Geflüchtete Frauen

„Wir helfen anderen Frauen, damit sie nicht das Gleiche durchmachen müssen“

Von Inga Dreyer
Madeleine Mawamba
Madeleine Mawamba von Women in Exile (Foto: Inga Dreyer)

Geflüchtete Frauen werden mehrfach diskriminiert, sagt Madeleine Mawamba. Seit neun Jahren engagiert sie sich für „Women in Exile“. In der Organisation unterstützen sich Frauen mit Fluchterfahrung gegenseitig. Zum Feministischen Kampftag planen sie eine Demonstration in Potsdam.

Für den 8. März hat Women in Exile zu einer Demonstration in Potsdam aufgerufen. Worum geht es?

Für mich ist der Internationale Frauentag ein Tag, an dem wir für unsere Rechte demonstrieren und gegen Diskriminierung kämpfen. Women in Exile organisiert an diesem Tag eine Demonstration in Potsdam, bei der es um den zunehmenden Rassismus in Deutschland und die Bedrohung des Asylrechts geht. Außerdem fordern wir Gerechtigkeit für Rita, eine geflüchtete Frau aus Kenia, die in einem Heim im brandenburgischen Hohenleipisch lebte und 2019 kaltblütig ermordet wurde. Sie lebte dort mit ihren beiden Kindern. Eines schönen Morgens wurde sie vermisst. Erst Monate später fand man ihren verbrannten Körper. Das ist erbärmlich: Bald sind fünf Jahre vergangen und der Fall ist immer noch nicht aufgeklärt. Die Justiz hat zuerst sogar gesagt, dass sie gar nicht getötet wurde. Wir fordern bis heute Gerechtigkeit für Rita und planen auch für den 7. April noch eine Demonstration.

Was sagt das Schicksal von Rita über die Situation von Geflüchteten in Deutschland aus?

Wenn es eine deutsche, weiße oder europäische Person gewesen wäre, die getötet wurde, würde man den Fall besser untersuchen. Weil sie eine Geflüchtete war, interessiert es die Leute merkwürdigerweise nicht. Das ist Diskriminierung.

Im Allgemeinen ist die Lage von Geflüchteten in Deutschland prekär. Sie sind nicht sicher und leben in Angst – auch wegen all der diskriminierenden Gesetze und der Politik der AfD. Alle Menschen in ihre Heimat zurückzuschicken, ist keine Lösung. Wenn die Politik scheitert, soll sie das nicht auf die Geflüchteten schieben. 

Wir setzen uns speziell für Frauen ein, weil wir erleben, dass sie einsam, isoliert und in die Enge getrieben sind. Sie werden in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität, ihre Herkunft und ihre Religion diskriminiert. Häufig haben sie Kinder, um die sie sich kümmern müssen.

Madeleine Mawamba, Women in Exile

Women in Exile gibt geflüchteten Frauen in Deutschland eine Stimme. Warum ist das wichtig? Was macht die Situation von weiblichen Geflüchteten besonders?

Wir setzen uns speziell für Frauen ein, weil wir erleben, dass sie einsam, isoliert und in die Enge getrieben sind. Sie werden in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität, ihre Herkunft und ihre Religion diskriminiert. Häufig haben sie Kinder, um die sie sich kümmern müssen. Das ist in der Situation, in der sie sich befinden, nicht einfach. Sie brauchen Unterstützung. Man muss bei ihnen sein und ihnen ermöglichen, ihre Rechte zu verstehen. Wir helfen dabei, gute Rechtsanwält*innen und Berater*innen zu finden. Denn die geflüchteten Frauen sind in Deutschland mit Erfahrungen von Rassismus, Gewalt und Diskriminierung konfrontiert. Wir setzen uns für sie ein, weil wir das alles selbst durchgemacht haben. Wir haben die Erfahrung gesammelt, wie es ist, hier anzukommen und uns in die Gesellschaft zu integrieren. Wir wollen ein Safe Space sein und den Frauen dabei helfen, sich auszudrücken.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst als geflüchtete Frau in Deutschland gemacht?

Ich kann sagen, dass Integration sehr wichtig ist. Das bedeutet vor allem, die Sprache zu lernen. Denn wenn man hier ankommt, kennt man niemanden. Die Sprache ist eine Barriere, die man durchbrechen muss. Dafür braucht es Unterricht. Aber in Deutschland gibt es zwei Arten von Geflüchteten. Die einen sind privilegiert, das sind die „guten Geflüchteten“. Sie können zur Schule gehen, sich weiterbilden, arbeiten. „Schlechte Geflüchtete“ dürfen nicht zur Schule gehen. Es hat keinen Sinn, sie fortzubilden, weil sie auf die Abschiebung warten. Wir hatten damals das Glück, dass Women in Exile Adressen von kostenlosen Schulen hatte, zu denen wir gegangen sind, um Deutsch zu lernen.

Wie sind Sie Aktivistin geworden?

Mitglieder von Women in Exile sind damals in das Lager gekommen, in dem ich lebte. Wir besuchen Heime und gucken uns zum Beispiel die Küchen und Toiletten an – um zu sehen, wie die Frauen behandelt werden. Wir sammeln Informationen und Kontakte von Frauen, erklären ihnen, wie wir arbeiten, und laden sie zu unseren Treffen ein. Auf diese Weise bin auch ich zu einem Workshop gegangen, bei dem jede Teilnehmerin über ihre Probleme gesprochen hat. Women in Exile hat mir einen guten Anwalt für Asylrecht empfohlen. Damals habe ich gesagt: Ich will selbst etwas tun und meine Erfahrungen weitergeben. Seitdem bin ich Teil der Gruppe. Das war vor neun Jahren.

Wie genau arbeitet Women in Exile?

Seit 2002 kämpfen wir gemeinsam für unsere Rechte. Wir sind eine ziemlich große Gruppe, die nicht nur aus Geflüchteten besteht. Wir haben auch europäische Freundinnen, die mit uns arbeiten und solidarisch sind. Ausgehend von unseren eigenen Erfahrungen in verschiedenen Lagern und der Behandlung, die wir erlitten haben, wollen wir anderen Frauen helfen, damit sie nicht das Gleiche durchmachen müssen.

Wir haben unseren Sitz in Potsdam und haben auch in Berlin ein Büro. Sechs Personen arbeiten an Projekten, die wir entwickeln, um geflüchtete Frauen zu unterstützen. Ihre Arbeit wird von Spenden und mithilfe von Stiftungen finanziert. Zweimal pro Monat treffen wir uns in einem Kreis von mehr als 30 Aktivistinnen. Es gibt auch viele Ehrenamtliche. In unserer WhatsApp-Gruppe sind über 200 Frauen. Dort teilen wir Informationen über Seminare, Workshops und auch zu Gesundheitsthemen. Jeden ersten Samstag im Monat haben wir ein großes Treffen, zu dem Frauen aus Berlin und Brandenburg kommen. Wir bezahlen ihre Anreise und kümmern und um die Kinderbetreuung während der Treffen.

Was in Afrika heute passiert, hat seinen Ursprung in der Kolonialzeit. Europäer*innen sind zu uns gekommen und haben uns unsere Reichtümer genommen. Und heute sagen sie uns, dass wir nach Hause zurückkehren sollen?

Madeleine Mawamba, Women in Exile

Was fordern Sie von der deutschen Politik?

Wir fordern ein Ende der Diskriminierung. Warum gibt es „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete? Alle sind gleich, sie alle haben Probleme. Einige fliehen vor Kriegen, andere vor Hunger oder Naturkatastrophen. Warum haben Kriegsflüchtlinge einen privilegierten Status? Sie bekommen sofort Papiere, können arbeiten. Man sollte aufhören, zu unterscheiden. Was in Afrika heute passiert, hat seinen Ursprung in der Kolonialzeit. Europäer*innen sind zu uns gekommen und haben uns unsere Reichtümer genommen. Und heute sagen sie uns, dass wir nach Hause zurückkehren sollen? Diese ganzen diskriminierenden Gesetze bringen nichts. Auch wenn sie uns abschieben, werden die Geflüchteten immer wiederkommen.

Wie steht es um die gesundheitliche Versorgung?

Das ist ein großes Problem. Die Situation ist schlimm. Es ist für Geflüchtete sehr schwierig, einen Arzt oder eine Ärztin zu finden, der oder die sie vernünftig behandelt. Die Mehrheit der Geflüchteten bekommt einfach Paracetamol – egal, welche Beschwerden sie haben. Man wird nicht richtig untersucht. Weil wir so schlecht behandelt werden, haben wir manchmal sogar Angst, ins Krankenhaus zu gehen, wenn wir krank sind. Zum Glück hat Women in Exile Kontakte zu Organisationen wie dem Medibüro und zur Clearingstelle bei der Stadtmission. Dort wird uns geholfen, Ärzte und Ärztinnen zu finden, die nicht rassistisch sind.

Ein anderes großes Problem ist, Wohnraum zu finden. Ich habe das selbst erlebt. Wegen deiner Hautfarbe oder deines Namens bekommst du keinen Mietvertrag. Das ist Rassismus. Es gibt auch diese Mafia, bei der man Tausende von Euro zahlen muss, um eine Wohnung zu finden. Wir fordern deshalb, dass es ein Netzwerk für Menschen mit Migrationshintergrund geben sollte, um Wohnungen zu finden – zum Beispiel ein Wohnungsunternehmen, bei dem wir Anträge stellen können.

Welche Unterschiede gibt es für Geflüchtete in Städten und auf dem Land?

Es ist ein großer Unterschied. Berlin ist eine sehr große Stadt, in der es viele Ausländer*innen und weniger Rassismus gibt. In kleineren Orten ist es viel schwieriger. Oft gibt es dort Nazis, und auch in den Ausländerbüros ist es anders. Manche sind sehr rassistisch. In einigen Landkreisen darf man nicht einfach nach Berlin fahren, sondern muss sich zuerst eine Erlaubnis holen. Dadurch werden die Geflüchteten kontrolliert, als seien sie Gefangene. Das müssen wir ändern.

In Deutschland sollen Asylbewerber*innen in Zukunft einen Teil der staatlichen Unterstützung über Bezahlkarten bekommen. Was halten Sie davon?

Ja, jetzt gibt es diese Geschichte mit der Bezahlkarte, die eingeführt werden soll. Früher gab es Gutscheine. Dagegen haben wir gekämpft. Und jetzt kommen sie auf diese Weise wieder zurück. Das ist keine Lösung, sondern ein Scheinproblem. Die Schwierigkeiten liegen nicht bei den Sozialleistungen. Geflüchtete wollen Arbeit, sie wollen sich integrieren.

Das ‚Rückführungsverbesserungsgesetz‘ ist von Grund auf rassistisch und diskriminiert Geflüchtete.

Madeleine Mawamba, Women in Exile

Was sagen Sie zu dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ für Geflüchtete, das im Januar beschlossen wurde? Damit werden unter anderem erweiterte Durchsuchungsmöglichkeiten und eine Ausdehnung des Ausreisegewahrsams eingeführt.

Dieses Gesetz ist von Grund auf rassistisch und diskriminiert Geflüchtete. Es wird dann leichter sein, Geflüchtete in ihre Heimatländer zu schicken. Aber es werden immer wieder andere kommen. Das ist ein Zyklus. Was wird das also ändern? Besser wäre zu überlegen, wie man die Geflüchteten empfangen und integrieren kann.

Auch das europäische Asylrecht wird reformiert. Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, wird direkt ein Asylverfahren durchlaufen und im Fall einer Ablehnung direkt zurückkehren müssen. Was bedeutet das für Geflüchtete?

Diese Reform richtet sich gegen Geflüchtete. Es ist kein Gesetz, das Gutes bewirken könnte. Es geht darum, Ausländer*innen zu kriminalisieren. Auf der ganzen Welt gibt es Flüchtlinge, man muss sie gut behandeln. Und das funktioniert nicht, indem man diskriminierende Gesetze schafft. Menschen sollen direkt abgeschoben werden, während sie ankommen? Das hilft niemandem.

Was muss sich ändern?

Die Grenzen sollten geöffnet werden. Es werden dauernd Gesetze geschaffen, um sie zu schließen.

Außerdem fordern wir die Schließung der Lager, weil die Frauen und ihre Kinder in Angst leben und nicht sicher sind. Sie sind isoliert und traumatisiert und haben kein Privatleben, und jeder Mensch hat ein Recht auf ein Privatleben. Sie sind mit Gewalt konfrontiert und einige werden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen. Konflikte zwischen Frauen und Männern sind an der Tagesordnung. Die Flüchtlinge sind in den verschiedenen Zimmern überbelegt. Manchmal sind fünf oder sechs Flüchtlinge pro Zimmer untergebracht, die verschiedene Nationalitäten und Religionen haben. Die Flüchtlinge leben auf engstem Raum und die Hygiene ist nicht mehr gegeben. Deshalb kämpfen wir dafür, dass alle Lager geschlossen werden.

Wir sehen viele Menschen, die gegen die AfD auf die Straße gehen, und wir hoffen, dass sich an den Wahlurnen ein ähnliches Bild zeigen wird.

Madeleine Mawamba, Women in Exile

Women in Exile sitzt in Potsdam, wo im November ein Geheimtreffen stattfand, bei dem über „Remigration“ debattiert wurde. Driftet Deutschland nach rechts?

Ich war damals überrascht, davon zu hören. Es ist wirklich traurig, dass die deutsche Politik dabei ist, nach rechts zu driften. Die AfD kämpft eine Schlacht, die sehr rassistisch ist. Das ist schlimm. Ausländer*innen wird immer die Schuld gegeben. Dabei haben wir mit der wirtschaftlichen oder politischen Lage im Land nichts zu tun. Wir fordern, dass der AfD bei den Wahlen Einhalt geboten wird.

Ich denke, man muss auf die Menschen zugehen und explizit erklären, was da passiert. Dazu braucht es eine fortgeschrittene Kampagne mit einem guten Programm. Man muss Ausländer*innen und viele Organisationen einbinden. Gemeinsam müssen wir eine Barriere gegen rechts bilden. Die Demonstrationen sind ein Zeichen der Hoffnung. Wir sehen viele Menschen, die gegen die AfD auf die Straße gehen, und wir hoffen, dass sich an den Wahlurnen ein ähnliches Bild zeigen wird.

Die Demonstration von „Women in Exile“ beginnt am 8. März 2024 um 11 Uhr am Potsdamer Innenministerium, Henning-von-Tresckow-Straße 9–13, und endet gegen 14 Uhr am Potsdamer Landtag.

Beitrag zum Thema auf magazin.hiv aus dem Jahr 2011:

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