Ehrung für den „Theoriepapst“
Wie kein anderer im deutschsprachigen Raum hat der Sexualwissenschaftler und Autor das Nachdenken und Sprechen über Sexualität im Allgemeinen und über Homosexualität, HIV und die Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten im Besonderen zu seinem Lebensthema gemacht.
Dannecker, der bis 2005 am Institut für Sexualwissenschaft des Klinikums der Goethe-Universität in Frankfurt am Main lehrte, hat sich im Rahmen seiner Arbeit kontinuierlich und kritisch mit Gesundheitspolitik, Selbsthilfe und Aidshilfe auseinandergesetzt und mit dem Aufkommen der antiretroviralen Medikamente als einer der Ersten den Bedeutungswandel der HIV-Infektion erkannt.
Im Rahmen des Auftaktsymposiums zur DAH-Kampagne „Kein AIDS für alle!“ wurde die auf der DAH-Mitgliederversammlung im November 2016 beschlossene Ehrung nun offiziell vollzogen.
Mit dem Spruch „Brüder und Schwestern, warm oder nicht, Martin zu ehren, ist unsere Pflicht“ – angelehnt an eine Demoparole aus den Anfangstagen der bundesrepublikanischen Schwulenbewegung, in der auch Dannecker eine bedeutende Rolle spielte, – überreichte ihm DAH-Vorstand Manuel Izdebski die Ehrenmitgliedschaftsurkunde.
Für Martin Dannecker schließt sich der Kreis
Für Dannecker schloss sich damit nach drei Jahrzehnten der Kreis, wie er in seiner Dankesrede hervorhob. 1984 gehörte er zu den Mitinitiator_innen der Frankfurter AIDS-Hilfe, entschied sich damals aber bewusst gegen eine Mitgliedschaft oder eine herausgehobene Funktion in der Aidshilfe. „Ich wollte stattdessen die Arbeit der Aidshilfe im Elfenbeinturm der Wissenschaft kritisch begleiten“, sagte er.
Wie nachhaltig, einflussreich und durchaus auch widerständig Danneckers Reflexionen zur HIV-Politik, -Selbsthilfe und -Prävention waren und sind, zeichnete die „Poltittunte“ und Genderforscherin Patsy l’Amour LaLove in ihrer Laudatio auf den „gleichermaßen geachteten wie gefürchteten Theoriepapst“ nach.
Sie erinnerte dabei auch an Danneckers gegen viele Widerstände aus den Reihen der Aidshilfe veröffentliche Dissertation „Homosexuelle und Aids“, in der er das Nichtbeachten der Safer-Sex-Regeln unter schwulen Männern nicht vertuschte, sondern im Sinne echter Aufklärung offenlegte und die Ursachen diskutierte.
Neugierde und Lust an der Auseinandersetzung
Nach wie vor habe Dannecker seine Neugierde nicht verloren, so Patsy l’Amour LaLove weiter. Mit Herzblut und Lust an der Auseinandersetzung beschreibe er weiterhin die Entwicklungen in der schwulen Welt, wie zuletzt etwa Cybersex oder Partydrogen.
Die 180 Besucher_innen des Symposiums dankten Martin Dannecker mit stehenden Ovationen.
In den vergangenen Jahren wurden unter anderem die ehemalige Gesundheitsministerin und Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth, die Ärztin Dr. Dagmar Melz und der HIV-Aktivist Jean-Luc Tissot-Daguette sowie Rainer Ehlers, Gründer der Deutschen AIDS-Stiftung, zu Ehrenmitgliedern der deutschen AIDS-Hilfe ernannt.
(ascho)
Weitere Informationen:
„Martin Dannecker wird Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe“ (Meldung auf aidshilfe.de vom 02.11.2016)
Michael Bochow: AIDS-Prävention: Erfolgsgeschichte mit offenem Ausgang (in: Aus Politik und Zeitgeschichte 15–16/2010, 9.4.2010)
Ein außergewöhnlicher Homosexueller (Beitrag von Michael Bochow zu Martin Danneckers 70. Geburtstag, aidshilfe.de, 08.11.2012)
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