AUSGEGRENZT

Was tun, wenn man wie Ungeziefer behandelt wird?

Von Peter Wiessner
„Mit HIV kann man fliegen“ heißt es auf einem Plakat der Deutschen AIDS-Hilfe. Gemeint ist, dass nach neuen europäischen Vorschriften auch HIV-Positive als Pilot oder Flugbegleiter arbeiten können. Das ist eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Menschen mit HIV dürfen nicht überall auf der Welt landen oder werden sogar ausgewiesen. Von Peter Wiessner

Über 50 Länder haben HIV-bezogene Regelungen zu Einreise und  Aufenthalt (Foto: nafas, pixelio.de)
Über 50 Länder haben HIV-bezogene Regelungen zu Einreise und Aufenthalt (Foto: nafas, pixelio.de)

Auf der 7. Konferenz der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS) im Sommer 2013 in Kuala Lumpur (Malaysia) gab es auch eine Veranstaltung zur Diskriminierung von Menschen mit HIV bei Einreise und Aufenthalt, zu der die europäische Therapieaktivisten-Gruppe EATG, das weltweite Positivennetzwerk GNP+, die IAS und UNAIDS eingeladen hatten. Aus gutem Grund: Derzeit gibt es etwa 50 bis 60 Länder mit Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen, und etwa 30 Länder schrecken nicht einmal vor Deportationen von HIV-Positiven zurück. Eines dieser Länder ist Malaysia.

Manche Länder schrecken nicht einmal vor Deportationen zurück

Für regelmäßige Screenings von Arbeitsmigranten gibt man in Malaysia jährlich mehrstellige Millionenbeträge aus. Das wundert nicht, denn Malaysia hat mehrere Millionen Arbeitsmigranten. Dieses Geld fehlt für sinnvolle Präventionsstrategien: In der Konferenz erfuhren wir, dass die Regierung für die Prävention in der Schwulenszene keinen Pfennig ausgibt. Man pries bereits als Fortschritt, dass der Gesundheitsminister Malaysias anlässlich der Konferenz zum ersten Mal öffentlich den Begriff „Männer, die Sex mit Männern haben“ in den Mund genommen hatte.

Warum ausgerechnet Malaysia? (Foto: Katharina Wieland-Müller, pixelio.de)
Warum ausgerechnet Malaysia als Gastland der Internationalen Aids-Konferenz? (Foto: Katharina Wieland-Müller, pixelio.de)

Zu Recht wurde gefragt, warum ausgerechnet Malaysia als Gastland der Konferenz ausgewählt wurde und ob das als Richtungsänderung der IAS zu werten sei. Bisher war immer gut überlegt worden, wo man internationale Konferenzen durchführen kann und wo HIV-Positive und von HIV besonders betroffene Gruppen in punkto Einreise und Aufenthalt nicht diskriminiert werden. Das war immer ein kraftvoller Hebel, um Länder wie etwa die USA oder China dazu zu bewegen, ihre Einreisebestimmungen aufzuheben oder wenigstens zu lockern.

In der Regel trifft es Arbeitsmigranten, Praktikanten oder Studenten

In der Regel treffen HIV-bezogene Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen Arbeitsemigranten, Praktikanten oder Studenten, die länger als drei Monate im Land bleiben möchten oder müssen. Die Praxis zeigt, dass Infizierte entweder bereits bei der Beantragung des Visums „ausgesiebt“ werden (oft ist ein HIV-negatives Testergebnis vorzulegen) oder dass man sie nach Hause schickt, wenn die Infektion nach der Einreise festgestellt wird. In Ländern, die ihre Bestimmungen durchsetzen, müssen Ausländer einmal jährlich ein aktuelles HIV-Testergebnis vorlegen.

Peter Wiessner (Foto: privat)
Peter Wiessner ist HIV/Aids-Aktivist und Experte für Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen (Foto: privat)

Humanitäre Standards und Rechtssicherheit scheinen für die Betroffenen nicht zu gelten. Infizierte werden entfernt, so einfach ist das. Dass Arbeitsmigranten einen erheblichen Beitrag zum Aufbau des Gastlandes leisten, spielt dabei keine Rolle. Beispiel Katar: Dort werden derzeit Hunderttausende unter erbärmlichen Bedingungen auf den Baustellen für die Fußballweltmeisterschaft 2022 ausgebeutet. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sind 80 Prozent (!) der Gesamtbevölkerung Arbeitsmigranten, die unter prekärem Rechtsstatus die Wirtschaft aufrechterhalten. Manchmal wird ihnen bei Arbeitsantritt der Reisepass abgenommen; in diesem Fall sind sie der Willkür und der Ausbeutung von Arbeitgebern und Behörden komplett ausgeliefert.

Die Reise kann, noch bevor sie begonnen hat, auch schon zu Ende sein

Bei „Arbeitsmigranten“ denken wir meist an Menschen aus Afrika oder Asien. Es gibt aber auch Deutsche, auf die das zutrifft. Wer als Mensch mit HIV etwa für Russland oder die Golfstaaten ein Arbeitsvisum beantragt, wird feststellen, dass die Reise, noch bevor sie begonnen hat, auch schon zu Ende ist – es sei denn, man nimmt die Risiken wie Gefangennahme und Deportation, Bestechung, Outing gegenüber dem Arbeitgeber oder lebenslanges Verbot einer erneuten Einreise in Kauf.

In Sachen HIV tut Lernen not (Foto: Uwe Steinbrich, pixelio.de)
In Sachen HIV tut Lernen not (Foto: Uwe Steinbrich, pixelio.de)

Und dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle: Über die Homepage www.hivrestrictions.org treffen regelmäßig Anfragen und Hilferufe bei uns ein. Wie kann es sein, dass in einer zivilisierten Welt solche Maßnahmen durchsetzbar sind? Hat sich noch nicht herumgesprochen, dass HIV bei Alltagskontakten oder am Arbeitsplatz nicht übertragen wird? Dass man unter wirksamer HIV-Therapie sexuell nicht mehr infektiös ist? Dass HIV-Positive im Beruf genauso viel leisten können wie andere auch? Oder dass ausländische Arbeitnehmer ebenso ein Anrecht auf medizinische Behandlung haben sollten? Wird wirklich geglaubt, man könne HIV an den Landesgrenzen stoppen?

Die Welt hat sich zwar weitergedreht, aber die alten Bilder von Aids wirken noch nach

HIV-bezogene Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen stammen aus einer von Panik und Unwissenheit geprägten Zeit. Die Welt hat sich zwar weitergedreht, aber die alten Bilder von Aids wirken noch nach. Politik, Rechtsprechung und Prävention hinken dem aktuellen Wissensstand manchmal um Jahrzehnte hinterher. Für uns in Europa mag sich der Schaden in Grenzen halten: Es gibt Vereinbarungen zur Freizügigkeit und zur Wahrung von Grundrechten, und unsere Chancen auf einen Arbeitsplatz sind vergleichsweise hoch. Anders sieht das für Arbeitsemigranten aus den Entwicklungs- oder Schwellenländern aus: Hier sind die Zukunftsperspektiven und Ernährungsgrundlagen ganzer Familien schnell zerstört.

(Foto: S. Hofschlaeger, pixelio.de)
Positiv getestet, verhaftet und in Handschellen deportiert (Foto: S. Hofschlaeger, pixelio.de)

In Kuala Lumpur gab es dazu bewegende Beiträge, wie beispielsweise von Owie Franco von den Philippinen. Owie arbeitete als Arbeitsmigrant in Saudi Arabien und erhielt nach einem Jahr Einsatz ein positives Testergebnis. Ohne jegliche medizinische Aufklärung wurde er verhaftet und anschließend in Handschellen deportiert. Nicht einmal seine persönlichen Sachen konnte er mitnehmen. „I was not happy“, sagte er dazu. Noch Fragen? Oder die malaysische Rechtsanwältin Irene Fernandez: Sie stand wegen ihrer couragierten Haltung jahrzehntelang unter Hausarrest und wurde auf der Welt-Aids-Konferenz in Barcelona für ihr Engagement im Feld HIV, Migration, Frauen- und Menschenrechte mit dem Jonathan Mann Award ausgezeichnet.

Sonderbestimmungen gibt es oft auch für Prostituierte, Drogengebraucher und Schwule

Berichtet wurde ebenso von den Aktivitäten zur Änderung der Einreise- und Aufenthaltsregelungen Australiens. Dort nämlich wird 2014 die Welt-Aids-Konferenz stattfinden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es nicht nur für Menschen mit HIV, sondern oft auch für Prostituierte, Drogen Gebrauchende und Schwule Sonderbestimmungen gibt: allesamt von HIV besonders bedrohte Gruppen, ohne deren Mitwirkung die Bemühungen um die Eindämmung der Infektion wenig erfolgreich wären. In unserer künftigen politischen Arbeit gilt es daher, alle Kräfte zu bündeln – möglicherweise durch eine entsprechende Erweiterung der globalen Datenbank www.hivrestrictions.org.

Kräfte bündeln (Foto: Stephanie Hofschlaeger, pixelio.de)
Kräfte bündeln und Ungerechtigkeiten zur Sprache bringen! (Foto: Stephanie Hofschlaeger, pixelio.de)

Anfang September 2013 sandte die EATG an die IAS ein Schreiben mit Fragen der Teilnehmenden zu den Standards der Internationalen Aids-Gesellschaft bei der Wahl der Konferenzorte und was zur Gewährleistung der Sicherheit besonders vulnerabler Gruppen unternommen werde. In Kuala Lumpur war ein Konferenzteilnehmer in seinem Hotelzimmer bei einem Date unter Drogen gesetzt und ausgeraubt worden. Da Homosexualität in Malaysia offiziell nicht erlaubt ist, konnte er keine Anzeige erstatten, ohne selbst eine Strafverfolgung und vielleicht sogar eine Ausweisung zu riskieren – persönliches Pech oder eine Sache, die in der Verantwortung der Konferenzorganisatoren liegt?

Mit der Wahl der Konferenzorte will die IAS Zeichen setzen

In ihrer Antwort vom 20. September hebt die IAS hervor, dass der Sicherheit der Konferenzteilnehmer höchste Priorität beigemessen werde. Außerdem wolle man in den Gastländern eine wissenschaftlich geprüfte und auf den Menschenrechten basierende HIV-Politik fördern, was die IAS an zwei Beispielen erläuterte: Die Welt-Aids-Konferenz in Südafrika (2000) tagte zu einer Zeit, als die damalige Regierung des Landes Aids geleugnet habe und den Betroffenen der Zugang zur Behandlung verwehrt gewesen sei. Die Bangkok-Konferenz (2004) wiederum habe mitten im „War on Drugs“ stattgefunden, als die thailändische Regierung nicht nur Drogen, sondern auch die Drogenkonsumenten bekämpfte – ein Krieg, der für viele tödlich geendet sei. Durch die Wahl dieser Konferenzorte sei es gelungen, auf Missstände hinzuweisen.

Auch mit Malaysia als Gastland habe man ein Zeichen setzen wollen: Dort seien HIV-Medikamente kostenlos zugänglich, und lobenswert seien auch die Maßnahmen der Führung des Landes zur Verbesserung der Präventionsmöglichkeiten für Drogen Gebrauchende. Und was ist nun mit den Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen? Was tun, wenn man als Mensch mit HIV durch andere Staaten wie Ungeziefer behandelt wird? Eine Sofortlösung scheint es nicht zu geben. Aber manchmal hilft es ja schon, Ungerechtigkeiten zur Sprache zu bringen.

 

Sämtliche Beiträge der IAS-Konferenz in Kuala Lumpur wurden aufgezeichnet. Besonders gedankt sei an dieser Stelle Nick Feustel, der die Videos kostenlos produziert und ins Netz gestellt hat.

Weitere Hintergrundinformationen, unter anderem ein Interview mit Irene Fernandez zur Situation von Arbeitsmigranten, sowie das Schreiben der EATG an die IAS finden sich auf der Website der EATG.

Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen in Malaysia

Der Autor stellt das Antwortschreiben der IAS gerne zur Verfügung. Kontakt: peter-wiessner@t-online.de

 

 

1 Kommentare

dirk schaeffer 15. Oktober 2013 16:39

toller Beitrag Peter!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

60 + = 63