Bock bloggt 5 | Mao, Iron und ich
7.400 Kilometer weiter, 15 Grad kälter. Ich bin zurück in Berlin. Pan hat es sich nicht nehmen lassen, mich um fünf Uhr morgens zum Flughafen zu bringen. In Gedanken bin ich immer noch in China. Meine letzte Reise dort führte mich nach Peking. Ich will noch mehr über schwul-lesbisches Leben erfahren und besuche das LGBT-Center, das sich im 23. Stock eines Hochhauses befindet.
Das Beijing LGBT-Center
Seit 10 Jahren gibt es diese Einrichtung und ich bin überrascht, wie groß die Organisation ist: 16 Schwule, Lesben und Trans* arbeiten hauptamtlich im „Beijing LGBT-Center“. Finanziert wird die Arbeit durch Spenden, auch durch Unterstützung aus dem Ausland. Geld von staatlichen chinesischen Stellen gibt es nicht.
Als ich ankomme, ist gerade das wöchentliche Teamgespräch, zu dem ich kurzerhand eingeladen werde. Ich verstehe zwar nicht, worüber gesprochen wird, bin aber von der Atmosphäre sofort angetan. Reihum berichten die Mitarbeiter_innen von ihrer Arbeit, alles läuft sehr diszipliniert. Es wird aber auch viel gelacht und Erfolge werden beklatscht. Man merkt, dass die Leute dort gerne und mit Herzblut arbeiten. Im Team sind Psycholog_innen, Sozialarbeiter_innen, Soziolog_innen, ein Filmemacher und Iron, die Geschäftsführerin. Iron ist eine zierliche Frau mit schwarzer Lederjacke, knallrotem Lippenstift und einer wahnsinnigen Energie. Und mit Humor. Ich mag sie sofort und bin sehr beeindruckt, als sie mir von ihrer Arbeit erzählt.
Es gibt Gruppenangebote und Beratung für Schwule, Lesben und Trans*. Das Center organisiert aber auch Fortbildungen für Psycholog_innenen und Therapeut_innen, um diese für LGBT-Belange zu sensibilisieren. „In China ist bei vielen Menschen, leider auch bei Fachleuten, immer noch die Meinung verbreitet, man könnte Schwule oder Lesben durch Therapie ‚umpolen‘. Dagegen kämpfen wir an und klären auf“, erzählt mir Iron.
Trans* in China
Und noch ein Projekt beeindruckt mich sehr: In Zusammenarbeit mit der Universität in Peking wurde eine landesweite Studie durchgeführt, um mehr über die Lebenssituation von trans* Menschen zu erfahren. Fast 6.000 Personen nahmen an der Befragung teil. Die Ergebnisse werden jetzt auf verschiedenen Kongressen vorgestellt. „Wir wollen das Thema Trans* mehr ins öffentliche Bewusstsein bringen und so zur Verbesserung der Situation von trans* Menschen beitragen“, sagt mir ein_e Mitarbeiter_in. „Auch eine ‚transgender hotline‘ haben wir eingerichtet. Die erste in China.“ Dort können sich nun trans* Menschen beraten lassen.
Das LGBT-Center bespielt auch die Sozialen Medien und hat sogar einen Facebook-Auftritt, obwohl Facebook, Twitter und Youtube auf Anweisung der chinesischen Regierung blockiert werden. „Es gibt da Mittel und Wege“, werde ich von einem Mitarbeiter mit einem Schmunzeln aufgeklärt. Es gibt sie, die kleinen Freiheiten.
„Wenn du in Peking bist, muss du dir auf jeden Fall den Platz des Himmlischen Friedens anschauen“, hat mir Pan mit auf den Weg gegeben. Ein Ort mit Geschichte: 1911 hat dort der letzte Kaiser von China abgedankt, und 1949 hat Mao dort das kommunistische China ausgerufen. Noch heute ist ein riesiges Porträt von ihm am Tor des Himmlischen Friedens zu sehen. Traurige Berühmtheit erlangte der Platz 1989, als das chinesische Militär einen Studentenaufstand mit Panzern und Gewehren niederschlug. Eine der Forderungen der Demonstrant_innen war Meinungs- und Pressefreiheit. Ich fahre nachdenklich von Peking nach Hefei zurück.
Gastfreundschaft
Über vier Wochen habe ich in China verbracht. Ich habe viele Menschen kennengelernt und viel über HIV und schwules Leben dort erfahren. Ich konnte verschiedene Organisationen besuchen und bin immer mit offenen Armen empfangen worden. Zu keiner Zeit und an keinem Ort habe ich mich als Ausländer komisch oder gar ängstlich gefühlt. Ich hoffe, dass es Pan genauso geht, wenn er bald zum Gegenbesuch nach Deutschland kommt.
Als es Zeit wird, Abschied zu nehmen, werde ich etwas melancholisch. Pan und seine Kollegen sind mir in der Zeit ans Herz gewachsen. Als kleines Dankeschön lade ich sie zum Essen ein. Zur Feier des Tages gibt es „Western Food“. Kulinarisch war das chinesische Essen für mich eine Herausforderung. Und meinen Gästen scheint es nun mit dem europäischen Essen genauso zu gehen. Lange wird überlegt und beraten, was bestellt werden soll. Es schmeckt „very special“ versichert mir Rui, der sich für ein Sandwich mit Salatbeilage entschieden hat.
Am Abend schaue ich mir in unserer WeChat-Gruppe die Bilder vom Abschiedsessen an und muss herzhaft lachen: „Heute haben wir Gras gegessen“, hat Rui geschrieben. Salat scheint nicht sein Ding zu sein. Obwohl wir uns sonst prächtig verstanden haben, kulinarisch finden wir nicht so recht zusammen.
Weitere Beiträge der Reihe „China Calling“:
Bock bloggt 2 | (Not) that different
Bock bloggt 3 | Schwulsein in China – nicht illegal, aber „abnormal“
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