Mutmacher und Motor: Manny Müller
Sein aktivistisches Leben prägte drei Jahrzehnte HIV-Selbsthilfe. Die Aktivistin Alex Frings erinnert sich an ihren 2021 verstorbenen Mitstreiter Manny Müller.
„Man lebt zweimal“, schrieb Honoré de Balzac: „Das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung“. Wie also erinnern wir uns an Menschen, die in der Aids- und Selbsthilfe oder in deren Umfeld etwas bewegt haben? Was bleibt von ihnen, wie bleiben sie in unserem Gedächtnis? Mit diesen und anderen Fragen zum Gedenken beschäftigt sich unsere Reihe „Erinnern und Gedenken“ in loser Folge.
Wie viel ehrenamtliches Engagement ist in drei Jahrzehnten und in einem viel zu kurzen Leben möglich? Die Wirkungsbereiche, in denen Manfred „Manny“ Müller tätig war, seit er 1991 in der Aidshilfe Bochum sein aktivistisches Leben begonnen hat, sind so umfangreich, dass es schwerfällt sie alle aufzuzählen. So war er unter anderem Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft POSITHIV HANDELN NRW und Vorstandsmitglied der Aidshilfe Bochum. Der Altenpfleger ging als positives Gesicht an die Öffentlichkeit – nicht nur in vielen Medienauftritten, sondern auch als IWWIT-Rollenmodell und als Botschafter im Rahmen der bundesweiten Welt-Aidstag-Kampagne 2012.
In der Silvesternacht 2021 ist Manny 52-jährig gestorben.
Alex Frings, HIV-Aktivistin und Mitarbeiterin der Aidshilfe Düsseldorf, erinnert sich im Interview an ihren langjährigen Mitstreiter und Freund.
An was erinnerst du dich spontan als Erstes, wenn du an Manny denkst?
An sein Lächeln. Ich glaube, das verbinde ich deshalb so sehr mit ihm, weil ich noch nie in meinem Leben einen solchen gutmütigen, unfassbar liebenswürdigen und bescheidenen Menschen kennengelernt habe über dessen Lippen nie ein böses Wort gekommen ist. Jeder lästert schon mal, aber das habe ich bei Manny nie erlebt.
Wie zeigte sich seine Bescheidenheit?
Er hat eine solche Präsenz an den Tag gelegt, allein schon dadurch, dass er sich als positiver Mensch im Gesundheitswesen geoutet hatte. Für ihn war das nie etwas Besonderes – anders als für die meisten Menschen, die mit HIV leben und ihre nicht immer guten Erfahrungen im Gesundheitswesen machen oder die sogar in diesem Bereich tätig sind. Für ihn war das immer eine Selbstverständlichkeit und auch etwas, das man einfach machen muss.
Sich öffentlich als Mensch mit HIV zu zeigen.
Ich würde es etwas anders formulieren. Wenn man sich Veränderung wünscht, man die Gesellschaft anders haben möchte, dann war es für Manny die logische Konsequenz selbst etwas dafür zu tun. Und das hat er gemacht. Dafür wurde er im Laufe der Jahre dann auch mehrfach geehrt.
Und anderem von der Aidshilfe Bochum, der Aidshilfe NRW und vom WDR.
Aber er konnte mit diesen Preisen nur schlecht umgehen. Es war wirklich schwierig für ihn, diese Auszeichnungen anzunehmen, denn für ihn war ja selbstverständlich, was er da alles tat.
Manny Müller galt als „Kugelblitz der Selbsthilfe“
Manny hat sich auf den verschiedensten Ebenen engagiert. Man wundert sich, wie er das alles schon rein zeitlich schaffen konnte. Hat er sich irgendwann als Vollzeitaktivist verstanden?
Ich glaube schon. Holger Wicht hat ihn bei den Positiven Begegnungen in Kassel „Kugelblitz der Selbsthilfe“ genannt. Manny war in der Tat unfassbar aktiv, obwohl er nebenbei noch einen Vollzeitjob und eine Beziehung und in den letzten Jahren zudem mit seiner Herzerkrankung zu kämpfen hatte.
Er hat sich voll damit identifiziert und das Engagement hat ihm auch viel gegeben.
In welchen Kontext habt ihr euch kennengelernt?
Durch den Aktivismus. Irgendwann ist er ist dann auch mein bester Freund geworden. Wir hatten ein geradezu symbiotisches Verhältnis. Wir waren eins – im Denken, im Handeln und in unserer Haltung zum Aktivismus: Wir wussten, wie wichtig es ist, dass Menschen mit HIV sichtbar werden, und dass dies nur geschieht, wenn es Menschen gibt, die an die Öffentlichkeit gehen, aber auch, welchen Preis das manchmal hat.
Da ist zum einen die Zeit, die man dafür aufbringt. Dazu kommen die Erfahrungen, die man etwa mit Medien macht. Selbsthilfe und Aktivismus sind nicht immer einfach, und es gibt natürlich auch Menschen in der eigenen Community, die über einen reden, wenn man als öffentliche Person und Aktivist*in omnipräsent ist. Diese Erfahrungen habe ich mit ihm geteilt und Manny hat mich deshalb bei diesen Dingen auch so gut verstanden.
Ich habe zwar viele Freund*innen im Aktivismus, aber mit niemand anderem konnte ich mich so gut austauschen und Erfahrungen teilen wie mit ihm. Durch seinen Tod ist für mich persönlich eine riesige Lücke entstanden.
Sein „Positiv im Pott“ lebt weiter
Gibt es Projekte oder Initiativen, die direkt auf Manny zurückgehen und in denen er gewissermaßen weiterlebt?
Manny war es immer auch wichtig, dass Menschen mit HIV einen Platz in Aidshilfearbeit haben müssen, auch und trotz all der Professionalisierung und der sich verändernden Themen. Dafür hat er sich vor Ort stets eingesetzt. Zuletzt hatte er in Bochum noch ein Projekt angeschoben, mit dem die Selbsthilfe wieder mehr aktiviert werden sollte. Dazu hatte er auch mich und einen anderen Freund motiviert, mit einzusteigen. Dieses Angebot, „Positiv im Pott“, besteht bis heute und richtet sich unter anderem an Menschen, die gerade erst ihre Diagnose erhalten haben, oder auch an solche, die sonst keinen Kontakt zu anderen HIV-Positiven beziehungsweise Probleme mit ihrem verinnerlichten Stigma haben.
Manny hatte Anfang der 1990er Jahre, die – wenn ich es richtig weiß – allererste Selbsthilfegruppe in Bochum überhaupt geleitet. Diese hatte sich dann irgendwann aufgelöst. Ihm war es wichtig, hier wieder ein neues Angebot zu schaffen.
Wie hat Manny auf andere Menschen gewirkt? Solch ein Kugelblitz kann auch einschüchternd wirken oder andere im übertragenen Sinne auch mit seiner Energie überrollen.
Er war zwar omnipräsent, aber nie einer von den Lauten. Im Gegenteil, er gehörte zu den Ruhigen, der sich Anderen auf einer empathischen Ebene angenommen hat.
Wo hat er die Kraft für seine vielseitigen Aktivitätenhergenommen?
Manny hat sehr viel Energie aus dem Aktivismus selbst wieder gezogen. Seine andere große Leidenschaft war Musik; er ist unglaublich gerne auf Konzerte von Dark-Wave- und EBM-Bands gegangen. Er reiste auch gerne mal abseits des Aktivismus, am liebsten in die Berge und manchmal auch an die Küste. Und er wusste immer seinen Ehemann Ludger an seiner Seite.
Inwieweit ist Manny in den HIV-Initiativen und Aidshilfen, in denen er gewirkt hat, weiterhin präsent?
Für viele, die ihn kannten, ist Manny ganz sicher immer noch eine Antriebsfeder und ein Motor. Allein schon, weil er durch sein vielseitiges Engagement auf so viele Menschen gewirkt hat.
Es war ungemein wichtig, dass Manny Müller als HIV-positiver Mann im Gesundheitswesen an die Öffentlichkeit gegangen ist – das gibt es bis heute kaum.
Es kommt immer wieder vor, dass in den unterschiedlichsten Arbeitskreisen plötzlich sein Name fällt, dass man sich an ein Video von ihm erinnert, an eine bestimmte Botschaft, die er darin vermittelt hat. Manny, dem Botschafter, begegne ich in meiner Arbeit auch selbst immer wieder. Es war ungemein wichtig, dass Manny, ein HIV-positiver Mann im Gesundheitswesen, an die Öffentlichkeit gegangen ist und zeigte, wie er damit umgegangen ist. Das nutzen auch heute noch viele Menschen im Selbsthilfe- und Aidshilfekontext in ihrer Arbeit.
Das heißt, seine einstige Präsenz in Kampagnen und Medien ist auch heute noch wertvoll. Ist durch seinen Tod dadurch auch eine Lücke entstanden?
Es gibt in der Tat kaum Menschen, die beruflich im Gesundheitsbereich tätig sind und die mit ihrer HIV-Infektion an die Öffentlichkeit gehen, zumindest fällt mir auf Anhieb niemand ein. Es gibt unter Menschen mit HIV, die im Gesundheitswesen arbeiten, immer noch eine riesige Angst, dass Arbeitgebende dies erfahren könnten.
Das weiß ich aus eigener Erfahrung, etwa wenn solche Personen die Online-Beratung kontaktieren oder sich an das Buddy-Projekt wenden. Daher war Manny etwas Besonderes, hat vielen Menschen Mut gemacht und die Angst genommen. Davon haben mir etwa im Rahmen meiner Arbeit in der Aidshilfe Aachen Menschen berichtet, die in Kliniken arbeiten. Mannys Erfahrungen haben ihnen gezeigt, dass es Menschen gibt, die ihre HIV-Infektion nicht verheimlichen und dass es Arbeitgebende und Kolleg*innen auch im Gesundheitswesen gibt, die damit gut umgehen können.
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