Vielfalt ist unsere Stärke

Von Redaktion
Bunte Hände
Vielfalt ist unsere Stärke

Am 26. August beginnen in Bielefeld die Positiven Begegnungen 2010, die größte deutschsprachige Konferenz zum Leben mit HIV. Drei Mitwirkende erzählen, was sie sich von der Veranstaltung erwarten und warum sie sich engagieren

  • Marcel Dams (21), Video-Blogger und Verwaltungsfachangestellter der Stadt Essen
  • Melike Yildiz (32), Kunsthistorikerin, Mutter von zwei Kindern und Sprecherin des Positivenplenums der Berliner Aidshilfe
  • Carsten Schatz (40), Landesgeschäftsführer der Linken in Berlin und Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe

Melike, Marcel und Carsten – warum fahrt ihr zu den Positiven Begegnungen 2010 nach Bielefeld?

Marcel: Ich hoffe, dass ich auch junge Leute treffe, mit denen ich mich austauschen kann. Ich bin zum ersten Mal dabei. Als die Positiven Begegnungen das letzte Mal waren, habe ich noch gar nicht gewusst, dass ich positiv bin. Meine Diagnose habe ich erst im August 2009 bekommen.

Melike: Da drehe ich doch die Frage gleich mal um: Was kann ich zu den Positiven Begegnungen mitbringen? Nur mit dieser Einstellung kann man was bauen. Jeder von uns bringt ja was mit.

Was zum Beispiel?

Melike: Solidarität! Als Einzelne sind wir eingeschränkt in unseren Möglichkeiten, aber wir können uns gegenseitig unterstützen.

Carsten: Es hat die Aidshilfebewegung immer ausgezeichnet, dass sie Vielfältigkeit nicht nur zulassen konnte, sondern auch fruchtbar gemacht hat. Aber das funktioniert nur, wenn eine Grundsolidarität da ist – zwischen dem Drogengebraucher, dem Schwulen und der Prostituierten. Vielfalt ist unsere Stärke.

Was erwartest du dir, Carsten?

Carsten: Mir liegt am Herzen, dass wir in Bielefeld eine Debatte anstoßen, damit die Offenheit für das Leben mit HIV zunimmt: im Bereich Arbeit mit HIV, beim Thema Älterwerden … Positive müssen klarer benennen, was sie erwarten, auch welche Serviceangebote sie erwarten, zum Beispiel von den Aidshilfen.

Melike Yildiz: „Der Grund für das Selbsthilfeengagement ist bei vielen HIV-positiven Migrantinnen die Verzweiflung.“

Warum engagiert man sich als Positiver? Wie war das bei dir, Melike?

Melike: Wir leben ja in Welten, die parallel verlaufen – auch im Umgang mit HIV. Manche Menschen leben in Europa, kommen aber aus Ländern, wo das Wissen über HIV und Aids auf demselben Stand ist wie hier vor 20 Jahren. Die bekommen den hiesigen Wissensstand natürlich mit und sind dann mit einer völlig anderen Welt konfrontiert. Dann kommt der Zeitpunkt, wo man sagt: Entweder bleibe ich in meiner Diaspora und verstecke meine Infektion, so gut ich kann. Oder es ist mir alles ganz egal und ich gehe einen Schritt nach vorne. Was ich orientalisch ausschweifend sagen möchte: Der Grund für das Engagement ist bei vielen HIV-positiven Migrantinnen leider die Verzweiflung.

Carsten: Ich glaube, bei den Herkunftsdeutschen ist das nicht anders. Nur dass diese Verzweiflung heute weniger dramatisch ist als noch vor 15 Jahren. Sie kann ein Motiv sein zu sagen: Ich gehe jetzt mal zur Aidshilfe. Das ist nach wie vor so, auch wenn die Leute nicht mehr dem Tod ins Auge blicken.

Wie sinnvoll ist es denn, spezielle Angebote für Migrantinnen, Jüngere und viele andere zu machen? Verzettelt man sich da nicht?

Carsten: Ich würde jeden Weg unterstützen, der dazu führt, dass sich Leute engagieren. Wenn sie zunächst einen Raum brauchen, um sich mit anderen Menschen in ähnlichen Lebensumständen zu treffen, dann sollen sie das machen. Wenn sie sagen: Ich brauche das nicht und kann mich gleich mit einem Junkie an einen Tisch setzen, dann ist auch das in Ordnung. Solange der Respekt voreinander und eine Grundsolidarität da ist, soll jeder seins machen.

Melike: Mit gesundem Menschenverstand würde ich sagen: Wie in jeder Beziehung braucht es manchmal etwas Abstand, um sich dann wieder gut zu unterhalten und konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Marcel Dams
„Die Idee, ein Blog zu machen, kam mir erst nach meiner Diagnose. Damals habe ich gedacht: Ich bin der einzige junge Mensch mit HIV.“

Marcel, seit November 2009 bloggst du über HIV und Aids. Warum?

Marcel: Ich habe schon früher für mich selbst geschrieben. Die Idee, ein Blog zu machen, kam mir aber erst nach meiner Diagnose. Damals habe ich gedacht, ich bin der einzige junge Mensch mit HIV. An den Reaktionen auf mein Blog merkte ich: Es gibt auch andere.

Wie reagieren Gleichaltrige auf dein Blog?

Marcel: Es kommen die typischen Fragen: Wie ist es denn passiert? Du bist doch noch so jung! Viele gehen davon aus, dass man als junger Mensch von HIV nicht so betroffen ist. Aber es kann passieren, sobald du Sex hast – beim ersten Mal oder beim fünzigsten Mal. Diese Tatsache möchte ich bekannter machen.

Ersetzen solche Online-Blogs bald die Aidshilfe der alten Art?

Marcel: Nein, Kondome und Infomaterial zu verteilen, ist genauso wichtig wie Aufklärung im Netz. Ich gehe auch regelmäßig zu einer Gruppe der Essener Aidshilfe für junge Positive. Eine Verbindung von Altem und Neuen wäre wohl das Beste.

Carsten: Es gibt ja immer noch Dinge, die in einer Face-to-face-Kommunikation viel besser funktionieren als im Chat. Deshalb wird es die klassische Form weiterhin geben – auch für die Jungen. Ich bin da ganz zuversichtlich.

Das Image der Selbsthilfe ist ja etwas verstaubt…

Melike: In der Migranten-Community ist das verstaubte Image kein großes Problem. In den Herkunftsländern gibt es ja selten so professionelle Strukturen wie hier. Man ist also gezwungen, sich selbst zu helfen. Auch jede Diaspora funktioniert so.

Carsten Schatz
„Solange die Übertragungswege von HIV tabu sind, wird es auch Aids-Selbsthilfe geben.“

Carsten: Der Begriff Selbsthilfe ist natürlich ein sehr schwerer, weil er immer mit Leiden verbunden wird: Ich muss mir permanent das Leid der anderen anhören, sofern ich selbst keins mitzuteilen habe. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Zur Selbsthilfe gehört auch, dass Leute zur Aidshilfe kommen und sagen: Ich kann mich so einbringen, dass wir bei einem bestimmten Thema mal vorankommen – weil ich Journalist bin, Fotograf oder Rechtsanwalt. Das gehört genauso zur Selbsthilfe wie die Schwimmgruppe, wo HIV-Positive erstmal nichts weiter tun, als gemeinsam Schwimmen zu gehen.

Marcel: Jeder wäre heillos überfordert, wenn er in einer Selbsthilfegruppe nur über seine Infektion reden müssten. So ging es mir auch. Am Anfang wollte ich mit niemandem darüber sprechen. Ich musste erst mal mit mir ins Reine kommen.

Wird es in 20 Jahren noch Positive Begegnungen geben?

Carsten: Solange es noch keine Heilung gibt und solange die Übertragungswege von HIV – Sex und intravenöser Drogengebrauch – tabu sind, wird es auch Aids-Selbsthilfe geben. Vielleicht in einer anderen Form, aber es wird sie weiterhin geben.

Melike: Ja, die Menschen sind so konstruiert: Sie wollen sich begegnen! Sie finden schon einen Grund, und wenn es HIV ist. (lacht) Deshalb habe ich die Hoffnung, dass es die PoBe auch in 20 Jahren noch gibt.

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