Weltflüchtlingstag (1): Zurück auf Los

Von Holger Wicht
Am Samstag, dem 20. Juni, ist Weltflüchtlingstag. Deswegen thematisieren wir in dieser Woche im d@h_blog schwerpunktmäßig die Situation von Flüchtlingen mit HIV.

Wir können es uns ja vielleicht einfach mal kurz vorstellen. Machen Sie mit? Keine Angst, es dauert nur vier kurze Absätze.

Es geht los: Sie haben gerade ein positives HIV-Testergebnis bekommen. Das macht Sie völlig fertig, und Sie wissen, dass Sie in ihrer Gemeinschaftsunterkunft besser nichts davon erzählen. Wer weiß, was die anderen Bewohner mit Ihnen anstellen würden. Sie haben niemanden zum Reden.

Arztbesuche stehen an, bei Spezialisten, aber die praktizieren in der nächsten größeren Stadt. Da dürfen Sie nicht ohne weiteres hin. Sie müssen sich beim Amt um eine Genehmigung bemühen. Das gleiche gilt, wenn Sie sich von der Aids-Hilfe beraten lassen wollen.

Abschiebung kann letztlich den Tod bedeuten.

Sie fühlen sich miserabel und wissen, dass sie sich besser ernähren sollten, um ihr Immunsystem so fit wie möglich zu halten, aber Sie haben nicht die Wahl. Essenspaket ist Essenspaket, und Obst und Gemüse sind da kaum drin. Und die 40 Euro Taschengeld pro Monat – die halten nicht lange vor.

Abends liegen sie oft lange wach. Ihr Gesundheitszustand ist zwar im Moment zum Glück noch ganz gut. Aber das bedeutet auch, dass man sie wahrscheinlich abschieben wird. In ein Land, in dem Ihnen keine antiretrovirale Behandlung zur Verfügung stehen wird, wenn sich Ihr Zustand verschlechtert.

Ende der Simulation – für die Leserinnen und Leser. Für viele Flüchtlinge mit HIV in Deutschland geht es weiter so, Tag für Tag.

Damit das auch die Bundesregierung begreift, hat die Deutsche AIDS-Hilfe im letzten Jahr zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember eine Postkartenserie herausgegeben, mit der Aufforderung, die Karten an Innenminister Wolfgang Schäuble zu schicken. Vier verschiedene Motive gibt es, und auf der Vorderseite der Karten werden die oben skizzierten Probleme geschildert.

Wie viele Menschen sie betreffen, lässt sich kaum sagen. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts leben in Deutschland rund 7.300 Menschen mit HIV, die aus so genannten Hochprävalenzländern stammen, also aus Staaten, in denen HIV besonders häufig ist. Das südliche Afrika gehört dazu, ebenso Südostasien. Außerdem stammen viele Flüchtlinge aus Osteuropa.

Keine Statistik erfasst, wie viele von diesen HIV-Positiven nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgt werden oder von Abschiebung bedroht sind, die letztlich ihren Tod bedeuten würde. Fakt ist: Eine HIV-Infektion ist oft kein Abschiebehindernis. Wer noch einigermaßen gesund ist, hat ohnehin kein Bleiberecht zu erwarten – unabhängig von der Versorgungssituation im Heimatland.

Sie kehren in ihr Land als Gescheiterte zurück.

Immer wieder werden in Deutschland Menschen mit HIV auf Nimmerwiedersehen ins Flugzeug gesetzt. Manchmal haben sie etwas Geld vom deutschen Staat in der Tasche, damit sie im Heimatland nicht ganz bei Null anfangen müssen, oder Medikamente für drei Monate. Für die Zeit danach müssen sie selber sorgen. Begründung: Es gebe ja Behandlungsmöglichkeiten in ihrem Land.

Nur sind diese Behandlungsmöglichkeiten oft unerreichbar.

Zurück auf Los: Die HIV-positiven Migranten haben in der Fremde das Glück gesucht, und sie kehren zurück als Gescheiterte, mit einer teuren, unheilbaren Krankheit.

Lesen Sie in den nächsten Tagen mehr zu diesem Thema im d@h-blog! Morgen: Silke Klumb, Referentin für Migration der Deutschen AIDS-Hilfe, im Interview.

Und schicken Sie bitte eine Postkarte an Wolfgang Schäuble! Die Postkarten der Deutschen AIDS-Hilfe können Sie hier bestellen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4 + 3 =