Aids-Geschichte

Mit Humor stirbt sich’s besser

Von Axel Schock
Bild: © Rosa von Praunheim Filmproduktion

Rosa von Praunheims „Ein Virus kennt keine Moral“ von 1985 war einer der ersten Spielfilme überhaupt, der die neue Krankheit Aids thematisierte. Den Ängsten und der Hysterie begegnete er mit bitterbösem Humor.

Die offiziellen Fallzahlen in Deutschland sind 1985 noch gering, doch mit Blick auf die USA ist Schlimmstes zu befürchten. Die Medizin steht Aids und dem gerade entdeckten Erreger HIV weitgehend hilflos gegenüber. Die Boulevardpresse, aber auch Magazine wie DER SPIEGEL überschlagen sich in apokalyptischen Zukunftsszenarien, und so manche Mediziner*inen und Politiker*innen denken laut über eine Kasernierung von Menschen mit HIV und über „Aids-Ghettos“ nach.

Man muss sich diese gesellschaftspolitische Atmosphäre in Erinnerung rufen, um zu verstehen, wie der Berliner Regisseur Rosa von Praunheim damals auf die Aidskrise reagiert – und zwar als erster Filmemacher in Deutschland überhaupt.

„Ein Virus kennt keine Moral“ ist weder ein pädagogischer Aufklärungsfilm noch ein um Verständnis und Mitgefühl werbendes oder gar sentimentales Drama. Erst einige Jahre später, in seiner „Aids-Trilogie“ („Positiv“, Schweigen = Tod, „Feuer unterm Arsch“, 1989/90), wird von Praunheim mit dokumentarischen Mitteln und unverstellter Wut die Tatenlosigkeit der Politik, aber auch der schwulen Szene anprangern.

Eine bitterböse Revue

1985 reagiert er auf die noch kaum abzuschätzende Bedrohung gerade auch für die schwule Gemeinschaft mit bitterbösem Humor und dreister Übertreibung.

Ein reaktionärer Saunabesitzer (gespielt von Praunheim selbst), der mit einem Theologiestudenten zusammenlebt, will in seinem Etablissement keine Kondome verteilen. Eine Therapeutin bietet Todesmeditation für Aidskranke an. Eine Skandalreporterin verkleidet sich als Mann, um inkognito die Schwulenszene ausspionieren zu können – und trifft dabei auf einer Klappe ihren schwulen Sohn. Die Forscherin Professor Dr. Blut wird in Afrika von einem Affen gebissen und dabei mit dem Virus infiziert.

Am Ende haben alle Aids, die Schwestern auf der Krankenstation würfeln, wer als Erste*r sterben wird, und die Regierung verfrachtet alle Infizierten ins Exil nach Hell-Gay-Land. Ja, es gab damals tatsächlich die monströse Idee, Helgoland zur Quarantäne-Insel für Menschen mit HIV zu machen.

Schon die Kurzzusammenfassung macht deutlich: Dieser in recht kurzer Zeit realisierte Spielfilm ist eine ziemlich bunte Mischung aus Trash, Drama, Kolportage und Satire.

Lustvolles Engagement gegen Ängste und falsche Moral

„Ich hoffe, dass mein Film auch einen Teil leisten kann, um Ängste abzubauen, und dass die Form der Komödie, der Groteske, des Tuntenhumors ein Weg ist, sich lustvoll zu engagieren, zu helfen ohne Druck und falsche Moral“, verteidigt Rosa von Praunheim 1985 seine Herangehensweise.

Stilistisch ist diese Kollektivproduktion, die Praunheim mit Protagonist*innen vornehmlich aus der Berliner Tunten- und Schwulenszene entwickelte, wohl am besten als Revue zu bezeichnen. Die bitterböse Rundum-Attacke gegen schwule Dummköpfe, rücksichtslose Geschäftemacher in den eigenen schwulen Reihen, zynische Mediziner*innen, die Spekulationspresse und verlogene Frömmler*innen überzeichnet er schamlos und ist damit im Entstehungsjahr 1985 der akuten Situation weit voraus. Praunheims Film kommt mit seinem Spott und Humor wahrscheinlich um Jahre zu früh. Welches Ausmaß und welche Folgen die Hysterien und gleichermaßen die Verharmlosungen des HI-Virus entwickeln würden, ist zu diesem Zeitpunkt nur zu erahnen.

Seine Revue aus grellen Szenen und schrägen Musiknummern kennt starke Bilder und pointierte Zuspitzungen, rutscht ab und ab aber auch in vordergründigen Klamauk ab. Seine Message aber formuliert er deutlich: nämlich die Gefahren anzuerkennen, die sich durch das neue Virus ergeben haben, deshalb das promiske Sexleben zu überdenken und nicht zuletzt, in dieser Krise die mühsam erkämpften Rechte von Homosexuellen zu verteidigen.

„Ein Virus kennt keine Moral“ ist damit ein Film im umfangreichen Werk Praunheims, der weniger seine künstlerische Stellung als Regisseur denn die als Schwulenaktivist markiert.

D 1985, Regie und Buch Rosa von Praunheim; Kamera Elfie Mikesch. Mit Dieter Dicken, Maria Hasenäcker, Christian Kesten, Ega Kurz, Rosa von Praunheim, Regina Rudnick, Thilo von Trotha, Craig Russel, Die Bermudaas. 82 Minuten.

Auf DVD erhältlich über www.rosavonpraunheim.de/shop.

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