Nach dem Brandanschlag in Bielefeld: Wie geht’s weiter mit der Tierpension?

Von Holger Wicht
Die ausgebrannte Tierpension in Bielefeld
Die ausgebrannte Tierpension in Bielefeld (Foto: Aidshilfe Bielefeld)

Bereits zum dritten Mal ist in der Nacht zum Freitag auf die Tierpension „Hotel für alle Felle“ der Aids-Hilfe Bielefeld ein Brandanschlag verübt worden. Peter Struck, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Bielefeld, berichtet im Interview über den Brand, die Zukunft und die jahrelangen Anfeindungen gegen dieses einmalige Projekt in Bielefeld-Jöllenbeck, in dem Menschen mit und ohne HIV zusammen arbeiten, um in die Arbeitswelt zurückzufinden.

Peter, du warst selber vor Ort, als das Haus noch brannte. Was ging in diesem Moment in dir vor?

Ich wollte nicht glauben, dass das wirklich geschieht. Wir haben so viel Arbeit in dieses Haus gesteckt! Und ich habe noch nie davon gehört, dass irgendwo sonst ein soziales Projekt angesteckt wurde.

„Bei den Anwohnern vermischen sich Ängste vor HIV und vor Menschen, die Drogen konsumieren.“

Euch ist es nicht zum ersten Mal passiert.
Nein, an unserem vorherigen Standort wäre vor zwei Jahren fast das ganze Haus in die Luft geflogen. Da hatte jemand Propangasflaschen aufgedreht und Kerzen als Zünder daneben gestellt. Und vor zehn Tagen gab es am neuen Standort schon einen mysteriösen Schwelbrand.

In dem leerstehenden Haus, das jetzt gebrannt hat, wolltet ihr demnächst Katzen und Kleintiere unterbringen. Wie groß ist der Schaden?
Das Obergeschoss und der Dachstuhl sind komplett ausgebrannt. Nach Einschätzung von Feuerwehr und Polizei muss das Haus wahrscheinlich abgerissen werden.

Was würde das für euch bedeuten?

Das wissen wir noch nicht genau. Wir sind nicht der Eigentümer, sondern haben das Gebäude von der Stadt gemietet. Wahrscheinlich wird ein Neubau errichtet. Aber es gibt noch viele offene Fragen, zum Beispiel ob wir uns dann die Miete noch leisten können.

Ist es sicher, dass es Brandstiftung war?
Die Polizei geht davon aus. Dort, wo das Feuer ausgebrochen ist, gab es nichts, was von alleine Feuer hätte fangen können. Außerdem wurde im Erdgeschoss ein Fenster eingeschlagen. Dort sind die Täter vermutlich eingestiegen.

Habt ihr eine Idee, wer dahinter stecken könnte?
Schwer zu sagen. Eins ist sicher: Die Täter sind vehemente Gegner unserer Tierpension.

Euer Projekt hat am alten wie am neuen Standort heftige Abwehrreaktionen ausgelöst. Warum?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen fürchten Nachbarn, dass das Bellen der Hunde die Wohnqualität beeinträchtigen könnte. Es sind aber Lärmschutzgutachten erstellt worden, die zeigen, dass wir weit unterhalb der erlaubten Grenzwerte bleiben.

Wie nah sind die Nachbarn eurer Tierpension denn?
Die wohnen ziemlich weit weg. Wenn du bei uns ankommst, siehst du erstmal keine Nachbarn …

Die Vermutung liegt nahe, dass es eigentlich um etwas anderes geht.

Natürlich. Da vermischen sich Ängste vor HIV mit der Angst vor Drogenkonsumenten. Die sind ja unsere Hauptzielgruppe. Die Idee zur Tierpension ist entstanden, weil wir gesehen haben, wie liebevoll sie mit ihren Hunden umgehen.

„Die Befürchtungen sind wirklich absurd. Unsere Mitarbeiter gehen vom Bus zur Arbeit, das war’s.“

Gab es auch Angst vor Beschaffungskriminalität?
Sicherlich. Und ein Anwohner will auch schon eine Spritze gefunden haben – die er aber natürlich sofort vernichtet hat (lacht). Es ist wirklich absurd. Unsere Mitarbeiter gehen einfach von der Bushaltestelle zur Arbeit und das war’s.


Wie sah der Widerstand der Anwohner aus?

Es gab zum Beispiel Infostände auf dem Wochenmarkt und Protestplakate an der Straße entlang mit Slogans wie „Weg mit der Tierpension!“ oder „Keine Krippenplätze für Kinder, aber teure Unterbringungsmöglichkeiten für Hunde“.

Hat sich der Widerstand ausdrücklich auf Menschen mit HIV bezogen?
In der Presse haben sie immer den Lärm in den Vordergrund gestellt. Aber in der Bezirksversammlung des Stadtteils Jöllenbeck hieß es dann: Sind denn die Bedürfnisse von 30 Aidskranken wichtiger als die von 50 gesunden Familien?

Haben die Gegner auch ihre Infektionsängste thematisiert?
So etwas kam auf Umwegen bei uns an. Da riefen dann plötzlich in unserer Telefonberatung Leute an und wollten wissen, ob Infektionen von Menschen auf Hunde möglich sind – und umgekehrt. Oder ob HIV über den Urin infizierter Tiere ins Trinkwasser gelangen könnte. Aber diese Phase hatten wir eigentlich gerade hinter uns.

Waren alle Nachbarn gegen euch?
Es waren viele, aber bei unserem Tag der offenen Tür kamen auch Bürgerinnen und Bürger, die unser Projekt toll finden. Und die meisten Tiere kommen ja auch aus der Umgebung. Die Leute bringen uns ihre Hunde, wenn sie in Urlaub fahren oder auch für eine Tagesbetreuung, während sie bei der Arbeit sind. Die bisherige Bilanz der Tierpension ist eigentlich sehr positiv.

Nun herrscht sicher trotzdem eine Atmosphäre, in der es schwerfällt weiterzumachen, oder?
Wir haben jetzt mehrere Probleme. Das eine sind die Finanzen. Wir haben sehr viele Eigenmittel in das Haus gesteckt. Und natürlich lässt uns das alles auch emotional nicht kalt.

Wie geht es den HIV-positiven Mitarbeitern?
Sie merken natürlich, dass es sich gegen sie richtet. Und es wurde etwas vernichtet, in das sie viel Arbeit investiert haben. Die Stimmung ist sehr gedrückt.

„Ich möchte weitermachen. Aber wir müssen schauen, wie wir die nötigen Kräfte mobilisieren.“

Wie geht es jetzt weiter?
Zunächst installieren wir Bewegungsmelder und richten eine Nachtbereitschaft ein. Dann müssen wir uns in Ruhe überlegen, ob wir uns Videoüberwachung und einen Wachschutz leisten können. Und ob es sich unter solchen Umständen noch lohnt weiterzumachen.

Wie ist deine persönliche Stimmung?

Ich möchte sehr gerne weitermachen! Aber wir haben durch die ganzen Schwierigkeiten schon sehr lange über die Belastungsgrenze hinaus gearbeitet. Wir müssen jetzt schauen, wie wir vielleicht andere Aktivitäten einschränken können, um genügend Kräfte zu mobilisieren.

Das Projekt Tierpension existiert seit dem Jahr 2005. Nach einer langen Vorlaufphase werden seit dem 2. Januar dieses Jahres Hunde aufgenommen. Rund 30 HIV-positive und HIV-negative Mitarbeiter kümmern sich um die Tiere unter Anleitung eines ausgebildeten Tierpflegers. Die drogengebrauchenden Mitarbeiter werden substituiert. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der Aids-Hilfe Bielefeld.

2 Kommentare

ondamaris 13. Juli 2009 19:14

auch an dieser stelle: ich bin entsetzt, über den brandanschlag, über die reaktionen bielefelder mitbürger und mitbürgerinnen.

es ist an der zeit, dass aus der lokal- und landespolitik ein sehr deutliches zeichen gesetzt wird, dass dieses projekt gewollt und sinnvoll ist und die volle unterstützung hat.

der aidshilfe bielefeld viel kraftund geduld – und den langmut, weiterzumachen mit dem projekt!

alivenkickn 18. Juli 2009 9:26

Solidarität mit dem Projekt Tierpension

Bielefeld-Jöllenbeck. Nach dem Brandanschlag vergangene Woche auf das geplante Katzen- und Kleintierhaus der Tierpension stellen sich nun viele Menschen hinter den Verein Aids-Hilfe: Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände (AGW), der Arbeitsgemeinschaft Bielefelder Beschäftigungsinitiativen (AGBI), der Stadtverwaltung und Politiker. Gleichzeitig gab es Signale, die Beschäftigten der Tierpension bei den nötigen Aufräumarbeiten zu unterstützen.

http://www.nw-news.de/lokale_news/bielefeld/bielefeld/3033163_Solidaritaet_mit_dem_Projekt_Tierpension.html

Gefällt mir. Für einen Moment hatte ich meine Zweifel gehabt . . . . insbesondere was Bielefeld als Veranstaltungsort der PoBe 2010 betrifft.

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