SPORTPÄDAGOGIK

„Spielen und reden, erleben und reden“

Von Gastbeitrag

In der tansanischen Region Kagera nutzt das Projekt Jambo Bukoba Spiel und Sport, um mit Kindern über das sensible Thema HIV und Aids zu sprechen. Ein Interview mit dem Münchner Clemens Mulokozi, der den Verein 2008 gegründet hat.

Herr Mulokozi, wie kommt es, dass Sie sich in Tansania engagieren?

Mein Vater stammt aus Tansania, und mein persönlicher Bezug zu den Menschen dort war für mich von Anfang an ein starker Antrieb. Als Kind war ich in den Ferien oft bei meinen Großeltern in Afrika zu Besuch. Mein Vater starb 2006, und ich bin als ältester Sohn nach Tansania gefahren, um ihn zu beerdigen und seinen Haushalt aufzulösen. Erst da ist mir bewusst geworden, wie er als junger Mann in den 60er-Jahren zum Chemiestudium nach Deutschland kam – und wie wichtig solche Bildungschancen sind. Und welch enorm viele Chancen wir in Deutschland haben, uns zu entfalten, angefangen bei der Bildung.

64 Prozent der Bevölkerung Tansanias sind unter 24 Jahre alt. Das ist ein enormes Potenzial für die Entwicklung eines Landes – allerdings nicht, wenn ein Drittel der Menschen weder lesen noch schreiben kann und die Mädchen stark benachteiligt werden.

Bildung, Gleichberechtigung und Gesundheit

Welche Ziele hat sich Jambo Bukoba gesetzt?

Drei Ziele: Erstens bessere Bildung, zweitens mehr Gleichberechtigung zwischen Mädchen und Jungen und drittens Gesundheit, wobei hier die Aufklärung über HIV und Aids und die Prävention die wichtigste Rolle spielen. Denn Kagera war einmal die Region Tansanias mit dem höchsten Anteil von Menschen mit HIV und Aids.

Um diese Ziele zu erreichen, haben Sie einen eher unkonventionellen Weg gewählt: den Sport. Warum?

Erst einmal laufe ich selber Marathon, wenn auch nur als Amateur. Ich weiß, wie wichtig Sport für das Körperempfinden und die Charakterbildung ist. Für die HypoVereinsbank habe ich außerdem jahrelang das FC-Bayern-Sponsoring geleitet. Daher weiß ich, was für ein starker Magnet der Sport ist, über alle Schichten hinweg. So bin ich auf die Idee gekommen, den Sport zu nutzen, hier in Deutschland wie in Tansania.

Sport als Magnet

Beim Sport geht es darum, stärker oder schneller zu werden. Da ist man gleich beim Thema Fitness und Gesundheit. Und wenn es darum geht, die Gesundheit zu erhalten, ist man schnell beim Thema HIV-Prävention. Das ist eine ganz einfache, logische Kette. Und was man beim Mannschaftssport lernt, kann man auch außerhalb des Platzes anwenden: Teamgeist, Regeln befolgen und Pünktlichkeit. Oder auch durch Dranbleiben und Durchhalten Schwierigkeiten überwinden.

Jambo Bukoba ist doch bestimmt nicht die einzige Organisation, die sich diesen Themen widmet.

Es gibt in Afrika viele Organisationen, die sich für Bildung stark machen und über HIV aufklären. In der Region, auf die wir uns im Moment noch konzentrieren, bestehen nur 40 Prozent der Kinder die Abschlussprüfung der Grundschule. Das finde ich gravierend, weshalb ich glaube, dass die bestehenden Programme in dieser Altersklasse nicht greifen. Da muss man ganz anders rangehen!

 „60 Prozent der Neuinfizierten sind zwischen 14 und 25 Jahre alt“

Und trotz aller Bemühungen sind in Tansania 60 Prozent der Neuinfizierten zwischen 14 und 25 Jahre alt – davon sind 70 Prozent Mädchen. Da sind wir gleich natürlich beim Thema Gleichberechtigung: Wie gebildet und selbstbewusst sind die Mädchen?

Wie selbstbewusst sind sie denn?

In ihrer Kultur werden sie so erzogen, dass sie weniger stark für ihre Position einstehen. Das merkt man schon daran, dass sie nur mit sehr leiser Stimme sprechen und ihrem Gesprächspartner nicht in die Augen schauen.

JamboBukoba_Logo kleinUrsprünglich ging es Jambo Bukoba nur um Sachspenden wie Fußbälle und Trikots. Warum ist es dabei nicht geblieben?

Sebastian Rockenfeller von der Sporthochschule Köln ist auf mich zugekommen und hat mir angeboten, ein Konzept zu entwickeln, um dem Projekt Nachhaltigkeit zu garantieren. Er war dann monatelang vor Ort, um sich die Situation anzuschauen, angefangen bei der Ausbildung der Sportlehrer an den Unis. Er hat Lehrpläne studiert, mit Studenten, Schülern, Lehrern und Eltern gesprochen. Auf dieser Basis hat er dann unser Konzept entwickelt, das auf einen Verbund der Themen setzt, statt sie isoliert anzugehen.

Sport ist also der Aufhänger für das Thema HIV. Warum ist dieser Umweg notwendig?

HIV und Aids ist in Tansania über alle Schichten und Altersklassen hinweg ein absolutes Tabuthema. Auch in meiner Familie väterlicherseits war das so. Erst im Zusammenhang mit meinem Projekt erzählte mir meine Tante, dass einige der 13 Geschwister meines Vaters an Aids gestorben sind. Und wenn man über ein Thema nicht spricht, kann man natürlich nicht aufklären.

„Aids ist über alle Schichten hinweg ein absolutes Tabuthema“

Das eigens entwickelte sportpädagogische Programm, in dem mittlerweile 810 geschulte tansanische Lehrer tätig sind, zeigt den Kindern Ziele auf und spornt sie zu besseren schulischen Leistungen an. Positiver Nebeneffekt: Durch den Sport fassen die Schüler Vertrauen zu den Lehrern, sodass diese mit speziellen Spielformen über sensible Themen wie HIV/Aids aufklären können.

Die Zielgruppe sind also Grundschulkinder. Die sind in Tansania zwischen sechs und 14 Jahre alt. Ist das Thema da schon aktuell?

Normalerweise natürlich noch nicht. In diesem Alter haben die Kinder, was HIV und Aids angeht, noch keine Scham entwickelt – was von Vorteil ist, um das Thema kindgerecht anzustoßen. Wir nutzen Spiele, um HIV behutsam aus der Tabuzone zu holen. Und gleichzeitig vermitteln wir, dass man sich schützen kann.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Um darzustellen, wie sich eine Seuche verbreitet, nutzen wir zum Beispiel ein Spiel, das in meiner Jugend noch „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ hieß: Der „schwarze Mann“ muss möglichst viele „abklatschen“. Die so Gefangenen sind dann in der nächsten Runde in seinem Team. Es werden also immer mehr Fänger: Das Prinzip der Verbreitung einer Seuche wird auf diese Weise deutlich. In der nächsten Runde geht es darum, sich zu schützen. Geschützt ist, wer den Ball hat. Die Kinder werfen sich daher gegenseitig den Ball zu. Das ist kindgerecht und macht Spaß. Der Ball bekommt schließlich einen Aufkleber mit der Aufschrift „Kondom“.

Clemens Mulokozi (Foto: privat)
Clemens Mulokozi (Foto: privat)

In einem anderen Spiel geht es um die verbreitete Fehlannahme, eine HIV-Infektion könne man jemandem ansehen. Wir nutzen dafür „Schau dich nicht um, der Fuchs geht um“. Vier Kinder stehen in einer Reihe und lassen hinter sich ein Stöckchen wandern. Ein fünftes Kind muss dann erraten, wo das Stöckchen ist, etwa an der Mimik der anderen. Das klappt natürlich meistens nicht. Und so kann man dann darüber reden, dass auch HIV meist nicht sichtbar ist. Das Prinzip ist immer: spielen und reden, erleben und reden.

„Die Tore der Mädchen zählen doppelt“

Und wie stärken Sie das Selbstbewusstsein der Mädchen?

Wir spielen zum Beispiel Fußball mit gemischten Mannschaften, wobei die Tore der Mädchen doppelt zählen. Als Junge kann ich dann noch so gut sein – wenn ich das Mädchen nicht in die Position bringe, Tore zu schießen, verliere ich. Oder: Je ein Junge und ein Mädchen müssen sich beim Spielen ständig an den Händen halten, und nur die Mädchen dürfen Tore schießen. So lernt man, sich abzustimmen, zu kommunizieren.

Wer spielt denn mit den Kindern?

Sportlehrerinnen und Sportlehrer. In einem fünftägigen Workshop können sie das von Sebastian Rockenfeller entwickelte Programm kennenlernen. Wir arbeiten dabei eng mit den Behörden vor Ort zusammen, die die Lehrer auswählen und einladen. Am Ende des Workshops bekommen die Sportlehrer ein Handbuch auf Englisch und Swahili sowie Materialien wie Bälle und Trikots, wofür wir hier in Deutschland gesammelt haben. Damit gehen sie dann zurück an die Schulen.

„Bis dato wurden 370.000 Kinder erreicht“

Mit welchem Erfolg?

Unser Konzept haben wir mittlerweile an 720 Schulen in der Region Kagera eingeführt, bis dato wurden insgesamt 370.000 Kinder erreicht. Die Lehrer sagen, dass seither die Anwesenheitsquoten gestiegen sind und auch der Notenschnitt sich gebessert hat. Die Frage bleibt natürlich, wie gut die von uns weitergebildeten Lehrer unser Programm umsetzen. Wir haben deshalb eine Art Bundesjugendspiele initiiert, wo jeweils vier Schulen eines Distrikts mit Jambo-Bukoba-Spielen gegeneinander antreten. Die Gewinner bekommen einen Gutschein über 2.000 Euro für ein wichtiges Schulprojekt, etwa anständige Klassenzimmer oder sanitäre Anlagen. Das ist natürlich ein enormer Ansporn für alle. Außerdem dürfen sie beim regionalen Finale in der Hauptstadt Bukoba teilnehmen.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Institutionen vor Ort?

Gleich zu Beginn haben wir in den zuständigen Ministerien einen Workshop veranstaltet und unsere Idee vorgestellt. Mir war wichtig, dass auch die Offiziellen in Tansania an das Projekt glauben und es unterstützen. Etwa mit einem Büro für uns vor Ort und einem Ansprechpartner im Ministerium, der zum Beispiel Zollfragen für uns regelt. Einmal im Jahr treffen wir uns mit der Regionalregierung und besprechen, was gut oder schlecht lief und was im nächsten Jahr ansteht.

Unterstützer in Tansania und Deutschland

Und welche Partner haben Sie in Deutschland?

Zunächst einmal die Deutsche Sporthochschule in Köln mit ihrem Know-how. Dann die DHL, bei der wir etwa Bälle und Trikots lagern können. Die Friendsfactory stellt uns ein Büro in München, und die HypoVereinsbank unterstützt uns beim Banking. Weigang Pro macht für uns pro bono Öffentlichkeitsarbeit, und Werkstatt54 unseren Internetauftritt. Partner sind außerdem viele große und kleine Vereine, wobei uns der FC Bayern München seit der ersten Stunde mit Sportspenden für Tansania unterstützt hat und die Frauen der Abteilung Frauenfußball unsere Schirmherrinnen sind. Außerdem engagieren sich hier in München 25 Freiwillige, von drei Stunden bis zu drei Tagen die Woche.

Wie stark sind Sie zurzeit selbst in das Projekt eingebunden?

Als ich Jambo Bukoba 2006 startete, hätte ich nie gedacht, dass ein so großes Projekt daraus werden würde. Letztes Jahr habe ich freiwillig meinen Job bei der Bank aufgegeben und kümmere mich nun Vollzeit um das Projekt. Meine Vision ist es, alle 520.000 Kinder der Region Kagera zu erreichen. Und dann das Projekt auf alle Regionen rund um den Viktoria-See auszudehnen, das wären dann 2,8 Millionen Kinder. Langfristig aber soll meine Rolle nach und nach überflüssig werden. Das Konzept sieht vor, immer mehr Verantwortung und Know-how an die Leute vor Ort abzugeben.

Das Interview führte Carsten Bauhaus.

Website von Jambo Bukoba

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