Schwulenverfolgung

Opfer des §175: Diskriminierung statt umfassender Rehabilitierung

Von Axel Schock
Entschädigung der §175-Opfer im letzten Moment diskriminierend eingeschränkt
Der Bundestag wird heute das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach §175 des Strafgesetzbuchs verurteilten homo- und bisexuellen Männer in zweiter und dritter Lesung beraten und beschließen. 

Alle nach 1945 und bis zur Abschaffung des sogenannten Schwulenparagrafen im Jahr 1994 ergangenen Verurteilungen werden damit aufgehoben. Die noch lebenden Männer, die aufgrund homosexueller Handlungen verurteilt wurden, erhalten zudem die Möglichkeit, eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro je Urteil sowie von zusätzlich 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr erlittener Haftstrafe zu beantragen.

Zudem sieht das Gesetz eine Art Kollektiventschädigung in Form einer jährlichen institutionellen Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Höhe von 500.000 Euro vor.

Über Jahrzehnte hatten LGBT-Verbände und -Initiativen für die Rehabilitierung und Entschädigung der wegen ihrer Homosexualität verurteilen Männer gekämpft. Bundesjustizminister Heiko Maas hatte das Gesetz letztlich auf den Weg gebracht.

Nur eine Teilrehabilitierung

Auf den letzten Metern haben die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD das Gesetz jedoch noch umformuliert und in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses am Dienstag per Änderungsantrag einen Passus in das Gesetz eingefügt, wonach die Rehabilitierung nicht für jene gilt, die – unabhängig von ihrem eigenen Alter – wegen sexueller Handlungen mit Personen unter 16 Jahren verurteilt worden waren. Zuvor sah der Gesetzentwurf eine Schutzaltergrenze bei 14 Jahren vor – gleich der für heterosexuellen Sex.

„Hierdurch soll dem Gedanken des Jugendschutzes möglichst umfassend Rechnungen getragen werden”, wird diese Änderung begründet. Aus Sicht der SPD-Fraktion ist „die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 16 Jahre nicht nötig“. Vielmehr berge dies „die Gefahr erneuter Ungleichbehandlung“. „Gleichwohl trage die Fraktion das Gesetz mit, da viele Menschen schon viel zu lange auf ihre Rehabilitierung warteten“, heißt es im Protokoll der Beratungssitzung.

„Das Rehabilitierungsgesetz für die Opfer des berüchtigten Schwulenparagrafen 175 wird wohl doch nur eine Teilrehabilitierung!“, kommentiert DAH-Vorstand Manuel Izdebski diese überraschende Änderung. „Die Union hat durchgesetzt, dass rückwirkend für hetero- und homosexuelle Kontakte ein unterschiedliches Schutzalter gelten soll: 14 Jahre für die Heteros, 16 Jahre für Homos. Anscheinend ist die SPD nicht in der Lage und auch nicht willens, sich konsequent für die Rechte der LGBT-Community einzusetzen.“

Zusätzliche Demütigung für Opfer des §175 

Für die betreffenden verurteilten homo- und bisexuellen Männer ist diese Einschränkung eine besondere Schmach. Denn auch wenn die sexuellen Handlungen einvernehmlich geschahen, bleiben sie von der Rehabilitierung ausgeschlossen.

Betroffen sind so beispielsweise Männer, die verurteilt wurden, weil sie als 17-jährige Jugendliche sexuelle Kontakte mit einem 15-Jährigen hatten — und damals etwa von den Eltern des Partners angezeigt wurden.

Den Betroffenen haftet nun der Makel an, pädosexuelle Straftäter zu sein. Statt einer umfassenden Rehabilitierung bringt das neue Gesetz daher eine zusätzliche Demütigung. Da die meisten Prozessakten bereits vernichtet sind, haben die Verurteilten zudem kaum die Möglichkeit, Nachweise zu ihrer Entlastung vorzulegen.

„Knallharte Diskriminierung“

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die mit ihrem Zeitzeugen-Projekt „Archiv der anderen Erinnerungen“ speziell auch die Geschichte der Opfer des Paragrafen 175 aufarbeitet, „bedauert diese nachträgliche Einschränkung“.

Petra Nowacki vom Bundesvorstand SPDqueer bezeichnete die Anhebung des Schutzalters auf 16 Jahre als „knallharte Diskriminierung“. „Es ist unverschämt, dass die CDU/CSU-Fraktion angedroht hat, den Gesetzentwurf sonst ganz fallen zu lassen. Es ist aber auch enttäuschend, dass die SPD-Fraktion sich darauf eingelassen hat.“

Deutliche Kritik kommt auch vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD): „Es ist an Schäbigkeit kaum zu überbieten, dass die Union selbst bei der Aufarbeitung des von ihr verursachten Unrechts erneut homophobe Vorurteile gesetzlich verankert“, erklärt Bundesvorstand Helmut Metzner in einer Pressemitteilung. Er verweist auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welcher unterschiedliche Altersgrenzen bei Homo- und Heterosexualität als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention eingestuft hat. „Die CDU/CSU führt sie durch die Hintertür wieder ein. Es ist unverständlich, dass die SPD auch diese homophobe Volte der CDU/CSU wieder mitträgt“, betont Metzner.

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