Laien beurteilen Schock-Kampagnen als wirksamer

Von Redaktion
Hintergrundgespräch mit Dr. Dirk Sander, Referent für Kampagnen und Prävention in der Deutschen Aids-Hilfe e.V. zur aktuellen Diskussion um HIV-Schockkampagnen.

Herr Dr. Sander, auf bild.de wird Michael Stich bei der Bewertung der Massenmörder Kampagne des Vereins Regenbogen e.V. mit folgenden Worten zitiert: „Die Aids-Hilfe muss aufhören, so zu tun, als wüsste sie allein, wie Aufklärung läuft. Wüsste sie das, gäbe es vermutlich nicht so viele Neu-Infizierte.“ Wie gehen sie mit diesem Vorwurf um?

Wer Prävention betreibt, braucht auch die Qualifikation dafür

Dirk Sander: Gelassen. Natürlich sind die Aids-Hilfen nicht die Einzigen, die wissen wie Aufklärung funktioniert. Richtig ist allerdings, dass wir zumindest die Qualifikationen für diese mühsame Arbeit mitbringen. Ein Tennisspieler soll gut Tennis spielen können, das erwartet man von ihm. Warum er aber gleichzeitig meint, dass er genau so gut wüsste, wie man wirksame Kampagnen strickt, die Menschen dazu veranlassen sollen ihr Verhalten zu reflektieren und gegebenenfalls dahingehend zu ändern, dass sie sich selbst und andere vor sexuell-übertragbaren Infektionen schützen, das erschließt sich mir nicht sofort.

Wie würden Sie bei der Entwicklung einer Gesundheitskampagne vorgehen?

Dirk Sander: Wenn man solche Kampagnen entwickelt, dann muss man sich zunächst sehr gut informieren. Zum Beispiel: Wieviele Übertragungen gibt es? Wo kommt es aus welchen Gründen zu Übertragungen? Welche Zielgruppe ist besonders betroffen? Welche Kontextfaktoren wie z.B. soziale Not oder soziale Schicht sind relevant? Hier sollte man sich erstmal in die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Studien einlesen. Schon da macht Stich die ersten Fehler. Um nur eine Fehleinschätzung zu nennen: Es ist nicht richtig, dass es im Vergleich besonders viele Neuinfektionen in Deutschland gibt. Im Gegenteil. Da muss man sich nur mal die Mühe machen und in unsere Nachbarländer schauen. Festgehalten werden kann: Deutschland hat im Vergleich zu unseren Nachbarländern die geringsten Infektionsziffern.

Deutschland hat im Vergleich zu unseren Nachbarländern die geringsten Infektionsziffern

Unser Erfolg in der Prävention ist international anerkannt! Auch wird immer gern behauptet, dass insbesondere Kinder und Jugendliche besonders von HIV und Aids betroffen seien. Auch das ist falsch. Natürlich müssen wir für nachwachsende Generationen immer wieder neue Informationstools erarbeiten, die sie über die Risiken und Schutzmöglichkeiten informieren. Am besten in einer jugendgerechten Sprache und mit Bildern, die die Zielgruppe ansprechen. Kinder und Jugendliche sind aber de facto nur verschwindend selten von HIV und Aids betroffen. Ich habe den Eindruck, dass von einigen Lobbyisten in der Öffentlichkeit eine besondere Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen suggeriert wird aus nur einem Grund: Fast nur noch für diese Gruppen lassen sich heute Spendengelder einwerben.

Herr Stich hat vor einiger Zeit in einer Fernseh-Talkshow auch behauptet, dass die Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht nachhaltig sei und deshalb unwirksam. Seine Schockkampagnen wäre dagegen wirkungsvoller.

Dirk Sander: Auch da irrt Herr Stich. Man mag den Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit ihren vermeintlich langweiligen Motiven kritisch gegenüberstehen, aber diese Kampagnen werden sehr wohl wahrgenommen wie wir aus der Begleitforschung wissen, und sie haben einen nachhaltigen Effekt. Sie versuchen auf relativ humorige Art darauf hinzuweisen, dass die Verwendung von Kondomen einen guten Schutz gegen HIV und einige andere sexuell-übertragbare Infektionen darstellen kann. Sie vermitteln dauerhaft das nötige Basiswissen.

Warum glauben denn viele Menschen, dass Schockkampagnen etwas verändern könnten?

Da sind auch Allmachtsphantasien am Werk

Dirk Sander: Dahinter steckt zum einen vermutlich das honorige Motiv, anderen Menschen zu helfen, dazu beizutragen, dass ihnen nichts zustößt. Zwanghaft wird es wenn man ohne Genaues zu wissen dem Glauben verfällt, dass alles schon verloren sei und man der Einzige sei, der noch wisse, wie man ein Problem lösen kann. Da sind auch Allmachtsphantasien am Werk. Wenn Laien Kampagnen beurteilen, dann bewerten sie deshalb auch Schock-Bilder als wirksamer. Dabei wissen wir z.B. aus der Wirkungsforschung, dass Kampagnen, die mit Humor arbeiten und einen benefit vermitteln, nachhaltiger und wirksamer sind.

Worauf sollte man achten wenn man wirksame und nachhaltige Kampagne entwickelt?

Prävention geht nicht mal so auf die Schnelle

Dirk Sander: Zuerst sollte man wissen, dass Gesundheitsförderung und Prävention einen langen Atem brauchen. Das geht nicht mal so auf die Schnelle. In Deutschland haben wir leider noch keine Tradition, die bei der Kampagnenentwicklung die richtigen Kompetenzen an einen Tisch bringt. Das Fachwissen einer Werbeagentur reicht dazu nämlich bei weitem nicht aus. Sicherlich gehört dazu ein know how aus den Bereichen Marketing und Design, aber dazu kommen muss auch das theoretische und praktische Wissen, wie man langfristig und stabil im Bereich der Gesundheit Verhaltensänderungen oder die Stabilisierung von Gesundheitsverhalten unterstützen kann.

Ein weiteres Erfolgskriterium ist, dass man von Anfang an auch die Betroffenen selber in die Planung und wenn möglich Durchführung der Kampagnen mit einbezieht. Partizipation gilt als wichtiges Gütekriterium für Kampagnen im Gesundheitsbereich. Durch diesen Einbezug der Perspektive der Betroffenen selber kann man z.B. unbeabsichtigte Wirkungen von vermeintlich tollen Ideen vermeiden und somit letztlich eine Selbsttäuschung über den Effekt einer lediglich gut gemeinten Aktion verhindern. Fragen sollte man sich auch, wo man die Zielgruppe am besten erreicht. An welchen Orten und mit welchen Medien. Letztlich testen wir unsere Kampagnen vorab und lassen sie begleitend evaluieren um gemachte Erfahrungen anderen zur Verfügung zu stellen. Auch das ist ein Garant für Nachhaltigkeit.

Was bewirken denn dann Schockkampagnen?

Schock-Kampagnen haben keinen nachhaltigen Effekt

Dirk Sander: Sie schockieren, lösen aber auch eine Schockstarre aus. Solche Kampagnen gibt es ja immer mal wieder, wobei die Massenmörder- bzw. Hitlerkampagne besonders ekelhaft ist, völlig ohne jegliches ethisches Bewusstsein und politisches Empfinden. Diese Kampagnen sind wie ein Zirkus, sie kommen in die Stadt, beherrschen das mediale Interesse für eine kurze Zeit, aber dann sind sie wieder weg und kaum einen interessiert das mehr. Kampagnen wie z.B. die Massenmörder-Aktion, die ihre formulierten Ziele konterkarieren, ihre Zielgruppe verfehlen oder sie gar stigmatisieren, kann man am besten gleich entsorgen. Sie sind sogar kontraproduktiv. Worüber wird denn gerade weltweit diskutiert? Über Risiken und Schutzmöglichkeiten bei HIV und anderen sexuell-übertragbaren Infektionen? Nein, es geht doch vor allem um die Frage, was Kampagnen dürfen, ob der Vergleich von HIVpositiven mit Massenmördern erlaubt sein kann. Wir, die mit geringen Mitteln versuchen, strategisch und langfristig Prävention zu machen, ärgern uns natürlich über solche letztlich naiven Kampagnen. Da werden finanzielle Mittel, die auch sinnvoll hätten verwendet werden können, einfach so verbrannt. Ärgerlich ist auch, dass sich diese Kampagnentäter jetzt wieder zurückziehen und sich neue Greueltaten ausdenken. Eine Evaluation findet ja nicht statt. Aber zum Glück sind wir ja auch noch da. Wir kehren jetzt die Scherben zusammen und machen die Arbeit.

Danke!

2 Kommentare

ondamaris 11. September 2009 16:12

„aber zum Glück sind wir ja auch noch da“

klasse! endlich mal was zu lachen in dem trauerspiel :-))

gibt’s ne adresse, wohin wir die scherben senden könnten? 😉

Rolf 14. September 2009 11:46

HIV-Positive mit Hitler zu vergleichen – wenn auch über das Vehikel AIDS – dazu fällt mir nichts mehr ein. Vielleicht sollte man rechtliche Schritte prüfen.

Diese klugscheißerischen Weltverbesserer behindern die Prävention und vergeuden auch in der Prävention durch ihre verqueren polemischen „Kampagnen“ Ressourcen.

Tatsächlich dürfen wir ggfs. diesen gefährlichen Unsinn in der Vorortarbeit wieder richten.

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