Über Kunst ins Gespräch kommen
Kunst kann tatsächlich vieles ins Rollen bringen. Am Anfang stand eine Ausstellung in Zagreb. Die kroatische Kultur- und Modelagentin Kristina Voglein hatte 2005 den Berliner Christopher Burtscher eingeladen, eine Fotoserie über sein alltägliches Leben als HIV-Positiver in Zagreb zu repräsentieren.
Das Echo auf diese kleine Schau war gewaltig. „Selbst große überregionale Tageszeitungen berichteten mit Doppelseiten über Burtschers eindrucksvolle Fotografien“, erzählt Kristina selbst Jahre später noch begeistert. Die eigentliche Sensation allerdings war: Zum ersten Mal zeigte in kroatischen Zeitungen ein Mensch mit HIV sein Gesicht. Doch nicht nur das Medieninteresse war außergewöhnlich.
Die Ausstellungsorganisatoren hatten nämlich auch Gespräche von Schulklassen mit dem Künstler organisiert. Alle Beteiligten waren von diesen lebendigen Zusammentreffen geradezu euphorisiert, sodass Kristina und ihre Freunde beschlossen, diese Art der Begegnungen von Schülern und internationalen Künstlern weiterzuführen.
Kunst und Aids-Aufklärung – wie geht das bei euch zusammen?
Wir arbeiten mit nationalen, vor allem aber internationalen Künstlern aus vielen Bereichen von Grafikdesign über Skulptur bis Fotografie zusammen. Sie fertigen für unsere jährlichen Kampagnen speziell Kunstwerke zu einem bestimmten Schwerpunktthema an. Sie arbeiten aber auch mit Schülern und Jugendlichen in Workshops. Im vergangenen Jahr hatten wir das Leitthema „Gespräch“, in diesem Jahr lautet es „Wissen“.
Wie darf man sich eure Arbeit konkret vorstellen?
Wir gehen mit unserem Projekt in die Schulen hinein. Die Schulleiter und Lehrer sind meist sehr aufgeschlossen, und so arbeiten die Künstler mit den Klassen meist im Rahmen des Kunstunterrichts. Manchmal sind es auch freiwillige Freizeitaktivitäten außerhalb des offiziellen Unterrichts.
Was macht diese Arbeit so besonders?
Dass die Schüler selbst Kampagnen zur Aufklärung über HIV und Aids entwerfen. Sie übernehmen danach auch selbst die Funktion der Kunstkuratoren und entscheiden, wie sie ihre Bilder und Plakate in ihrer Schule präsentieren.
Der entscheidende Effekt dieser Aktionen ist, dass die Schüler auf Augenhöhe der Zielgruppe die Präventionsbotschaften für ihre Mitschüler aufbereiten und sich dabei selbst spielerisch das Wissen über HIV und Aids aneignen.
Dennoch fällt die Unterstützung von staatlicher Seite sehr bescheiden aus.
Wir bekommen einen kleinen Betrag. Unser Budget ist so gering, dass wir als Nicht-Regierungsorganisation (NGO) nicht einmal eine Steuerklärung abgeben müssen. Das hat absurderweise auch zur Folge, dass wir keine Anträge für Extragelder stellen können, denn dafür muss man als Organisation ganzjährig über ein finanzielles Mindestvolumen verfügen, an das wir nicht heranreichen. Wir sind zu arm, um für mehr öffentliche Unterstützung bitten zu können. Wir drehen uns also im Kreis.
Was heißt das konkret für eure Arbeit?
Dass wir die Kondome, die wir beispielsweise in den Schulen als Muster an die Jugendlichen oder bei den Aktionen in der schwulen Subkultur an die Jungs verteilen, aus privater Tasche bezahlen.
Wie ist es nach deiner Einschätzung generell um die HIV-Prävention in Kroatien bestellt?
Es gibt einige grundsätzliche Probleme. Eines davon sind die Medien. Diese verkünden gebetsmühlenartig, dass unser Land mit die geringste HIV-Prävalenz in Europa hat. Richtig ist, dass derzeit etwa tausend HIV-Fälle registriert sind. Angesichts einer Gesamtbevölkerung von fast 4,5 Millionen Menschen ist dies tatsächliche eine geringe Quote.
Was sie allerdings nicht sagen: Es geht kaum jemand zum Test. Diese tausend HIV-positiv Getesteten – es sind weitgehend schwule Männer – sind nur die Spitze des Eisbergs. Indem die Medien diese wesentliche Information unterdrücken, wiegen sie die Bevölkerung in einer Sicherheit, die es nicht gibt. Das ist fatal. Das betrifft übrigens auch andere sexuell übertragbare Infektionen (kurz: STI = sexually transmitted infections). Die Zahl der Syphilis-Fälle steigt in Kroatien seit einiger Zeit kontinuierlich an, aber niemand spricht darüber.
Weshalb habt ihr euch als Arbeitsfeld für eure Aufklärungsarbeit ausgerecht Jugendliche und Heranwachsende ausgesucht? Werden diese nicht bereits im Schulunterricht ausreichend über sexuell übertragbare Krankheiten informiert?
Fakt ist: Seit dieser Woche gibt es in Kroatien keinen Sexualkundeunterricht mehr. Der war erst vor vier Monaten überhaupt eingeführt worden. Ob er durchgeführt wurde und in welcher Form und wie intensiv Themen wie HIV und STI im Unterricht behandelt wurden, hing jeweils vom Lehrer ab. Wir kommen durch unser Projekt sehr viel im Land herum und wissen daher um die tatsächliche Situation.Viele der Schüler kennen selbst die grundlegendsten Fakten über STIs nicht. Einige wissen nicht einmal, wie man HIV schreibt, geschweige denn, wie man sich davor schützt. Im Grunde ist dies aber auch nicht überraschend. Denn häufig wird die Sexualaufklärung innerhalb einer Unterrichtsstunde im Fach Biologie erledigt. Das heißt: 45 Minuten für alle Themen, von Schwangerschaftsverhütung bis STI und HIV. Doch damit ist es nun vorbei.
Was ist passiert?
Das Verfassungsgericht hat den Sexualkundeunterricht verboten, weil damit das Grundrecht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder missachtet würde. Geklagt hatten Kirchenvertreter. Die hatten sehr massiv gegen die positive Darstellung von Homosexualität, aber auch gegen Selbstbefriedigung, den Umgang mit Pornografie und Empfängnisverhütung als Unterrichtsthema agitiert.
Wie wird es nun weitergehen?
Offiziell heißt es, es müssten lediglich die Unterrichtsmaterialien überarbeitet werden. Wir werden sehen, ob und wann das passiert. Interessant ist, dass vor ein paar Jahren der Religionsunterricht an Schulen eingeführt wurde, damals aber niemand dessen Berechtigung überprüft hat. Heißt das also, dass dieser ebenfalls verfassungswidrig ist?
Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf eure Arbeit?
Bislang zum Glück noch keine. Unsere Workshops mit Schülern und Studenten laufen weiter wie bisher. Drückt uns die Daumen, dass es so bleibt!
Ihr wendet euch mit eurer Arbeit an Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre. Was ist mit den Menschen aus anderen Lebenszusammenhängen und Altersgruppen?
Neben MIKS gibt es noch einige andere Präventionsangebote, jeweils mit verschiedenen Zielgruppen, Schwerpunkten und Methoden. Damit ergänzen wir uns sehr gut. Es gibt also spezielle Angebote zum Beispiel für Drogengebraucher, Menschen im Gefängnissystem und Männern, die Sex mit Männern haben.
Wir arbeiten in Zagreb allerdings auch sehr eng mit der schwulen Disco „Rush Club“ zusammen. Deren junges Publikum fällt sehr gut in unsere Zielgruppe. Wir machen dort neben HIV-Aufklärung auch Aktionen beispielsweise gegen Homophobie, zum Coming-out oder den Rechten Homosexueller.
Wie ist die Lebenssituation von Schwulen und Lesben in Kroatien?
Wenn man den Gay Pride nimmt, so hat die Gewalt dort in den vergangenen Jahren abgenommen. Aber die Parade führt weiterhin durch einen Korridor aus Polizisten, durch den die Teilnehmer vor Übergriffen geschützt werden müssen. Man mag sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn die Polizei dort nicht präsent wäre.
Homophobie ist ein sehr großes Problem in unserem Land. Auch weil die katholische Kirche große Macht und enormen Einfluss auf die Gesellschaft hat.
Es gibt so gut wie keine Homosexuelle, die ein öffentliches Coming-out wagen würden. Dass jemand sein Gesicht auf Plakaten zeigt oder als Rollenmodell an die Öffentlichkeit geht, wie es hier in Deutschland etwa bei den Präventions- und Aufklärungskampagnen der DAH der Fall ist, ist in Kroatien derzeit undenkbar. Leider.
Weiterführender Link:
Internetseite von MIKS (in englischer Sprache)
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