Seit über 30 Jahren dokumentiert der schwedische Filmemacher Staffan Hildebrand den weltweiten Kampf gegen die HIV/Aids-Epidemie. Auf Basis dieses unermesslichen dokumentarischen Schatzes will er nun den Dokumentarfilm Passing the Torch drehen – finanziert per Crowdfunding.

Schwer zu sagen, was man mehr bewundern soll: die Weitsichtigkeit des Karolinska Institutet in Stockholm oder den Mut des Fernsehjournalisten Staffan Hildebrand, sich auf ein Projekt einzulassen, das zu seiner Lebensaufgabe werden würde.

3o Jahre, 40 Länder, 40 Konferenzen, 800 Stunden Material

Das Karolinska Institutet, eine der größten medizinischen Universitäten Europas, bat Hildebrand 1987 um einen Eröffnungsfilm für die im Folgejahr in Stockholm ausgerichtete Vierte Internationale AIDS-Konferenz.

Doch Hildebrands Auftrag war damit nicht beendet: Er sollte noch weitere 30 Jahre so viel filmisches Material über den Kampf gegen das Virus und seine gesellschaftlichen Auswirkungen sammeln wie möglich.

„The Face of AIDS Film Archive“ ist das filmische Gedächtnis der Aidskrise

In rund 40 Ländern hat Hildebrand seither Wissenschaftler_innen und Aidskranke porträtiert, Aktivist_innen bei ihren Aktionen begleitet, HIV-positive Sexarbeiter_innen, Drogenkonsument_innen und andere Menschen mit HIV interviewt.

Auf über 50 Aidskonferenzen hat er gedreht, aber auch in Krankenhäusern, Labors wie auch schlicht in Privatwohnungen und auf öffentlichen Plätzen.

Entstanden ist so die wohl umfangreichste Sammlung von Zeitzeug_innen dieser Art. Rund 200 Videos mit insgesamt über 800 Stunden Laufzeit sind mittlerweile in der Bibliothek des Karolinska Institutet in Stockholm zugänglich, seit 2013 ist das Werk digitalisiert und katalogisiert.

„The Face of AIDS Film Archive“ ist damit gleichermaßen ein filmisches Gedächtnis der Aidskrise wie Fundgrube für Filmjournalist_innen und Wissenschaftler_innen.

Passing the Torch: Abchluss eines filmischen Lebenswerks

Manche der Interviews wurden ausschnittsweise bereits mehrfach in Dokumentarfilmen verwendet, so etwa das zweistündige, intensive und nachhaltig beeindruckende Gespräch, das Hildebrand 1988 mit dem schwulen Aidspatienten Lyle Taylor und seinem Arzt Dr. Dwyer im Prince William Hospital in Sydney führte. Taylor starb nur wenige Stunden nach den Filmaufnahmen an den Folgen von Aids.

Staffan Hildebrand
Staffan Hildebrand; Foto: privat

Auf ganz andere Weise packend und berührend ist das 2008 geführte Interview mit der Bolivianerin Gloria Violeta Ross. Sie erzählt darin offen, wie sie durch eine Vergewaltigung infiziert wurde und nun als Aktivistin den Kampf gegen Männergewalt mit jenem gegen HIV verbindet. (Beide Interviews sind derzeit online abrufbar.)

Zum Abschluss seines Lebenswerkes will der inzwischen 72-jährige Hildebrand nun eine umfassende Filmdokumentation realisieren und darin den Bogen zu schlagen von den Anfängen der Aidsgeschichte und des Aids-Aktivismus zu den Herausforderungen der Gegenwart. Der Arbeitstitel dieser abendfüllenden Dokumentation: „Passing the Torch“, auf Deutsch etwa „Die Fackel weitergeben“.

Hildebrand möchte darin seine inzwischen drei Jahrzehnte währende Reise durch die Geschichte von HIV und Aids rekapitulieren. Der Fokus wird allerdings auf der aktuellen HIV-Situation in der Welt liegen. „Jeden Tag infizieren sich 5000 Menschen mit HIV, die meisten in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren“, sagt Hildebrand. Trotz aller Erfolge sei die Epidemie noch lange nicht vorbei.

Auch bei Jüngeren Aufmerksamkeit für das Thema HIV wecken

„Wir müssen HIV ganz oben auf der politischen Tagesordnung behalten“, fordert Hildebrand. Die Länder, die besonders von der HIV-Epidemie betroffen sind, müsse man dabei weiterhin unterstützen. Das gelte umso mehr, als mittlerweile viele reiche Länder etwa die USA, die Niederlande, Australien und Norwegen ihre Unterstützung einschränkten.

„Aids ist noch lange nicht vorbei“

„Passing the Torch“ sieht er daher als Beitrag dazu, die Aufmerksamkeit für das Thema wachzuhalten. Um die Perspektive zu erweitern und auch Jüngere mit dem Film anzusprechen, möchte Hildebrand in seiner Dokumentation die südafrikanische Journalistin und Aktivistin Mary-Jane Matsolo als zentrale Figur porträtieren und mit ihr Brennpunkte der Aidskrise weltweit besuchen.

„Wir wollen die aktuelle Situation und Herausforderungen schildern. Wir wollen aber auch erkunden, welche Lehren wir aus der Vergangenheit ziehen können, welche künftigen Gefahren drohen und welche Ressourcen notwendig sind, um ihnen zu begegnen.“

Finanzierung über Crowdfunding

Die Vorrecherchen für den Dokumentarfilm hat Staffan Hildebrand bereits abgeschlossen. Was noch fehlt, ist die Restfinanzierung des Projekts. 400.000 schwedische Kronen, knapp 40.000 Euro, versucht der Filmemacher nun über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter zusammenzubekommen.

Fördern kann man das Filmprojekt bereits ab einem Betrag von rund fünf Euro. Beinahe 5.000 Euro sind bereits zugesagt, die Schwarmfinanzierung läuft noch bis zum 10. August.

„Wir werden den Film auf jeden Fall umsetzen“

„Es ist ein Experiment“, sagt der Journalist. Weder ich noch die Produktionsfirma Storyfire haben diese Art der Finanzierung schon einmal getestet.“

Und wenn die benötige Summe nach Ablauf der Sammelaktion nicht zusammengekommen ist? „Wir werden den Film auf jeden Fall realisieren, aber die Produktion wird sich dann verzögern“, erklärt Hildebrand.

Als Nächstes stehen aber erst einmal wieder Interviews an, denn auch bei der Internationalen Aids-Konferenz in Amsterdam #AIDS2018 ist Hildebrand wieder mit der Kamera dabei. Dort kann man auch am Infostand seines Archivs im „Global Village“ mehr über sein Langzeitprojekt zu erfahren.

Informationsseite zur Kickstarter-Crowdfunding-Aktion für „Passing the Torch“

Informationsseite zum Face of AIDS Film Archive“

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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