ZUGANG ZUR HIV-THERAPIE

„Kein Kind soll mehr an Aids sterben müssen!“

Von Michael Mahler
Kinder in Afrika: Es fehlt an HIV-Tests und Medikamenten. Dieses Symbolbild sagt nichts über den HIV-Status der Kinder aus.
Die heutige „Nacht der Solidarität“ soll Verbundenheit mit HIV-Positiven fördern. Astrid Berner-Rodoreda vom „Aktionsbündnis gegen AIDS“ erklärt die Aktion „Kinder ohne AIDS – Medikamente und Tests für alle“  – und warum Eile geboten ist.

Astrid Berner-Rodoreda
Astrid Berner-Rodoreda

Bei HIV und AIDS denkt man als erstes an eine sexuell übertragbare Krankheit. Das „Aktionsbündnis gegen Aids“ legt jedoch in seiner diesjährigen Kampagne den Fokus auf Kinder. Warum?

HIV-positive Kinder sind eine stark vernachlässigte Gruppe. Während bei Erwachsenen ungefähr 40 Prozent Zugang zur HIV-Therapie haben, sind es bei Kindern nur 24 Prozent. Es fehlt an diagnostischen Mitteln und an geeigneten Medikamenten, vor allem an Kombinationspräparaten. Das ist besonders dramatisch, weil Kinder auch besonders gefährdet sind: Wenn sie keine Therapie bekommen, sterben 50 Prozent schon in den ersten zwei Lebensjahren, 80 Prozent bis zum fünften Lebensjahr. Es ist also Eile geboten!

Aber warum ist HIV bei Kindern überhaupt noch ein so großes Problem? 2013 haben sich 240.000 Kinder mit HIV infiziert, 190.000 starben an den Folgen von Aids. Dabei lässt sich die Mutter-Kind-Übertragung doch längst vermeiden, indem man die Mütter rechtzeitig behandelt.

Das ist richtig. Aber nicht überall auf der Welt gibt es Programme zur Reduzierung der Mutter-Kind Übertragung nach den neusten Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation. Gerade in ländlichen Regionen haben nicht alle Frauen Zugang zur Schwangerschaftsvorsorge und damit zu einem HIV-Test. Viele kommen erst zur Geburt in die medizinischen Einrichtungen oder entbinden zu Hause, so dass die Gefahr einer Übertragung weiterhin besteht.

„Ohne Therapie sterben die meisten Kindern in den ersten Lebensjahren.“

Warum ist eine HIV-Therapie bei Kindern offenbar schwieriger?

Es beginnt schon mit der Frage: Ist das Kind jetzt HIV-positiv oder nicht? Normale Antikörpertests kann man nicht einsetzen. Das Kind hat nämlich nach der Geburt bis zu 18 Monate noch die Antikörper der Mutter im Blut, auch wenn es nicht infiziert ist. Das heißt, es müssen Tests verwendet werden, die das Virus direkt nachweisen. Die sind viel teurer als die Antikörpertests und oft nicht verfügbar. Wir haben zum Beispiel eine Partnerorganisation im Tschad, die sagt: „Wir kriegen diese Tests einfach nicht.“ Momentan werden virologische Tests nur bei 42 Prozent der Babys gemacht.

Gibt es dafür noch weitere Gründe?

Ja. Ein weiteres Problem: Der Test wird erst etwa sechs Wochen nach der Geburt durchgeführt. Manche Mütter oder Bezugspersonen kommen dann nicht noch einmal in die Klinik. Darum benötigen wir Tests, die schon nach der Geburt ein klares Resultat liefern.

Am wenigsten Forschung für die, die am schnellsten sterben

Wie sieht es bei der Versorgung mit geeigneten Medikamenten aus?

Von den über 30 HIV-Medikamenten, die heute zur Verfügung stehen, ist gerade mal ein Drittel auch für Kleinkinder zugelassen. Und in der Forschung wird in erster Linie für Erwachsene geforscht, dann für Jugendliche und am Schluss für die, die uns am schnellsten wegsterben: Säuglinge und Kleinkinder.

Woran liegt das?

97 Prozent der HIV-positiven Kinder leben in Afrika, Asien und in der Pazifik-Region, nur wenige Tausend im globalen Norden. Das mag ein Grund sein, weshalb jahrelang relativ wenige Medikamente für Kleinkinder entwickelt wurden. Es ist allerdings aus ethischen Gründen auch schwierig, Studien mit Babys und Kleinkindern durchzuführen.

Wo genau besteht denn Forschungsbedarf?

Viele der Medikamente für Kleinkinder waren bislang Sirups. Davon müssen dann drei zusammen eingenommen werden, mit je anderer Dosierung – das ist ziemlich kompliziert. Außerdem schmecken einige dieser Sirups sehr schlecht, einer hat einen sehr hohen Alkoholgehalt. Und sie müssen gekühlt werden, was in vielen Ländern ein riesiges Problem ist. Deshalb ist man in den letzten Jahren dazu übergegangen, lösliche Tabletten, Granulate und andere streufähige Formen zu entwickeln.

Warum nimmt man nicht einfach normale Tabletten?

Weil kleine Kinder noch keine Tabletten schlucken können und die Dosierung beim Durchschneiden oder gar Vierteln einer Erwachsenentablette eher ungenau ist. Deshalb brauchen wir flexiblere Formen, die das Kind zusammen mit der Muttermilch oder mit einem Brei einnehmen kann. Wir brauchen außerdem mehr Kombinationspräparate, bei denen zum Beispiel alle Wirkstoffe in einer wasserlöslichen Tablette enthalten sind. Ob man einem Kind zig verschiedene Präparate geben muss oder nur eines, macht einen riesigen Unterschied. Davon hängt oft, wie bei Erwachsenen auch, der Therapieerfolg ab.

„Wenn eine Frau befürchten muss, verstoßen zu werden, wird sie sich und ihr Kind nicht auf HIV testen lassen.“

Wo hakt es denn noch?

Als wir unsere Kampagne begannen, war die Patentsituation für Kindermedikamente ein weiteres Problem. Wir haben die Pharmaindustrie aufgefordert, ihre Kinder- und Erwachsenenpräparate an den Patent-Pool zu lizenzieren. Denn nur dann können Generika-Hersteller die verschiedenen Medikamente untereinander kombinieren und kostengünstig für die ärmeren Länder bereitstellen. Mittlerweile sind die wichtigsten Kleinkinder-Medikamente an den Patentpool lizensiert. Die Entwicklung der Kombi-Präparate müssen nun Generikafirmen übernehmen. Es wird deshalb noch eine Weile dauern, bis sie auf dem Markt sind.

Was für Probleme tragen noch zur Unterversorgung von Kindern bei?

Stigma spielt generell eine große Rolle. Wenn eine Frau mit HIV befürchten muss, verstoßen zu werden, wird sie sich kaum selbst oder ihr Baby auf HIV testen lassen wollen. Und natürlich geht es auch darum, dass ein Kind nicht ausgegrenzt wird, weil es HIV-positiv ist, und dass die Betreuer auch auf die regelmäßige Einnahme der Medikamente achten.

Es fehlt an Geld, Medikamenten und Tests

Zur Nacht der Solidarität haben Sie eine Mitmachkampagne gestartet. Worum geht es dabei genau?

Wir haben drei Forderungen: Die Bundesregierung muss ihre Zahlungen an den Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria mindestens verdoppeln. 400 Millionen Euro pro Jahr wären angemessen. Das würde betroffenen Ländern helfen, ihre Behandlungsprogramme auszuweiten, bessere Diagnostika und Medikamente einzusetzen. Die Pharmaindustrie muss Medikamente an den Patent-Pool lizenzieren – bei den Kindermedikamenten ist hier im letzten Jahr viel geschehen, bei denen für Jugendliche und Erwachsene noch nicht genug. Und Hersteller von diagnostischen Mitteln fordern wir auf, geeignete Tests und Laborgeräte billiger zur Verfügung zu stellen.

Was können Menschen in Deutschland beitragen?

Es wäre schön, wenn sich noch viele bis zur Übergabe der Unterschriften an dieser Aktion beteiligen würden und sich mit uns dafür einsetzen, dass kein Kind mehr an Aids sterben muss.

Interview: Michael Mahler

Mehr Informationen zur Kampagne

Jetzt online die Petition „Kinder ohne Aids“ unterschreiben

Astrid Berner-Rodoreda arbeitet als Beraterin zu HIV/Aids bei Brot für die Welt, ist Mitglied im Vorstand des „Aktionsbündnis gegen Aids“ (AgA) und engagiert sich in internationalen Netzwerken

1 Kommentare

Antonie Löffler 8. Juni 2015 14:01

Alle Menschen sind gleich … kranke und gesunde … alte und junge … europäische und afrikanische … schwule und sonstwie sexuel orientierte … Bitte immer daran denken … und also auch alle gleich behandeln – in jeder Hinsicht!

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