„Wir müssen uns auf Gleichheit konzentrieren“
Rosalia, Sie engagieren sich in der Community-gestützten HIV-Arbeit. Können Sie die Situation von Menschen mit HIV und Aids in der Dominikanischen Republik kurz beschreiben?
Bei uns sind diese Menschen gegenüber „Normalbürgerinnen und -bürgern“ – einschließlich derer mit anderen chronischen Krankheiten – benachteiligt. Das liegt daran, dass es an Erwerbsmöglichkeiten für Infizierte mangelt oder dass man seinen Arbeitsplatz schnell verlieren kann, wenn bekannt wird, dass man HIV-positiv ist. Die mit dieser Krankheit verbundene Diskriminierung verwehrt es Betroffenen, im Job zu bleiben oder ihre Würde zu wahren. Und sie blockiert den Zugang zu Leistungen, die andere Menschen in Anspruch nehmen können. Das gilt beispielsweise für Lebensversicherungen oder Kredite, aber auch für Leistungen des Gesundheitssystems. Selbst Angebote, die der Staat speziell für die Behandlung HIV-Positiver vorhält, bieten nicht alle Leistungen, die für eine umfassende Versorgung notwendig wären.
Hinzu kommt das geringe Wissen über die HIV-Erkrankung in der Bevölkerung. Es führt dazu, dass in den Familien und im weiteren sozialen Umfeld die Menschenrechte der Betroffenen verletzt werden.
Unterscheidet sich die Situation HIV-positiver Frauen von derjenigen der Männer?
Ja, allein schon deshalb, weil Frauen sich um den Haushalt, die Kinder, ihre Partner und manchmal auch um andere Familien kümmern müssen – ohne Rücksicht darauf, wie sie sich fühlen. Bei betroffenen Paaren sind es meist die Frauen, die als erste von ihrer HIV-Infektion erfahren. Das passiert in der Regel in der Schwangerschaft, nachdem man ihnen zu einem HIV-Test geraten hat. Diese Nachricht ihren Partnern überbringen zu müssen, ist für die Frauen eine Qual, weil sie befürchten, dass man ihnen die Schuld an der Infektion geben wird.
Ein anderes Beispiel ist die gesundheitliche Versorgung: Das öffentliche Gesundheitssystem sieht für HIV-positive Frauen keine gynäkologischen Untersuchungen vor. Bei über 50-Jährigen werden die Besonderheiten der Wechseljahre im Kontext HIV nicht berücksichtigt. Es mangelt an allem, was für das Selbstwertgefühl und das soziale Ansehen der Frauen wichtig ist, sei es zahnärztliche Versorgung oder eine Behandlung bei Lipodystrophie oder Bluthochdruck. Verschlimmert wird ihre Lage im Falle geschlechtsbezogener Gewalt oder bei sozialen Einschränkungen, wie sie für Frauen in Entwicklungsländern typisch sind.
Beim Stigma-Index wurde ja auch ein Modul zu geschlechtsbezogener Gewalt einbezogen. Was wurde dabei ermittelt?
In der Dominikanischen Republik ist häusliche Gewalt sehr häufig. Wir wollten ermitteln, ob HIV-positive Frauen genauso oft oder häufiger als andere Frauen solche Gewalt erleben. Nachfolgende Studien haben bestätigt, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen HIV und Gewalt gegen das weibliche Geschlecht gibt.
Die Kontrolle der Männer über ihre Partnerinnen drückt sich in Eifersucht aus, und zwar bereits dann, wenn die Frau nur mit einem anderen Mann spricht – ein sehr häufiges Muster. Oder dadurch, dass sie immer wissen wollen, wohin sie geht und ob sie allein ausgeht, wovon in den Studien in zwei von fünf Fällen berichtet wurde. Weniger häufig kommt es vor, dass der Partnerin grundlos Untreue vorgeworfen oder dass ihr der Besuch von Verwandten und Freunden verboten wird. Das bei den Befragten ermittelte Vorkommen ehelicher Gewalt kann als sehr hoch eingestuft werden. Verbale oder körperliche Gewalt gipfelt in vielen Fällen in Mordandrohungen und Schlägen.
Was können Regierungen, aber auch die Zivilgesellschaften und die mit HIV lebenden Menschen gegen diese Formen von Diskriminierung tun?
Menschen mit HIV und Aids müssen weiterhin auf die Zivilgesellschaft und die nationalen und internationalen Netzwerke vertrauen. So kann die Suche nach Lösungen zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten, mit denen HIV-Positive und Aidskranke konfrontiert sind, verstärkt werden. Sie müssen weiterhin an solchen Studien wie dem Stigma Index teilnehmen, um Situationen, die ihren Alltag beeinträchtigen, erkennen und verhindern zu können. Außerdem müssen sie kooperieren, um ihre Mitwirkung bei künftigen Studien in unserem Land zu sichern und bei der Suche nach Entwicklungsstrategien von Anfang an einbezogen zu sein. Ebenso sollten sie sich an der Veröffentlichung der Ergebnisse und an der Suche nach Bündnispartnern beteiligen: So kann auf diejenigen Situationen aufmerksam gemacht werden, die untersucht werden sollten, wie das auch beim Stigma Index der Fall war.
Welche Rolle könnten dabei ausländische Partner spielen?
Ich sehe den Stigma Index als eine Plattform, auf der Vorschläge und Projekte zur Durchsetzung von Rechten und gegen Diskriminierung präsentiert werden. Ausländische Partner können beispielsweise Netzwerk-Initiativen unterstützen, die dem Ausschluss von Menschen mit HIV und Aids entgegenwirken – im Zeitalter der Globalisierung sollte es nicht um „Inseln der Humanität“ gehen, sondern um Einbeziehung. Moralische und materielle Unterstützung wird gebraucht, um die Arbeit fortsetzen zu können. Nötig sind vor allem ökonomische Ressourcen für Initiativen, die für die Schaffung neuer Gesetze eintreten, die schlicht die Menschenrechte verkörpern und nicht solche Rechte, die sich auf einen bestimmten Gesundheitszustand beziehen. Wir müssen uns auf Gleichheit konzentrieren: Das ist ein gemeinsames Banner, das die Medien und politischen Entscheidungsträger zur Mitwirkung an diesen Prozessen einlädt. Denn HIV hat nur ein Gesicht: das menschliche Gesicht.
(Übersetzung: Kim Winkler)
Das Gespräch fand am 12. April 2011 in Eschborn im Rahmen eines Treffens zur Veröffentlichung des Studienberichts „Piecing it together for women and girls” statt. Die Studie wurde von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanziert. Der in Englisch verfasste Bericht gibt einen Überblick über geschlechtspezifische Aspekte HIV-bezogener Stigmatisierung in Äthiopien, Bangladesch und der Dominikanischen Republik.
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