Nationale HIV-Strategien seit 1989

Die insgesamt niedrigen HIV-Raten können sicher auch als Erfolg der bisherigen HIV-Strategien des Landes verbucht werden. Australien hat sehr früh und umfassend auf HIV regiert, die erste nationale HIV-Strategie wurde bereits 1989 umgesetzt. Von Beginn an hat sich die Regierung Australiens dabei auf Präventionsprogramme für die hauptsächlich von HIV betroffenen Gruppen konzentriert und dabei immer auch die Zivilgesellschaft als Partner einbezogen. HIV-Community-Organisationen werden seitdem durch Landes- und Regionalregierungen finanziert und unterstützt und sind Partner bei der Programmplanung, -durchsetzung und -umsetzung.

Der gegenwärtigen national-liberalen Regierung unter Ministerpräsident Tony Abbott ist durchaus bewusst, dass sie durch die Welt-Aids-Konferenz im Rampenlicht der internationale HIV-Community steht. Sie möchte ein gutes Bild abgeben und nutzt die Konferenz, um ihre HIV- und Gesundheitspolitik entsprechend darzustellen.

Vor wenigen Tagen zum Beispiel wurde die siebte Nationale HIV-Strategie vorgestellt, die in Kooperation mit den regionalen Gesundheitsbehörden, den maßgeblichen überregionalen HIV-Netzwerken, wissenschaftlichen Institutionen, Vertretern der Community und Medizinern entwickelt und verabschiedet wurde. Die Ziele sind durchaus ehrgeizig: Ab 2020 soll es zu keinen HIV-Neuinfektionen mehr kommen. Vorgesehen ist dazu auch die Abstimmung der gesundheitspolitischen Ansätze zu HIV, Hepatitis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen.

Heimtests und niedrigschwelliger Zugang zu HIV-Therapien

Um die vorgegebenen Ziele zu erreichen, stellt die Regierung zusätzliches Geld zur Verfügung, wodurch innovative Programme für Aborigines, für Menschen aus ländlichen Versorgungsstrukturen, für Drogengebrauchende und für Australier mit kulturellen und sprachlichen Unterschiedlichkeiten (bei uns würde man wohl „Menschen mit Migrationshintergrund“ sagen) erreicht werden sollen.

Eine – nach meinem Dafürhalten etwas zu vollmundig angekündigte – Innovation der neuen Strategie ist die Zulassung von HIV-Heimtests. Auch soll der Zugang zu HIV-Medikamenten niedrigschwelliger gestaltet werden. Bisher war die Therapie in Australien nur über Kliniken erhältlich, künftig sollen die Medikamente auch über Apotheken abgegeben werden können – seit vielen Jahren eine Forderung der HIV-Community.

Ob durch die Bewerbung von Heimtests die Nichtdiagnostizierten erreicht werden können und ob sich alleine durch die Neustrukturierung der Medikamentenvergabe die Zahl der Neuinfektionen bis 2020 tatsächlich gegen Null senken lässt, bleibt abzuwarten. Man kann hier sicherlich skeptisch sein. Wenn die Verlässlichkeit von Heimtests jedoch sichergestellt ist und gewährleistet werden kann, dass sich der Zugang der Nutzer zum Versorgungssystem nicht verschlechtert, ist das meines Erachtens ein Experiment, auf das man sich durchaus einlassen kann.

Gut ist sicherlich, dass die Propagierung von Heimtests in ein bestehendes Versorgungskonzept eingebunden ist und von Gruppen der Zivilgesellschaft mitgetragen wird und dass nicht an anderen Stellen an Angeboten gespart wird, die sich seit vielen Jahren bewährt haben.

Im Vergleich zu anderen Ländern der pazifischen Region hat Australien in seiner HIV Politik bisher sicherlich sehr vieles gut und richtig gemacht, wie die niedrigen Infektionszahlen belegen. Insofern kann man der Regierung auch durchaus ein bisschen Selbstlob zugestehen.

Kontakt: peter-wiessner@t-online.de

 

 

Quellen/weitere Informationen

Australien will bis 2020 HIV-Neuinfektionen stoppen (Meldung auf aidshilfe.de vom 7.7.2014)

UNAIDS: Landesbericht Australien 2012 (PDF-Datei in englischer Sprache)

Howard asked to clarify HIV visas (Meldung auf theaustralian.com vom 1.6.2007)

Department of Immigration and Border Protection: Find a visa/Threats to public health

UNAIDS welcomes Australia’s commitment to equal treatment of people living with HIV in its immigration policies (Pressemitteilung vom 10.7.2014)

Department of Health: New Strategies on Blood Borne and Sexually Transmissible Diseases (Pressemitteilung vom 7.7.2014)

Department of Health: National Strategies for blood-borne viruses and sexually transmissible infections (letztes Update: 9.7.2014)

Department of Health: Data on Blood Borne Viruses and Sexually Transmissible Infections (letztes Update: 2.11.2012)

Australian Federation of AIDS Organisations: 7th HIV strategy: target to end new HIV infections by 2020 (veröffentlicht am 7.7.2014)

national association of people with HIV australia: NAPWHA welcomes new national HIV strategy and target of eliminating HIV tranmissions by 2020 (Pressemitteilung vom 7.7.2014)

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