Zwischen Aufbruch, Verfolgung und westlicher Vereinnahmung
Erst Nigeria, dann Uganda, Gambia und Liberia – immer mehr afrikanische Staaten, so der Eindruck, debattieren oder verabschieden Anti-Homosexuellen-Gesetze. Die staatlich verordnete Homophobie hat in weiten Teilen der Welt Wut und Proteste ausgelöst und die Forderung nach internationalen Sanktionen hervorgerufen. Aber ist die Streichung von Entwicklungshilfe tatsächlich der richtige Weg? Oder werden Schwule und Lesben in ihren Heimatländern dadurch nicht erst zu Sündenböcken gestempelt?
Über 60 Expertinnen und Experten haben sich im vergangenen Jahr bei der zweiten „African Same-Sex Sexualites and Gender Diversity“-Konferenz in Nairobi unter anderem auch dazu ausgetauscht. Einfache Antworten oder griffige Lösungen haben sie freilich nicht gefunden.
Ihre Diskussionsbeiträge, die nun als Auswahl und für die Publikation aufbereitet in einem Reader online abrufbar sind, sind allerdings in vielerlei Hinsicht hilfreich: als schlaglichtartige, aber erhellende Analysen der juristischen und gesellschaftspolitischen Hintergründe wie auch zur Standortbestimmung der LGBT-Bewegungen in Afrika.
Die Beiträge reichen von Interviews über kämpferische, hochemotionale Essays bis hin zu einem Photovoice-Projekt, für das Schwule und Lesben aus verschiedenen Ländern Momentaufnahmen ihres Alltags dokumentierten.
In 38 der 54 Staaten Afrikas wird Homosexualität kriminalisiert
Der 172-seitige, englischsprachige Band „Boldly Queer – African Perspectives on Same-sex sexuality and gender diversity“ will und kann keine allumfassende Bestandsaufnahme sein, sondern nur einzelne Aspekte und wenige Länder Afrikas berücksichtigen. Doch der Faktenreichtum und die Bandbreite der 15 Einzelessays wie auch die Zusammenfassungen von rund 40 weiteren Vorträgen bilden einen lesenswerten Überblick.
In 38 der 54 Staaten Afrikas wird derzeit Homosexualität kriminalisiert. Vor allem schwule Männer müssen in vielen Ländern mit Gefängnisstrafen bis zu 14 Jahren rechnen. In nördlichen Bundesstaaten Nigerias etwa, wo das islamische Recht der Schari’a angewandt wird, droht Lesben und Schwulen sogar die Steinigung.
Anti-Homosexuellen-Gesetze dienen nicht nur der symbolischen Abschreckung und demonstrativen Ablehnung westlicher Lebensstile, sondern sie werden auch angewandt. Nur wenige Tage nach Inkrafttreten des sogenannten „Same Sex Marriage Prohibition Acts“ in Nigeria im Januar 2014 sei es bereits zu ersten Verurteilungen gekommen, berichtet der Gesundheitswissenschaftler Chiedu Chike Ifekandu.
Ein 28-jähriger Mann war eines „sodomitischen Aktes“ für schuldig befunden worden. Weil das angebliche Vergehen bereits sieben Jahr zurücklag und der Beklagte beteuerte, zu dieser einmaligen Ausschweifung verführt worden zu sein, ist man von der Todesstrafe auf eine Geldstrafe und öffentliche Auspeitschung heruntergegangen. Nur kurze Zeit später wurde ein Dutzend Männer in einem Schwulenclub in Bauchi verhaftet. Die Verhandlung musste schließlich abgebrochen werden, weil vor dem Gerichtsgebäude eine aufgebrachte Menschenmenge die umgehende Exekution verlangte.
Eine 2013 unter 8.000 Menschen in Ländern südlich der Sahara durchgeführte Studie ergab eine erschreckend deutliche Homosexuellenfeindlichkeit. 92 Prozent der Befragten fand es demnach richtig, dass gleichgeschlechtlich Liebende von der Gesellschaft abgelehnt werden, im Senegal lag der Prozentsatz gar bei 97 Prozent.
Homosexualität gilt als „unafrikanisch“
Homosexualität gilt in vielen dieser Ländern als „unafrikanisch“, und dies ist zumeist gleichbedeutend mit „unchristlich“. Gleich mehrere Autoren in „Boldly Queer“ weisen jedoch darauf hin, dass gleichgeschlechtliche beziehungsweise nichtheterosexuelle Beziehungen und Sexualität in traditionellen afrikanischen Kulturen wenn nicht akzeptiert, so doch durchaus geduldet waren.
Zur Kriminalisierung sei es erst durch die britischen Kolonialherren gekommen; den Homosexuellenhass geschürt hätten schließlich insbesondere evangelikale Fundamentalisten. Die angebliche Rückständigkeit des afrikanischen Kontinents, über die sich westliche Medien und Aktivisten angesichts von Anti-Homosexuellen-Gesetzen immer wieder empören, ist letztlich also ein Export ihrer eigenen Gesellschaft.
Die von den religiösen Eiferern entfesselten Hetzjagden haben vielerorts die ohnehin spärlichen LGBT-Infrastrukturen komplett ausgelöscht. Von den 2013 durch eine HIV/STI-Präventionseinrichtung ermittelten 175 öffentlichen LGBT-Treffpunkten in Nigeria haben im Jahr darauf alle bis auf 25 aufgegeben. Für viele Lesben, Schwule, bisexuelle und trans* Menschen bleibt nur der Weg, in Südafrika, Europa oder in den USA Asyl zu suchen.
Je mehr die öffentlichen Räume schwinden, umso wichtiger werden – ähnlich wie in anderen homophoben Staaten wie beispielsweise Saudi Arabien oder Russland – die virtuellen. Das Internet ist zu einem entscheidenden, ja überlebensnotwendigen Werkzeug geworden, mit dem sich die Menschen gefahrlos zu einer Community verbinden und auf Blogs, in Foren oder Dating-Plattformen Gleichgesinnte kennenlernen können.
Für viele ist dies auch der einzige Weg, um Informationen zu bekommen, sei es Rechtsberatung, gesundheitliche Aufklärung oder Hilfe bei religiösen Fragen. Doch auch die Gegenseite nutzt das Netz, wie Chiedu Chike Ifekandu in seinem Aufsatz betont. Die Jugendorganisation der Anglikanischen Kirche etwa nutze die sozialen Medien gezielt und professionell dazu, Homosexuelle zu verunglimpfen.
Virtuelle Räume im Internet haben überlebenswichtige Bedeutung
Angesichts solch gesellschaftlicher und politischer Repressionen ist eine Gesundheitsfürsorge für LGBT kaum mehr zu realisieren. „Es hat viele Jahre harte Arbeit gebraucht, um akzeptable Rahmenbedingungen für eine HIV- und STI- Prävention in Nigeria aufzubauen”, so Ifekandu. Mit 17,2 Prozent liegt die HIV-Rate bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), fünfmal höher als bei der Allgemeinbevölkerung. Doch alle Anstrengungen seien durch das Anti-Homosexuellen-Gesetz binnen kurzer Zeit zunichtegemacht worden.
Nicht anders in Uganda. Durch die Kriminalisierung habe sich auch dort der Zugang für LGBT zum Gesundheitssystem deutlich verschlechtert. Viele Angebote – von grundlegender Aufklärung über sexuelle Gesundheit bis hin zu HIV-Prävention, Testangeboten und Behandlung – wurden mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes eingestellt.
Für zahlreiche LGBT bedeutet dies das Ende ihrer HIV-Behandlung; auch Kondome und Gleitmittel sind für sie nicht mehr verfügbar. Und auch in Uganda ist bereits jetzt ein deutlicher Anstieg der HIV-Infektionsraten unter MSM zu verzeichnen.
Zudem waren die meisten HIV/Aids-Projekte von internationalen Nichtregierungsorganisationen und vom Global Fund initiiert und finanziert worden. Langfristig jedoch, so Lucill Ebong von der ugandischen Health & Rights Initiatives, werde sich an der Gesundheitssituation in Unganda nur dann etwas ändern können, wenn diese Infrastruktur unabhängig von ausländischen Geldgebern, also tatsächlich vom ugandischen Staat bereitgestellt und gesichert würde.
Nur so könne ein Gesundheitssystem aufgebaut werden, das dazu beiträgt, die Gesamtbevölkerung gesund und damit auch produktiv zu erhalten und Epidemien wie HIV, Ebola und das Marburg-Virus effektiv zu bekämpfen. In den letzten drei Jahrzehnten sei dies leider versäumt worden, beklagt Ebong, und auch die nationalen Medien hätten davor die Augen verschlossen.
Gut gemeinte, aber herablassende Haltung des Westens
Einer der zentralen Aufsätze des Bandes stammt von Kehinde Okanlawon, einem nigerianischen Aktivisten und Sozialarbeiter. Er ist einerseits ein Versuch, die Gründe für die starke und weiter wachsende Homosexuellenfeindlichkeit in afrikanischen Ländern zu erklären und zugleich die Folgen der Diskriminierung, aber auch die westlichen Reaktionen ins rechte Licht zu setzen.
Okanlawon wehrt sich gegen das von westlichen Medien und Nichtregierungsorganisationen gezeichnete Bild afrikanischer Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender als durchweg unterdrückte und durch Gewalt und Diskriminierung paralysierte Minderheit – als Opfer einer rückständigen, reaktionären Kultur. Er empfindet diese einseitigen und eindimensionale Darstellungen nicht nur als unproduktiv, sondern unfair gegenüber all den mutigen und engagierten LGBT-Aktivisten. Diese hätten es nicht verdient, dass sie vom Westen durch solche „repetitiven und gut gemeinten“, aber doch nur „herablassendes Mitleid“ hervorrufende Geschichten ihrer Würde beraubt werden.
Heuchlerisch sei zudem, dass Juristen, Aktivisten und Politiker zum Beispiel aus den Niederlanden, Großbritannien und den USA mahnend auf die bestehende Homosexuellenfeindlichkeit etwa in Uganda hinweisen, zugleich aber auch in ihren eigenen Ländern ein ziemliches Homophobie-Problem bestehe. Denn auch dort würden LGBT-Rechte beschnitten, und queere Flüchtlinge sind nicht vor rassistischen Übergriffen geschützt. Kanada habe beispielsweise ugandischen LGBT-Aktivisten das für den Besuch einer Tagung notwendige Visum versagt, weil man ihnen unterstellte, die Einreise nutzen zu wollen, um Asyl zu beantragen.
Es steckt viel Wut und Frust in Okanlawons Text, aber er gibt auch deutliche Hinweise darauf, warum er von vielen westlichen Unterstützern enttäuscht ist, warum gut gemeinte Ratschläge und Aktionen letzten Endes kontraproduktiv sind. Zum Beispiel weil Europäer und Amerikaner glauben, auf unreflektierte, bevormundende Weise ihr eigenes Wertesystem auf Afrika übertragen zu müssen.
Die Familie mit ihren Strukturen und Zwängen, die Religion mit ihren traditionellen Moralvorstellungen mögen zwar Gründe für die Diskriminierung von afrikanischen Schwulen und Lesben liefern, sie seien aber zugleich für viele LGBT auch Heimat und Stütze. Ein Umstand, der von vielen westlichen Aktivisten nicht einmal wahrgenommen, geschweige denn respektiert werde.
Von Axel Schock
„Boldly Queer. African Perspectives on Same-sex sexuality and gender diversity“ (in englischer Sprache) kann auf www.hivos.org komplett oder in einzelnen Kapiteln kostenlos heruntergeladen werden: https://hivos.org/news/boldlyqueer
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