„Ich lebe in einem sehr progressiven Land“
Die Musikerin und politische Aktivistin Yvonne Chaka Chaka (YCC) gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten Südafrikas. Sie engagiert sich als Botschafterin für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria und hat mit der Princess of Africa Foundation eine gemeinnützige Stiftung zur Förderung ihrer eigenen humanitären Arbeit gegründet. Im Vorfeld der 5. Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds im September 2016 in Montreal (Kanada) hat sie zusammen mit Louis Da Gama (LDG), dem Geschäftsführer der Princess of Africa Foundation, auch Deutschland besucht. Wir haben beide in Berlin zum aktuellen Stand der HIV-Politik in Südafrika befragt.
Frau Chaka Chaka, die Präsidentschaft von Thabo Mbeki, der Armut für die wahre Ursache von Aids hielt und den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten jahrelang blockierte, liegt nun schon acht Jahre zurück. Was hat sich seither verändert?
YCC: Sehr viel. Südafrika hat weltweit die höchste Zahl HIV-infizierter Menschen – fast jeder fünfte Erwachsene zwischen 15 und 49 ist infiziert –, aber auch die höchste Zahl der Behandelten. Die Bevölkerung ist heute gut über Aids aufgeklärt und hat viel gelernt. Zwar gibt es immer noch Stigma, aber die Situation hat sich deutlich gebessert. Für HIV-Positive ist es heute sehr viel einfacher, offen zu sagen, dass sie das Virus haben und Medikamente nehmen. Es funktioniert also!
Funktioniert es auch in den Townships?
YCC: Sicher, das sehe ich zum Beispiel in Soweto, wo ich fast jeden Tag bin, weil es mein Zuhause ist. Die Leute gehen in die Kliniken oder Gesundheitszentren und holen sich dort ihre Medikamente ab, ohne Ächtung befürchten zu müssen. Südafrika hat einen langen Weg zurückgelegt! Heute sagen sich die Leute: Ich habe Aids und du hast Krebs – was ist der Unterschied? HIV-Infizierte müssen sich nicht mehr aus Angst vor Stigma zurückziehen und ohne Hilfe sterben.
Zugleich versucht man, die Integration von HIV in die medizinische Grundversorgung voranzubringen, damit Betroffene möglichst wohnortnah in Kliniken und Gesundheitszentren beraten, untersucht und behandelt werden oder dort ihre Medikamente abholen können. Ich bin für diese umfassende Versorgung „unter einem Dach“, die auch normalisierend wirkt: Niemand muss befürchten, wegen HIV „anders“ behandelt zu werden, und man muss in keine spezielle HIV-Einrichtung weit weg vom Wohnort gehen.
Aber noch lange nicht alle, die HIV-Medikamenten brauchen, bekommen sie auch.
LDG: Aktuell haben rund dreieinhalb Millionen Menschen Zugang zu antiretroviralen Medikamenten, also etwa die Hälfte der Infizierten. Die Regierung hat es hier mit einem riesigen Problem zu tun: In der Provinz KwaZulu-Natal haben etwa 40 % der Bevölkerung HIV, in den nordöstlichen Regionen 15 bis 16 % – das ist enorm! Aber die gute Nachricht ist eben, dass 50 % der Betroffenen in Behandlung sind.
„Die gute Nachricht: 50 % der Betroffenen sind in Behandlung!“
YCC: Einerseits fehlt es an Geld, um alle Therapiebedürftigen behandeln zu können, andererseits ist es schwierig, HIV-Medikamente in abgelegene Regionen zu bringen. Wer auf dem Land lebt, muss oft weite Wege zurücklegen, um sich die Medikamente zu besorgen. Viele schaffen es deshalb nicht, sie regelmäßig einzunehmen. Und viele holen sich ihre Medikamente aus Angst vor Stigmatisierung auch lieber ganz woanders als an ihrem Wohnort ab.
Das Stigma wirkt sich sicherlich auch auf die Testbereitschaft aus.
LDG: Es gibt immer noch viele, die sich wegen des Stigmas nicht testen lassen wollen, ganz besonders in den ländlichen Gebieten. Aber wer seinen Status nicht kennt, steckt unabsichtlich andere Leute an. Man kann die Menschen freilich nicht zwingen, ihren Status zu kennen, sondern nur eine Umgebung schaffen, in der man offen mit HIV umgehen und ohne Angst zum Test gehen kann.
Für welche Gruppen ist das HIV-Risiko besonders hoch?
LDG: Das größte Problem ist HIV bei Frauen und Mädchen – das gilt für alle Länder im Süden des Kontinents. Vier Millionen der rund 7 Millionen HIV-Infizierten in Südafrika sind junge Frauen ab 15 Jahren, die Rate der HIV-Neuinfektionen bei den 15- bis 24-Jährigen ist zweieinhalbmal so hoch wie bei männlichen Gleichaltrigen. Wenn Yvonne in den Communities unterwegs ist, spricht sie daher immer auch geschlechtsspezifische Risiken an.
„Teenager-Schwangerschaften und HIV hängen in Südafrika eng zusammen“
Derzeit arbeitet sie mit dem Gesundheitsministerium an einer Kampagne gegen Teenager-Schwangerschaften, weil dieses Problem in Südafrika eng mit HIV zusammenhängt. Versucht werden soll, die Zahl dieser Schwangerschaften zu reduzieren. Yvonne hat dazu einen Song gemacht, der auch auf Youtube zu finden ist.
Sind die Mädchen auch ansprechbar, was dieses Thema angeht?
YCC: Durchaus! Die jungen Leute denken zwar nicht wie du und ich, und was dir Sorgen bereitet, ist für sie vielleicht gar kein Problem. Aber sie hören zu und wissen dann auch, worauf sie achten müssen. Ein Problem der letzten Jahre sind zum Beispiel K.O.-Tropfen, die den Mädchen auf Partys heimlich in die Drinks getan werden, um sie dann zu vergewaltigen. Wir wollen Jugendlichen bestimmt nicht den Spaß nehmen, aber man muss ihnen bewusst machen, was passieren kann, wenn sie nicht aufpassen.
Wichtig ist, dass man mit den Mädchen und den Jungs spricht. Ich zum Beispiel rede mit meinen vier Söhnen über Datings, Kondomgebrauch und so weiter – und das ist gut so. Ich weiß aber auch, dass ich sie nur leiten, aber nicht zwingen kann, das zu tun, was ich für richtig halte.
Das Thema HIV berührt immer auch die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*Menschen. Südafrika war das erste Land, das gleichgeschlechtliche Ehen zugelassen hat, und es hat fortschrittliche LGBT-Gesetze. Aber wie sieht es im wirklichen Leben aus?
YCC: Wie LGBT leben, hängt stark davon ab, wo sie leben und wie offen sie über ihre Sexualität reden können. In manchen Communities passiert es immer wieder, dass junge Frauen, von denen bekannt ist, dass sie lesbisch sind, vergewaltigt werden, um sie auf diese Weise „zu therapieren“. Dieser sogenannte corrective rape ist zutiefst kriminell, fußt aber darin, wie die Menschen erzogen wurden – und da haben sie gelernt, dass Homosexualität nicht sein darf. Zum Glück sind LGBT dann aufgestanden und haben gesagt: Wir sind, wie wir sind, und möchten so auch respektiert werden. Das wurde dann auch in der Verfassung niedergelegt, und viele Menschen halten sich daran. Ja, ich lebe in einem sehr progressiven Land und bin stolze Südafrikanerin!
„Alles steht und fällt mit den Menschenrechten“
Sicher, es gibt auch viele, die mich für meine Haltung kritisieren. Ich sage dann immer: Alles steht und fällt mit den Menschenrechten. Und wer sind wir überhaupt, über andere zu urteilen! Wir müssen anerkennen, dass wir alle verschieden sind und niemanden zwingen können, so zu sein wie man selbst. Respektiere meine Kultur, meinen Glauben, meine sexuelle Orientierung, meine Lebensweise – das ist die Botschaft.
Kann Südafrika in punkto Menschenrechte ein Modell für andere afrikanische Staaten sein?
YCC: Zweifellos. Die Regierung hat erkannt, dass man sich der Menschenrechte bewusst annehmen und sie in der Verfassung verankern muss. Halten wir uns daran? Nun, manchmal ja, manchmal nein. Aber wir haben jetzt eine gemeinsame Verfassung, an die sich alle – ob schwarz oder weiß – zu halten haben. In dieser Hinsicht ist Südafrika wirklich ein Modell, von dem andere afrikanische Länder viel lernen können.
Sehen Sie auch in der südafrikanischen HIV-Politik ein Beispiel guter Praxis?
YCC: Ja. Dass die Regierung das Gesundheits- und das Finanzministerium, die Ministerien für Frauen und Kinder, für Soziales und für Erziehung zu einer engen Zusammenarbeit gebracht hat, halte ich für beispielhaft. Auf diese Weise lässt sich viel bewegen und man kommt zu konsistenten Präventionsbotschaften, zum Beispiel, wenn es um HIV und Teenager-Schwangerschaften geht. Eine große Sache gemeinsam anzugehen und dann auch den Erfolg dieser Arbeit messen zu können: das macht stark.
„Eine große Sache gemeinsam anzugehen: das macht stark“
LDG: Der Erfolg Südafrikas liegt nicht zuletzt auch in dem Miteinander von Global Fund und Gesundheitsministerium. Alle HIV-Medikamente werden heute von unserer Regierung finanziert – ein gutes Beispiel dafür, was möglich wird, wenn der Global Fund mit einem Land zusammenarbeitet und dort das Fundament legt.
Was erwarten Sie nun von der 21. Welt-Aids-Konferenz, die am 18. Juli in Durban eröffnet wird?
YCC: Ich wünsche mir, dass wir uns dort zusammensetzen und unsere Erfolge messen, damit die Geberländer, die Pharma-Unternehmen und die HIV-Community sehen können, wie viele Fortschritte es bisher gegeben hat und dass es weiter vorangeht. In einem Wort: dass es Hoffnung gibt – dank des Global Fund, dank der Geberländer und dank vieler Regierungen weltweit. Wir müssen die Geberländer überzeugen, dass das Geld an den richtigen Stellen eingesetzt wird, und wir müssen die Regierungen ermutigen, in ihre eigenen Bevölkerungen zu investieren.
Durban ist insofern auch wichtig für die Wiederauffüllungskonferenz des Global Fund im September dieses Jahres in Montreal.
LDG: Unbedingt! Auf der 13. Welt-Aids-Konferenz, die 2000 ebenfalls in Durban stattfand, hatte Nkosi Johnson, ein kleiner HIV-positiver Junge, den Zugang zur Behandlung für alle gefordert. Viele glaubten damals nicht an Fortschritte in diesem Feld – und heute sind weltweit 17 Millionen HIV-Infizierte in Behandlung! Vor 16 Jahren erschien eine solche Zahl als völlig utopisch.
„Entscheide dich fürs Leben!“
Für die nächsten 16 Jahre gilt es, die Infektionsraten auf so niedrige Niveaus zu bringen, dass wir Aids, Tuberkulose und Malaria beenden können. Die Frage dabei ist: Zahlen wir jetzt oder erst später – dann allerdings sehr viel mehr, nicht nur, was die direkten Kosten für Medikamente angeht, sondern auch die sozialen und gesellschaftlichen Kosten. In Afrika gibt es so viele Kinder, die keine Eltern mehr haben und um die sich niemand kümmert – sie blicken in eine trostlose Zukunft. Investieren wir dagegen heute in den Global Fund, geben wir ihnen eine Chance, und das wird sich positiv auf die soziale Sicherheit auswirken.
Jede Regierung, ob in Deutschland oder anderswo, sollte sich klarmachen: Zu jedem Dollar, den sie in den Fonds einzahlt, kommen viele weitere Dollars von anderen Geberländern. Und den politisch Verantwortlichen in Afrika möchten wir sagen: Wenn du entscheidest, was du mit dem Geld machst, dann entscheide richtig: Entscheide dich fürs Leben! Das wird von immenser Bedeutung für die nächsten 16 Jahre sein.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Christine Höpfner
Diesen Beitrag teilen
1 Kommentare
Peter Wiessner 15. Juli 2016 14:17
Toller Beitrag!