Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?
Ältere Semester werden sich noch an „Was bin ich?“, das „heitere“ (und manchmal quälend langweilige) Beruferaten“ mit Robert Lembke erinnern. Die Gäste mit den zu erratenden Berufen mussten sich ein Porzellansparschwein aussuchen, in das Lembke für jedes „Nein“ auf eine Frage des Rateteams ein Fünf-Mark-Stück einwarf. Da das Schwein in unterschiedlichen Farben vorrätig war, fragte er zu Beginn jeder Raterunde: „Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?“ – das hat sich tief ins kollektive TV-Gedächtnis eingegraben.
Was kommt nach den Millennium-Entwicklungszielen?
In welches „Schweinderl“, sprich: für welche Aufgabe die Weltgemeinschaft künftig finanzielle Mittel gesteckt werden, diskutieren die Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten derzeit in New York bei der 68. Vollversammlung der Vereinten Nationen. Wichtige Themen sind die Bilanz und die Weiterentwicklung der im Jahr 2000 verabschiedeten „Millennium Development Goals“ (MDGs), deren Zielmarke das Jahr 2015 ist:
- Extreme Armut und Hunger beseitigen (MDG1)
- Grundschulausbildung für alle Kinder gewährleisten (MDG2)
- Gleichstellung und größeren Einfluss der Frauen fördern (MDG3)
- Die Kindersterblichkeit senken (MDG4)
- Die Gesundheit der Mütter verbessern (MDG5)
- HIV/Aids, Malaria und andere schwere Krankheitenbekämpfen (MDG6)
- Die ökologische Nachhaltigkeit sichern (MDG7)
- Eine globale Partnerschaft für Entwicklung aufbauen (MDG8).
Vieles ist erreicht, so die UN-Sonderberaterin zur Post-2015-Entwicklungsagenda, Amina J. Mohammed. Der Anteil der Menschen beispielsweise, die mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen, sei von 47 Prozent im Jahr 1990 auf 22 Prozent im Jahr 2010 gesunken, und das Ziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, könne erreicht werden. Vieles wurde aber auch nicht erreicht, so Mohammed weiter: Nach wie vor lebten mehr als eine Milliarde Menschen in extremer Armut, und Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, sanitären Anlagen, zur Gesundheitsversorgung, zu Wohnraum und zur Bildung.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon weist in seinem Bericht zu den Millennium-Entwicklungszielen und der Zeit nach 2015 darauf hin, dass sich die Welt seit der Jahrtausendwende radikal gewandelt habe: Neue Wirtschaftsgroßmächte hätten die Bühne betreten, neue Technologien unsere Gesellschaften verändert, der menschliche Druck auf unseren Planeten sei weiter gestiegen, und in reichen wie in armen Ländern wachse die Ungleichheit. Sein Leitmotiv für die Zukunft heißt daher „Ein Leben in Würde für alle“. Leitprinzip soll eine nachhaltige Entwicklung sein, die Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit und achtsamen Umgang mit der Umwelt vereint. Um diese „universale Agenda“ umzusetzen, so Ban Ki-moon, seien tief greifende Veränderungen unseres Wirtschaftssystems und eine neue globale Partnerschaft nötig.
Ein Leben in Würde für alle
Wie in der Zeit nach 2015 – „Post-2015“ – gewichtet und „gebündelt“ wird, ist daher längst nicht klar: Im „Angebot“ ist die Bekämpfung des Hungers oder der globalen Erwärmung, der verantwortliche Umgang mit Ressourcen oder die Bekämpfung nicht übertragbarer sogenannter Zivilisationskrankheiten, die durch den Lebensstil verursacht werden: durch Tabak- und Alkoholkonsum (weltweit die zweit- und dritthäufigste Todesursache), Fettleibigkeit und Fehlernährung (Rang sechs und sieben) oder durch mangelnde Bewegung (Rang zehn). Festgelegt in New York wird aber auch, welche Rolle der weiteren Bekämpfung von HIV und Aids, Tuberkulose und Malaria beigemessen wird.
Doch was bewirken solche Ziele und Papiere überhaupt? Dass nicht alles „heiße Luft“ ist, was bei Treffen wie diesen beschlossen wird, belegen eindrucksvoll die Ergebnisse zum Entwicklungsziel Nummer 6 „HIV/Aids, Malaria und andere schwere Krankheiten bekämpfen“. Es hat folgende Unterziele:
- Bis 2015 soll die Ausbreitung von HIV und Aids zum Stillstand gebracht und eine Trendumkehr bewirkt werden.
- Bis 2010 soll der weltweite Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Menschen mit HIV und Aids erreicht werden, die diese benötigen.
- Bis 2015 soll die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten zum Stillstand gebracht und eine Trendumkehr bewirkt werden.
Diese Ziele hatten im Jahr 2000 etwas Utopisches. In den ärmeren Ländern der Welt, vor allem in Subsahara-Afrika, lebten damals schätzungsweise 95 Prozent aller Menschen mit HIV, täglich gab es 15.000 Infektionen und 8.000 Todesfälle infolge der Krankheit. Zugang zu HIV-Medikamenten hatte dort praktisch niemand: Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Subsahara-Afrika lag bei rund 500 Dollar, während die durchschnittlichen eine Dreifach-Kombinationstherapie in den USA durchschnittlich 10.000 bis 15.000 Dollar pro Jahr kostete.
Utopie? Ja bitte!
Doch zum Wesen von Utopien gehört es, dass sie beflügeln und Kräfte freisetzen. Und die Ergebnisse der Bekämpfung von HIV, Aids, Tuberkulose und Malaria können sich durchaus sehen lassen: Heute haben zehn Millionen HIV-Infizierte in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen Zugang zu HIV-Medikamenten, wie UNAIDS in seinem gerade veröffentlichten Bericht gezeigt hat. Das kürzlich von UNAIDS ausgegebene Ziel, bis 2015 sollten 15 Millionen Menschen mit HIV in Behandlung sein, scheint in Reichweite. Auch die weiteren Zahlen machen Mut: 2012 wurden 52 Prozent weniger Kinder infiziert als noch im Jahr 2001, insgesamt steckten sich 2,3 Millionen Menschen an (minus 33 Prozent gegenüber 2001). Die Zahl der aidsbedingten Todesfälle sinkt ebenfalls: 2011 starben weltweit 1,7 Millionen Menschen an den Folgen der Krankheit, immerhin 25 Prozent weniger als noch 2005.
Es sind noch zwei Jahre bis 2015. Die Anstrengungen dürfen jetzt nicht nachlassen, sondern müssen verstärkt werden. Dazu gehört es, die Finanzierung sicherzustellen. Die Bereitschaft, Geld für den Globalen Fonds gegen HIV, Aids und Malaria zur Verfügung zu stellen, schwächelt aber seit Beginn der Finanzkrise. Zu hoffen ist, dass die künftige Bundesregierung hier ihrer Verantwortung besser gerecht wird.
Die britische Regierung ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Vor wenigen Tagen kündigte sie an, in den kommenden drei Jahren umgerechnet 1,2 Milliarden Euro für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria bereitzustellen – wenn denn die anderen Geberländer mitziehen und insgesamt 15 Milliarden Dollar für den Zeitraum 2014 bis 2016 aufbringen (aidshilfe.de berichtete). Das käme einer Verdoppelung des bisherigen Engagements der Briten gleich. Wo bleibt die Bundesrepublik? Als stärkste Volkswirtschaft in Europa müsse sie ihren jetzigen Beitrag von 200 Millionen Euro pro Jahr mindestens ebenfalls verdoppeln, fordern unter anderem die Deutsche AIDS-Hilfe, das Aktionsbündnis gegen AIDS und Ärzte ohne Grenzen.
Jetzt nicht nachlassen!
Die „Post-2015-Agenda“ gilt als einer der wichtigsten politischen Prozesse der kommenden Jahre. Wie ernst die Weltgemeinschaft es damit meint, wird sich auch an der Frage messen lassen müssen, ob die zur Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malaria nötigen Gelder bereitgestellt werden. Hoffen wir, dass die Mitglieder der Vereinten Nationen Gesundheit nicht nur als Investitions- und Wachstumsfaktor, sondern auch als Menschenrecht wahrnehmen. Auf die Frage nach dem „Schweinderl“ müsste man dann auf jeden Fall sagen: „Das mit dem Recht auf Gesundheit für alle.“
Quellen/weitere Informationen
Informationen der Bundesregierung zur Post-2015-Entwicklungsagenda
UNAIDS-Plan: HIV-Behandlung für 15 Millionen Menschen bis 2015 (aidshilfe.de, 15.7.2013)
The Millennium Development Goals Report (PDF-Datei in englischer Sprache)
UNAIDS-Bericht zur globalen Aids-Epidemie 2013 (PDF-Datei in englischer Sprache)
Abschlussdokument der UN-Sonderveranstaltung zu den MDGs vom 25.9.2013 (PDF-Datei in englischer Sprache)
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