Schafberger schreibt: PREP-PREP-Hurra?
Es kommt nicht oft vor, dass der Welt eine neue Möglichkeit zur Verhinderung von HIV-Infektionen präsentiert wird. Weihnachten könnte es so weit sein – das jedenfalls erwartet Kevin De Cock, Direktor für Gesundheit bei den CDC (Centers for Disease Control and Prevention) in Atlanta. Voraussetzung dafür ist, dass bis dahin die Ergebnisse der großen iPREX-Studie veröffentlicht werden (siehe unten), die dem epidemiologischen „Goldstandard“ entspricht. Goldstandard bedeutet, dass tausende von Probanden per Zufall in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die eine Gruppe bekommt die neue Präventionsmethode, die andere Gruppe ein Scheinmedikament (Placebo). Zudem erhalten alle Teilnehmer an der Studie Kondome und werden zu Safer Sex beraten. Nach zwei bis drei Jahren zählt man, wie viele HIV-Infektionen es in den beiden Gruppen gegeben hat, und weiß dann, ob die neue Methode etwas taugt.
Experten erwarten einen schützenden Effekt der PREP
Kevin de Cock scheint zu erwarten, dass die iPREX-Studie positive Ergebnisse bringen wird. In dieser Studie wird getestet, ob die tägliche Einnahme einer Kombination von zwei HIV-Medikamenten in einer Tablette (Truvada) vor einer HIV-Infektion schützt. Es handelt sich somit um eine „Prä-Expositions-Prophylaxe“ (PREP), also um eine Medikamenteneinnahme vor der sexuellen Exposition mit HIV (Exposition heißt hier so viel wie „Ausgesetztsein“). Studienteilnehmer sind 2500 Männer, die Sex mit Männern haben, aus Thailand, Peru, Brasilien und den USA. Finanziert wurde die Studie von der Bill and Melinda Gates Foundation und dem NIH (National Institute of Health, USA), die Herstellerfirma Gilead steuerte die Medikamente kostenlos und und selbstverständlich selbstlos bei …
Experten erwarten, dass diese und die nächsten Studien wahrscheinlich einen schützenden Effekt der PREP zeigen werden. Immerhin nehmen die Probanden täglich eine Zweifachkombination von HIV-Medikamenten ein. Aus der HIV-Therapie wissen wir, dass die Dreifachkombination eine bereits bestehende Infektion dauerhaft kontrollieren und die Vermehrung von HIV in den Zellen (Replikation) unterdrücken kann. Warum sollte dann eine HIV-Infektion mit einer Zweierkombination nicht zu verhindern sein? Aber man weiß ja nie – daher wartet man mit Spannung auf die Ergebnisse.
Die Situation in Studien ist nicht mit der Realität vergleichbar
Offen ist hingegen, was man mit den Ergebnissen macht. Denn die Situation in Studien ist nicht mit der Realität vergleichbar. In Studien werden die Teilnehmer permanent zu Safer Sex beraten und erhalten sämtliche Präventionsmittel kostenlos. In der Realität kostet eine Therapie mit Truvada in Deutschland monatlich ca. 800 Euro. Da die Medikamente für einen solchen Einsatz nicht zugelassen sind, müssten sie auf Privatrezept und „off-label“, also außerhalb der Indikation verschrieben werden (die Herstellerfirma haftet dann nicht für Schäden). Die Gefahr, dass Medikamente aus der Therapie in die Prävention „verschoben“ werden, liegt auf der Hand. Cock weist auch noch auf andere Probleme hin. Die Studien sind zu kurz, um langfristige Auswirkungen zu erkennen, viele F Fragen bleiben offen: Wird es zum Beispiel bei denen, die sich trotz PREP infizieren, schneller zu einer Resistenzentwicklung kommen? Schließlich nehmen sie weiterhin eine dann ungenügende (weil nur Zweifach-) Medikamentenkombination ein. Wie steht es um die Langzeitnebenwirkungen? Wird die PREP außerhalb von Studien und angesichts der hohen Kosten überhaupt nach Vorschrift (einmal täglich) eingenommen, oder wird „gespart“? Werden sich Personen, die eine PREP einnehmen, riskanter verhalten und somit den Schutzeffekt der PREP kompensieren? Solche Fragen werden sich leider erst im Alltag oder durch weitere Untersuchungen beantworten lassen.
Kann man HIV-Medikamente zur Vorbeugung geben, wenn viele Kranke nicht mal behandelt werden?
Völlig offen ist auch, welche Gruppen von einer PREP profitieren werden und welche nicht. Cock nennt als mögliche Adressaten der Präventionsmethode Sexarbeiterinnen (und ihre Klienten), Paare, bei denen einer/eine HIV-positiv ist und der/die andere nicht, Personen mit häufigem Partnerwechsel und ggf. in afrikanischen Ländern auch junge Mädchen. Das Nebeneinander von Medikamenten in der HIV-Therapie und in der Prävention könnte dann, so Cock, zu schwierigen Kontroversen führen: Wenn man in afrikanischen Ländern die PREP einführt, obwohl noch nicht alle HIV-Infizierten eine antiretrovirale Therapie erhalten, müsste man sich schon fragen lassen, ob man die Medikamente den Richtigen gibt.
Zentrale Fragen sind also noch nicht beantwortet. Werden wir uns dennoch darüber freuen, wenn sie unter dem Weihnachtsbaum liegt? Ja. Denn angesichts der bislang nicht gestoppten Epidemie können wir uns keinen Verzicht auf eine wirksame Methode erlauben. Und dass sie wirkt, erwarten Experten fast so sicher wie das nächste Weihnachtsfest.
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