Leben mit HIV

„Halt an deiner Hoffnung und deinen Träumen fest“

Von Gastbeitrag
Barbara Kemigisa
Barbara Kemigisa berichtet als Life Reporter über ihr Leben mit HIV
Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeousHerzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, Autorin Natasja Bijl und Fotografin Hillary Heuler für die Erlaubnis zur Veröffentlichung! Übersetzung: Alexandra Kleijn

Barbara Kemigisa (30) aus Uganda ist durch ihre Missbrauchserfahrungen gezeichnet. Unterstützung von ihrer Familie bekommt sie nicht: Als bekannt wird, dass sie HIV hat, kehrt diese ihr den Rücken zu. Es folgt ein jahrelanger Kampf ums Überleben. Indem sie über die Life Reporters* ihre Lebensgeschichte erzählt, möchte sie Tabus brechen und andere Menschen inspirieren.

„Als junges Mädchen bin ich von meinen Onkeln sexuell missbraucht worden. Es fing an, als ich sechs Jahre alt war, und zog sich über eine lange Zeit hin. Immer stärker verlor ich einen Teil von mir selbst und wurde dadurch süchtig nach einem bestimmten sexuellen Verhalten. In der Pubertät hatte ich viele verschiedene Sexpartner. Das war keine Liebe, sondern Verzweiflung, mit der ich die Leere in mir zu füllen versuchte. Natürlich klappte das nicht. Ich versank immer mehr, zog mich zurück und wurde irgendwann von meiner Familie verstoßen. Sie haben mir nie geglaubt und waren der Meinung, dass ich selber an dem Missbrauch und meiner Krankheit Schuld sei.“

SELBST BESTIMMEN

„Mit 22 wurde ich schwanger und die Ärzte stellten fest, dass ich HIV-positiv war. Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, in dem ich mein positives Testergebnis bekam. Da saß ich, alleine und verängstigt, und sprach leise mit mir selbst. Ich sagte: Okay, die Ereignisse in deiner Vergangenheit sind schrecklich, aber deine Zukunft kannst du immer noch selbst bestimmen, trotz deiner Krankheit.

„Ich hab mir die ganzen negativen Geschichten über Aids nicht angehört“

Ich bin fest davon überzeugt, dass mit dem Aussprechen dieser Worte mein Leben neu begann. Zum allerersten Mal nahm ich mein Leben selbst in die Hand. Das war ein gutes Gefühl. Ich weigerte mich, mir die ganzen negativen Geschichten über die Krankheit Aids anzuhören, und beschloss, zusammen mit meinem Kind meinen eigenen Kurs zu fahren und das Beste daraus zu machen. In den folgenden Monaten habe ich viel über das nachdenken können, was man mir als jungem Mädchen angetan hat und wie dies mein Leben seither bestimmt hat. Ich erkannte, dass ich nicht schuld daran war. Meine Sexsucht wurde durch fehlendes Selbstwertgefühl verursacht. Mit Gottes Hilfe habe ich mir selbst vergeben. Ja, trotz allem, was passiert ist, kann ich mich selbst wieder lieben und meine Liebe auch anderen Menschen entgegenbringen. Das ist meine Botschaft: Für den Schritt zur Selbstliebe ist es nie zu spät.“

ZWIESPALT

„Vor der Geburt bin ich recht gut darüber informiert worden, wie ich als HIV-positive Mutter verhindern kann, dass mein Baby ebenfalls infiziert wird. So sollte ich nicht stillen, sondern meiner Tochter Flaschennahrung geben. Leider konnte ich mir die teure Flaschenmilch gar nicht leisten, ich hatte kaum selbst etwas zu essen. Da ich nicht wusste, wo ich Hilfe bekommen konnte, verzweifelte ich.

„Für den Schritt zur Selbstliebe ist es nie zu spät“

Meine neugeborene Tochter schrie vor Hunger. Ohne Milch würde sie sterben – ich musste sie also füttern, auch wenn ich wusste, dass sie dadurch mit HIV infiziert werden konnte. Eine Nacht lang war ich hin und her gerissen, aber dann spürte ich, wie ich plötzlich ganz ruhig wurde. Ich mischte die Flaschennahrung mit meiner eigenen Milch. Ich wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass meine Tochter mit der Milch aus meiner Brust überleben würde und dass wir zusammen stark sein würden gegen das HI-Virus. Trotz meiner Zuversicht brach nach ihrer Geburt eine schwierige Zeit an. Damals mietete ich ein Zimmer, das ich oft mit jungen Leuten teilte, die genauso wie ich verstoßen worden waren und eine Unterkunft brauchten. Auf meiner Matratze schliefen wir manchmal mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern. Mein Zimmer wurde zu einem Ort, an dem Menschen zusammenkamen, um ihren täglichen Sorgen und Problemen zu entkommen. Obwohl es mir weh tat, musste ich manchmal Leute wegschicken, da einfach nicht genug Platz und Essen für sie da war.“

HELFEN, WO ES GEHT

„Leider hatte ich nie die Chance zu studieren. Mein Geld verdiene ich mit dem Verkauf von selbst gemachtem Schmuck. Wenn junge Leute in die Klinik kommen, um dort ihre Medikamente abzuholen, bringe ich ihnen bei, wie sie selbst auch Armbänder und Halsketten machen können, um so eine Existenzgrundlage zu schaffen. Manchmal gebe ich ihnen auch Geld, damit sie auch ein nächstes Mal in die Klinik kommen können. Wichtige Kontrolltermine werden hier oft nur deshalb abgesagt, weil die Menschen die Anreise nicht bezahlen können. Furchtbar finde ich das! Ich kann nicht einfach zugucken, wie Menschen leiden oder die gleichen Fehler machen wie ich damals. Ich helfe da, wo ich kann, und weil Gott mir gesagt hat, dass er für mich sorgt, verschenke ich fast alles, was ich habe. Ich hoffe, dass ich eines Tages mehr Geld haben werde, damit ich diejenigen noch besser unterstützen kann, die am schlimmsten betroffen sind und die keinen anderen Menschen haben, der ihnen hilft.“

„Das Stigma ist groß“

Unser Präsident und seine Frau haben in der Vergangenheit ihr Bestes getan, um die Bevölkerung vor HIV zu warnen. In Radiosendungen und Anzeigen wurde zum Beispiel erklärt, wie man sich schützen kann. Kliniken verteilen heutzutage Medikamente, und man kann sich freiwillig testen lassen. Leider wird dieses Angebot noch viel zu wenig angenommen. Nicht nur der oft lange und teure Weg in die Klinik ist das Problem. Es sind auch die sturen Ugander selbst, die die Krankheit Aids wie Malaria betrachten und immer noch ungeschützten Sex haben. Eine Weile gab es in Uganda den Slogan „Sei deinem Partner treu“, und es gab auch eine Aufklärungskampagne zur Kondombenutzung. Die Jugendlichen hier haben mehr Angst, schwanger zu werden, als an Aids zu erkranken. Ich finde, dass die Regierung versagt hat, weil sie nicht deutlich genug gemacht hat, was die Konsequenzen dieser Krankheit sind, und weil sie immer noch zu wenig Geld zur Verfügung stellt, um das nachzuholen. Das Stigma ist groß.

„Ich kann nicht einfach zugucken, wie Menschen die gleichen Fehler machen wie ich damals“

Menschen mit HIV werden ins Abseits gestellt. Ich möchte, dass alle über die Krankheit sprechen können, zum Beispiel indem ich an öffentlichen Orten wie der Kirche T-Shirts mit selbst geschriebenen Slogans trage, um damit das Bewusstsein für HIV zu verstärken. Es sind vor allem Frauen, die erniedrigt und vergewaltigt wurden und seitdem mit einem großen Schamgefühl leben. Zu den jungen Müttern, die hier in die Klinik kommen, sage ich oft: Du bist ein Beispiel. Es gibt immer ein Kind, das zu dir aufschaut und dich bewundert. Bringe Kindern bei, sich selbst zu lieben und positiv zu denken. Gib deine Hoffnung und Träume nie auf. Ich hoffe, dass meine Worte gehört werden und dass wir unsere innere Kraft nutzen, um uns wieder mit anderen Menschen zu verbinden und unsere Ängste zu überwinden. Unsere Zeit ist gekommen.“

 

KURZPROFIL

NAME

Barbara Kemigisa

ALTER

30 Jahre

FAMILIENSTAND

Seit November 2015 verheiratet

KINDER

Hat eine sechs Jahre alte Tochter

INSPIRATION

Oprah Winfrey. „Sie hat eine ähnliche Jugend gehabt wie ich und inspiriert jeden Tag aufs Neue so viele Menschen auf der ganzen Welt, ein schönes Leben zu führen!“

LEBENSMOTTO

„Du sollst nicht länger die Verlassene und Verhasste sein, die von allen gemieden wird; denn ich mache dich wieder groß und prächtig, ein Zierrat zur Freude für alle kommenden Generationen.“ (Jesaja 60:15)

*LIFE REPORTERS

Barbara ist einer der fünf jungen Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern – Zimbabwe, Uganda und Senegal –, die als Life Reporter ihren Beitrag zu einer Welt ohne HIV liefern. Jeden Monat bloggen sie über ihr Leben und über das, was sie beschäftigt. Besondere Geschichten von besonderen Menschen. Mehr Informationen unter www.stopaidsnow.org (Website auf Englisch)

 

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