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Covid-19-Pandemie: Globale Solidarität statt Impfnationalismus

Von Benedict Wermter
Zwei Hände halten einen Miniaturglobus
© DAH / Bild: Renata Chueire
Anfang 2021: Während in der EU über schleppend laufende Covid-19-Impfungen geklagt wird, können ärmere Länder von Impfungen nur träumen. Können wir etwas für globale Impfgerechtigkeit tun?

„Die Pandemie ist nicht vorbei, bis sie für alle vorbei ist“, heißt es derzeit häufig in Artikeln und in Sozialen Medien. Die Access Campaign der Organisation Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) hat deshalb im Dezember 2020 zusammen mit zahlreichen anderen NGOs und Aktivist*innen aus der Zivilgesellschaft einen offenen Brief an die Covid-19-Impfstoffhersteller geschrieben.

Die Konzerne stünden vor der Wahl: Statt ihre Monopolstellungen zu verteidigen und hunderten Millionen Menschen den raschen Zugang zur Impfung zu verweigern, sollten sie Technologien, Knowhow und biologisches Material mit anderen Unternehmen teilen und auf Durchsetzung ihrer Patente verzichten, damit andere in die Impfstoffproduktion einsteigen und sie so massiv ausweiten können.

„Die Welt steht am Rand eines katastrophalen moralischen Versagens“

„Oberste Priorität muss jetzt sein, in allen Ländern einige Menschen zu impfen – statt in einigen Ländern alle Menschen“, sagte Tedros Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), im Januar 2021. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Bis zum 18. Januar 2021 waren in den ärmsten Ländern der Welt gerade einmal 25 Menschen geimpft worden, so der WHO-Chef, in 49 reichen Ländern hingegen schon 39 Millionen – am 28. Januar sogar fast 60 Millionen. Was für ein krasses Missverhältnis.

„Die Welt steht am Rand eines katastrophalen moralischen Versagens, und der Preis dieses Versagens wird mit Menschenleben und Existenzen in den ärmsten Ländern der Welt bezahlt werden“, so Tedros Ghebrreyesus weiter. Er fordert: Bis zum Weltgesundheitstag am 7. April 2021 soll in allen Ländern geimpft werden. In gut zwei Monaten also.

Aber wie soll das gelingen? Und was können wir als Einzelne gegen den Impfnationalismus tun?

Die „COVAX Facility“ – eigentlich eine gute Idee

Dass Impfstoffe gegen das Coronavirus ein globales öffentliches Gut sein sollen, wurde schon zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 bekräftigt. Der „Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator“, eine im April 2020 gegründete Partnerschaft zwischen der WHO, der EU-Kommission und weiteren Organisationen, setzt sich seither für einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen ein.

Der zentrale Verteilungsmechanismus sollte die „COVAX Facility“ sein, ein Pool, bei dem die 100 ärmsten Länder ihren Bedarf anmelden und Impfdosen bestellen können – auch wenn sie sich den Impfstoff nicht werden leisten können. Das klingt zunächst einmal fair. Doch was ist schiefgelaufen?

Einer solidarischen, globalen Familie steht der Impfnationalismus reicher Länder entgegen

Das Problem liegt einerseits in der Verteilung. Anstatt auf die COVAX Facility zuzugreifen, schließen reiche Länder direkt mit den Pharmakonzernen Verträge über Impfdosen – so haben sich die reichsten 16 Prozent der Weltbevölkerung fast 60 Prozent der global verfügbaren Impfstoffe gesichert.

Und schlimmer noch: Einige reiche Länder haben sich sehr viel mehr Impfdosen gesichert als nötig – Kanada und die USA zum Beispiel so viel, dass alle Einwohner*innen mehr als fünf Mal geimpft werden könnten. Für die Covax-Facility dagegen sollen nach bisherigem Stand bis Ende 2021 nur zwei Milliarden Impfdosen zur Verfügung stehen – das reicht gerade für 20 Prozent der Menschen in den armen Ländern. Die anderen 80 Prozent sind auf Spenden aus den reichen Ländern angewiesen.

„Die USA, das Vereinigte Königreich und andere wollen die COVAX-Initiative nur noch politisch unterstützen und kaufen für sich selber ein“, sagt Elisabeth Massute. Sie ist politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen und setzt sich dort für den gerechten Zugang zu Medikamenten ein. Ein Großteil der Impfstoffe sei schon seit Herbst 2020 reserviert: „Die reichen Länder haben den Armen alles weggekauft“, so Massute. Diese Länder überlegten jetzt, Reste abzugeben, die sie nicht brauchen. Elisabeth Massute hat zudem ins Kleingedruckte der Ankündigungen zur Verfügbarkeit der Impfdosen aus der COVAX Facility geschaut. Sie sagt: „Nur ganz wenig ist bisher vertraglich abgesichert. Das meiste sind Absichtserklärungen von Pharmafirmen.“

„Momentan sind wir von den Entscheidungen der Pharmaunternehmen anhängig“

Die Unternehmen wiederum behandeln die Impfstoffe als Geschäftsgeheimnisse und konkurrieren miteinander, anstatt das Wissen über die Entwicklung zu teilen, obwohl sie dafür auch noch hohe Zuschüsse von Ländern wie Deutschland kassiert haben – allein BioNTech bekam vom Bund bis zu 375 Millionen Euro zugesagt.

Elisabeth Massute von Ärzten ohne Grenzen sagt dazu: „Wenn die öffentliche Hand solche Förderungen leistet, dann muss klar sein, dass die Bürgerinnen und Bürger davon auch profitieren. Momentan sind wir von den Entscheidungen der Pharmaunternehmen anhängig.“

Noch viel stärker sind die Bürgerinnen und Bürger des globalen Südens, also in den eher ärmeren Ländern, vom Wohlwollen der Industriestaaten und der Pharmakonzerne abhängig, obwohl dort viel mehr Menschen geimpft werden müssen als auf der nördlichen Halbkugel. Auch in afrikanischen Ländern steigen die Zahlen, es kommt zu Mutationen wie in Südafrika, es wird kaum getestet. Und fast gar nicht geimpft.

Das muss sich ändern. Sonst wird es keine globale Herdenimmunität geben und folglich auch kein Ende der internationalen Beschränkungen. Auch anderen globalen Impfprogrammen drohen Rückschläge, etwa den Bemühungen, die Kinderlähmung weltweit auszurotten. Und nicht zuletzt ist Impfnationalismus auch rein wirtschaftlich schädlich: Laut dem RAND-Forschungsinstitut würde das Bruttosozialprodukt in der EU um 311 Milliarden Dollar sinken, wenn nur die Menschen in den reichen Ländern geimpft werden – wenn auch die Menschen in allen Ländern mit mittleren Einkommen Impfstoffe bekommen, würde das Bruttosozialprodukt lediglich um 40 Milliarden sinken.

Was ist die Lösung?

Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen fordert zwei Dinge:

  1. Impfstoffe sollen schnell und verbindlich von jenen abgegeben werden, die sich zu viel gesichert haben: „Reiche Länder sollen nicht ihre Reste abgeben, sondern den Impfstoff global gerecht aufteilen.“
  2. Produktionskapazitäten sollen ausgeweitet werden. Das heißt: „Auch Unternehmen, die bisher keinen Covid-Impfstoff herstellen, sollen, wo technisch möglich, zur Bedarfsdeckung beitragen.“ Dazu braucht es laut Massute einen internationalen Transfer von Techniken zur Impfstoffherstellung.

Diskutiert wird auch über einen Wissens- und Patentpool, sodass arme Länder eigene Produktionsstätten für den Impfstoff aufbauen können. Die WHO hat schon früh vorgeschlagen, den Technologie-Zugangs-Pool C-TAP einzurichten. „Aber der läuft unter dem Radar“, sagt Massute.

Eine Maßnahme, die beim Wissensaustausch helfen soll, wäre das vorübergehende Aussetzen des Patentschutzes, „TRIPS Waiver“ genannt, um Generika produzieren zu können. Dieser Vorschlag wurde von Indien und Südafrika schon im Oktober 2020 eingebracht und erhielt breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft und auch aus Organisationen der Vereinten Nationen.

Aus den Fehlern beim Engagement gegen Aids lernen

Die UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima verwies dabei auch auf die Fehler beim Engagement gegen Aids: Es habe Jahre gebraucht, bis auch für ärmere Länder HIV-Medikamente zur Verfügung standen. Doch selbst Ende 2019, fast 40 Jahre nach Beginn der Aids-Pandemie, erhielten nur rund 68 Prozent der Erwachsenen und sogar nur 53 Prozent aller Kinder mit HIV eine antiretrovirale Therapie.

„Wir müssen Barrieren abbauen, um als Weltgemeinschaft alle Kapazitäten nutzen zu können“, sagt auch Elisabeth Massute.

Doch die Unterstützung für den TRIPS Waiver für Covid-Impfstoffe aus den reichen Ländern fehlt, die EU, die USA, Großbritannien, Kanada, Brasilien und andere sprachen sich dagegen aus. Bei der letzten Sitzung des TRIPS-Rates der Welthandelsorganisation im Dezember 2020 wurde beschlossen, weiter über das Thema zu diskutieren. Eine Entscheidung könnte im März 2021 fallen.

Es wird wohl ein enges Rennen bleiben, bis zum Weltgesundheitstag am 7. April weltweit mit dem Impfen zu beginnen.

Was können wir tun?

Kann ich meinen Impfstoff spenden? Auch solche Anfragen bekomme man gelegentlich bei Ärzte ohne Grenzen, sagt Massute, das sei aber natürlich nicht praktikabel.

Engagierte Bürger*innen können daher auch weiterhin nur Druck auf Politiker*innen und die Pharmaindustrie ausüben, etwa dadurch, den offenen Brief von Ärzte ohne Grenzen zu unterschreiben, der volle Transparenz von den Pharmafirmen einfordert. Auch Medico International und Partnerorganisationen rufen mit der „Patents-Kill“-Kampagne dazu auf, eine Petition für die Aufhebung der Patente für die Covid-19-Impfstoffe zu unterzeichnen, so wie es die Regierungen Indiens und Südafrikas fordern.

Für Elisabeth Massute aber geht es eigentlich um etwas viel Grundsätzlicheres, nämlich darum, wie wir die Debatte führen: „Wir diskutieren über Sonderrechte für Geimpfte, während in Afrika kaum jemand geimpft ist.“ Es gehe um Solidarität und Verantwortung dafür, zu schauen, was unser eigenes Verhalten in anderen Ländern auslöst. „Wir dürfen nicht diese Haltung einnehmen, dass wir anderen nur die Reste überlassen“, sagt sie.

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