HIV-Therapie: Neue Ansätze und Entwicklungen
Seit ihrer revolutionären Wende 1996 hat sich die HIV-Therapie nicht nur fest etabliert, sondern wird auch ständig weiterentwickelt. Depotspritzen, Implantate, Gentechnik: Wie werden die Medikamente zukünftig verabreicht? Was wird die erfolgreiche Kombination aus drei Wirkstoffen ablösen? Welche Kriterien müssen neue Behandlungsformen erfüllen?
Vom 3-in-1-Standard zur Zweifachtherapie?
Seit einigen Jahren gibt es in der HIV-Therapie einen Standard: das einmal täglich einzunehmende „Single Tablet Regimen“ – gemeint sind damit drei Wirkstoffe in einer Tablette, also der klassische „Cocktail,“ der ab 1996 das Sterben beendet hat. Seit dieser Zeit hat sich die HIV-Infektion von einer tödlichen Bedrohung in eine meist gut behandelbare Infektion gewandelt. Doch die Entwicklung bleibt nicht stehen. Die eingesetzten Wirkstoffe wurden immer besser wirksam und dabei auch besser verträglich. Schließlich stellte man sich die Frage, ob auch heute noch immer drei Wirkstoffe nötig seien, um HIV dauerhaft an der Vermehrung zu hindern und das Fortschreiten der HIV-Infektion aufzuhalten. Nun, vermutlich nicht.
Sind heute noch immer drei Wirkstoffe nötig, um HIV dauerhaft an der Vermehrung zu hindern?
Nachdem schnell klar war, dass auch mit modernen Substanzen eine Monotherapie (also die Behandlung mit nur einem Wirkstoff) ausscheidet, weil das Risiko einer Resistenzentwicklung einfach zu hoch ist und die Behandlung bei zu vielen Menschen versagt, wagte man sich an Zweifachkombinationen. Als die Datenlage aus den Studien zeigte, dass die Kombination aus Dolutegravir und Rilpivirin einer klassischen Dreifachkombination „nicht unterlegen“ war, wurde sie unter dem Handelsnamen „Juluca®“ für Menschen zugelassen, die mit einer Dreifachkombination für mindestens sechs Monate unter der Nachweisgrenze (50 Kopien/ml) lagen. Bei einer weiteren Zweifachkombination, Dolutegravir und Lamivudin (Dovato®), konzipierte man die Studien von Anfang an auch für bisher unbehandelte Menschen. Auch bei dieser Gruppe bewährte sich die Behandlung mit nur zwei Wirkstoffen. Schließlich bedeutet dies einen Wirkstoff weniger, der Neben- oder Wechselwirkungen verursachen könnte und der zusätzlich kostet.
Die nächste Zweifachkombination umfasste gleich noch eine Weiterentwicklung: Es handelt sich um die Kombination aus zwei Depotspritzen: Die eine mit Cabotegravir (Vocabria®), die andere mit Rilpivirin (Rekambys®). Beide werden zum selben Zeitpunkt tief intramuskulär injiziert und wirken dann zwei Monate. Statt täglicher Tabletteneinnahme müssen also nur noch sechs Injektionstermine pro Jahr beachtet werden. Für diese Form der selteneren und diskreten Verabreichung (schließlich liegen zu Hause keinen Pillenpackungen mehr herum, weil die Spritzen in der Praxis verabreicht werden) gibt es einen klaren Bedarf und fast alle Pharmahersteller forschen inzwischen an lang wirksamen („long acting“) Therapieoptionen.
Langzeitdepot und andere Therapieformen
Der nächste Schritt in diese Richtung ist Lenacapavir (Sunlenca®), das als subkutane Injektion nur noch alle sechs Monate verabreicht werden muss. Das Problem ist aber, dass sich der Hersteller entschieden hat, die Substanz trotz Zulassung bis auf weiteres nicht auf dem deutschen Markt einzuführen, da man befürchtet, den gewünschten Preis nicht erzielen zu können. Für eine vollständige Kombinationstherapie fehlt allerdings auch noch ein Kombinationspartner, der ebenfalls nur halbjährlich verabreicht werden müsste. Was nützt es mir, wenn ich eine Komponente der Therapie nur alle sechs Monate gespritzt bekommen muss, aber für die anderen Komponenten weiterhin täglich Pillen schlucken muss
Auf jeden Fall entwickeln die Hersteller in alle denkbaren Richtungen. Orale Kombinationen, die einmal wöchentlich oder einmal monatlich eingenommen werden können, werden aber auch völlig neue Probleme aufwerfen: Wie gewährleistet man hier eine gute Adhärenz? Wie setzt man diese Kombinationen am besten ab bzw. um? Wie geht man mit akuten Nebenwirkungen und Wechselwirkungen um, wenn man nicht einfach absetzen kann, weil die Substanzen ja über Tage und möglicherweise Wochen hinweg im Körper sind?
Die Hersteller entwickeln in alle denkbaren Richtungen: Pillen, Gel, Injektionen, Implantate.
Inzwischen werden aber auch Ideen verfolgt, wie man bereits verfügbare Substanzen neu formulieren könnte und z. B. als eine Art Gel unter die Haut spritzen könnte, um ein Depot zu bilden, das langfristig (d. h. über Wochen bis Monate) kontinuierlich Wirkstoffe freisetzt. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt man mit Implantaten, wie man sie schon von Empfängnisverhütungsmitteln kennt. Hier erfolgt das Einsetzen mit einer Art großen Nadel unter lokaler Betäubung. Zum Entfernen bzw. Wechseln ist ein winziger Schnitt, ebenfalls unter lokaler Betäubung, erforderlich. Wie diese neuen Methoden in Studien abschneiden bzw. wie sie von den Menschen mit HIV aufgenommen werden, bleibt abzuwarten.
Gentechnologische Ansätze in der HIV-Therapie
Schließlich werden auch eine Reihe von gentechnologischen Ansätzen verfolgt, allen voran die „breit neutralisierenden Antikörper“ (broadly neutralizing Anti-Bodies, bnABs). Dies sind Abwehrmoleküle des Immunsystems, die von einigen wenigen Menschen mit HIV nach vielen Jahren der Infektion ohne Therapie gebildet werden und die verschiedenste HIV-Varianten gut erkennen und neutralisieren könnnen (deshalb „broadly neutralizing“). Inzwischen lassen sich diese bnABs in großem Maße herstellen und können theoretisch sowohl für die Behandlung als auch für die Prävention einer HIV-Infektion eingesetzt werden. Ebenso wie bei den klassischen HIV-Medikamenten kann es aber auch hier schnell zu einer Resistenz kommen, wenn nur ein Antikörper eingesetzt wird. Man braucht also auch hier eine Kombination aus zwei oder drei verschiedenen bnABs. Das macht die Sache teuer. Antikörper sind komplexe Biomoleküle und deren Produktion kostet viel Geld. Noch sind die Preise dieser Behandlungsmethode nicht konkurrenzfähig gegenüber herkömmlichen Kombinationstherapie, aber die Entwicklung geht weiter: Es ist heute möglich, Antikörper so zu verändern, dass sich die Verweil- und damit Wirkungsdauer im Körper erheblich verlängert. Mit solchen Modifikationen ist es zumindest denkbar, bnABs zu entwickeln, die nur ein- oder zweimal pro Jahr als Infusion verabreicht werden müssen. Dann wären auch Preise von einigen tausend Euro durchaus konkurrenzfähig. Aber die Behandlung mit bnABs ist momentan noch in sehr frühen Phasen der klinischen Erprobung.
Wir werden in den nächsten Jahren eine HIV-Therapie sehen, die diverser und individualisierter wird. Bei allen neuen Behandlungsoptionen wird sichergestellt sein, dass die Virusvermehrung zuverlässig unterdrückt wird. Als weitere Priorität wird immer mehr die Lebensqualität der Menschen mit HIV in den Mittelpunkt gerückt. Schließlich muss man derzeit immer noch davon ausgehen, dass die HIV-Therapie lebenslang durchgeführt werden muss.
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