Wien. Eine Zahnärztin verweigert die Behandlung zunächst ganz, dann bietet sie der Patientin lediglich einen Termin am Tagesende an. Eine Diskriminierung, wie sie Maria D.* erlebte, ist kein Einzelfall. Doch Maria D. hat gegen diese stigmatisierende Behandlung geklagt – und vor Gericht Recht bekommen. Ein Grundsatzurteil, wie es auch für Deutschland dringend notwendig wäre.

Klarer Fall von Diskriminierung nach österreichischem Behindertengleichstellungsgesetz

Das Urteil des Bezirksgerichts Wien-Döbling hätte klarer nicht ausfallen können: Wer Menschen mit HIV einzig aufgrund ihrer Infektion eine zahnärztliche Behandlung verweigert oder ihnen aus angeblich notwendigen hygienischen Gründen nur einen Termin am Ende des Tages anbietet, verhält sich nach dem österreichischen Behindertengleichstellungsgesetz diskriminierend. Die beklagte Zahnärztin wurde nun dazu verurteilt, der Patientin Maria D.* 1.500 Euro Schadensersatz zu zahlen.

Die HIV-Infektion fällt als chronische Erkrankung rechtlich unter das Diskriminierungsmerkmal „Behinderung“, und eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, beispielsweise im Arbeitsleben oder beim Zugang zu Dienstleistungen, ist verboten.

Die Klägerin hatte im Rahmen eines standardisierten Fragebogens ihre HIV-Infektion angegeben, woraufhin die Zahnärztin eine Behandlung ablehnte. „Die ganze Situation war demütigend und stigmatisierend“, erklärt Maria D. „Als Patientin erwarte ich einen respektvollen Umgang und eine Behandlung, so wie alle anderen auch.“

Klagsverband übernahm Prozessrisiko

Porträtfoto Theresa Hammer im weißen Jackett
Theresa Hammer leitet die Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands.

Die Aids-Hilfe Wien, die Maria D. auf die Diskriminierung aufmerksam gemacht hatte, wandte sich an den Klagsverband, einem österreichischen Dachverband von Nichtregierungsorganisationen, die auf dem Gebiet der Bekämpfung von Diskriminierung und der Beratung von Diskriminierungsopfern tätig sind.

„Es ist ein wichtiger Etappensieg, weil von dem Urteil eine Signalwirkung ausgeht und es breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde: in Aidshilfen und bei anderen Organisationen, in juristischen Fachkreisen und in den Medien“, sagt Theresa Hammer vom Klagsverband – mehr dazu im Interview mit auf hiv-diskriminierung.de.

Nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch unterstütze der Verband Frau D. bei ihrer Klage und übernahm nicht nur das Prozessrisiko, sondern vertrat die Klägerin auch vor Gericht – mit Erfolg.

Auf den Schadensersatz sei es Maria D. nicht angekommen, erläutert Barbara Murero-Holzbauer von der Aids Hilfe Wien im DAH-Gespräch. „Sie wusste, dass die Summe vergleichsweise niedrig sein würde. Aber sie wollte mit der Klage eine Signalwirkung für andere HIV-positive Menschen erreichen.“

Denn obwohl viele Menschen ähnliche Diskriminierungserfahrungen machen, wagt fast keine*r den Schritt, sich juristisch dagegen zu wehren. Umso wichtiger ist nun das Wiener Urteil für die österreichische HIV-Community und auch für die Rechtsprechung.

Kampagne #WissenStattVorurteile der Aids Hilfe Wien

Barbara Murero-Holzbauer berät in der Aids Hilfe Wien Menschen, die aufgrund ihrer HIV-Infektion Diskriminierung und Stigmatisierung erleben. 65 Prozent der Meldungen zu Diskriminierungen betreffen das Gesundheitswesen, darunter auch viele vergleichbare Fälle wie die traumatisierenden Erlebnisse von Maria D. Der Grund dafür seien oft Vorurteile beziehungsweise falsche oder veraltete Informationen, sagt Barbara Murero-Holzbauer. „So sind Menschen, deren Viruslast aufgrund moderner Medikamente nicht nachweisbar ist, gar nicht ansteckend.“ Umgekehrt aber sei das HI-Virus nicht sichtbar, weshalb grundsätzlich alle Patient*innen so behandelt werden müssten, dass eine Übertragung – auch mit weitaus ansteckenderen anderen Krankheiten – ausgeschlossen werde.

Mit der Kampagne #WissenStattVorurteile und einer Informationsbroschüre versucht die Aids Hilfe Wien im gesamten Gesundheitsbereich über den aktuellen Stand zu HIV aufzuklären. In Workshops an Pflegeschulen werden zukünftigen Beschäftigten des Gesundheitswesens nicht nur HIV-Basisinformationen, sondern auch ein Bewusstsein für mögliche Diskriminierungen vermittelt.

Interveniert wird auch gegen die Handhabung des „Mutter-Kind-Passes“: Dort müsste lediglich eingetragen werden, dass der obligatorische HIV-Test im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung durchgeführt wurde – nicht aber das Ergebnis. Doch genau das geschieht noch allzu oft. Das Ergebnis ist dann auch für Menschen sichtbar, die diese Information überhaupt nichts angeht.

Signalwirkung auf für Deutschland

Für Barbara Murero-Holzbauer hat das Urteil des Döblinger Gerichts Strahlkraft weit über den konkreten Einzelfall hinaus. „Wir hoffen auf eine starke Signalwirkung für alle Menschen mit HIV. Sie sollen wissen, dass sie ihren HIV-Status in der zahnärztlichen Praxis gar nicht offenlegen müssen und sich Zurückweisungen oder andere Diskriminierungen nicht gefallen lassen müssen – nicht nur im Gesundheitswesen.“

Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung

„Solche Musterprozesse sind ganz wichtig für den Diskriminierungsschutz“, sagt auch Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Warum das Verbandsklagerecht auch für Deutschland ein wichtiger Schritt wäre und mit welchen Mitteln sich Menschen mit HIV gegen Diskriminierung wehren können, erklärt sie im Gespräch zu dem Urteil auf hiv-diskriminierung.de.

Die beklagte Zahnärztin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Verfahren geht damit in die zweite Instanz. Doch sowohl Theresa Hammer vom Klagsverband als auch Barbara Murero-Holzbauer sind sehr zuversichtlich, dass das Wiener Landgericht die erstinstanzliche Entscheidung bestätigen wird.

*Name von der Redaktion geändert

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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