Von San Francisco über China bis zum Bahnhof Zoo: Berlinale-Filme zum Leben mit HIV und Aids
Zehn Tage Schaulaufen auf roten Teppichen sind vorbei. Fast 400 Filme wurden auf der diesjährigen Berlinale präsentiert, darunter drei Beiträge, die sich auf je unterschiedliche Weise mit Aids auseinandersetzen. Außerdem gab es einen Ehren-Teddy für einen ganz besonderen Aids-Aktivisten. Ein Bericht von Axel Schock.
Liebesbrief an San Francisco
„We Were Here“ ist nicht der erste historische Abriss dieses entscheidenden Jahrzehnts der Epidemie, des massenhaften Sterbens, des Kampfes gegen die Ignoranz der Politik wie der Pharmaindustrie. Weissmans Film, der sich nur auf Aids in San Francisco und innerhalb der schwulen Community beschränkt, hebt sich zunächst durch seine formale Klarheit und tatsächlich kinotaugliche Aufarbeitung hervor. Die Geschichte mag bekannt sein, vieles des von ihm zusammengetragenen Archivmaterials – Fotografien, Fernsehbilder, Dokumente – sicherlich nicht. Es sind oft kleine überraschende Details, wie etwa dieses Apothekenschaufenster in der Castro Street im Jahr 1981. Jemand hatte mit der Polaroidkamera mysteriöse Körperflecke fotografiert und die Bilder ins Schaufenster gehängt: „Watch out ,there ist something out“.
Eileen Glutzer, eine lesbische Krankenschwester, erzählt von Studien, etwa mit AZT, die sie und ihre Kollegen in Eigeninitiative in der Frühphase der Medikamentenentwicklung auf einer Aids-Station durchführten: „Wir mussten irgendetwas tun. Wir konnten hier nur beim Sterben helfen. Wir wollten aber nicht einfach warten, bis die Pharmafirmen und Behörden etwas unternehmen.“ Eileen Glutzer ist eine der fünf Zeitzeugen, die Weissman für seinen Film ausführlich interviewt hat. Sie hatte in den 70er Jahren die erste „Women’s Clinic“ mitbegründet. Als plötzlich die ersten Krankheitsfälle in der schwulen Community auftauchten und niemand die Infektionsrisiken kannte, meldete sie sich freiwillig für die Arbeit in der ersten geschlossenen Aids-Abteilung. Mit dem Slogan „Our Boys Need Our Blood“ rief später eine lesbische Organisation zur Blutspende für die Behandlung der Erkrankten auf.
„Für mich ist es heute noch beschämend“, sagt Ed Wolf, ein weiterer interviewter Zeitzeuge. Die Freiwilligen, die sich den möglichen Risiken auszusetzen bereit waren und die Pflege übernahmen, seien vor allem Lesben gewesen, und diese seien von den Schwulen nicht immer gut behandelt worden. Wolf war als junger, schüchterner Schwuler nach San Francisco gezogen, dort aber nie wirklich angekommen. Der vorherrschende hedonistische Lebensstil war nicht der seine. So schrecklich es sich auch anhöre, die Epidemie habe ihn erstmals zum Teil der Community werden lassen. Unzählige Projekte rund um HIV/Aids hat Wolf mit initiiert, von einem Hospiz bis hin zu „Meals on Wheals“, dem Vorbild für „Essen auf Rädern“. Wolf steht exemplarisch für das, was Weissman mit seinem „Liebesbrief an San Francisco“ auszudrücken gedachte: für die Energie und den solidarischem Einsatz, mit dem die Menschen der Stadt sich dieser Herausforderung gestellt haben.
Während „We Were Here“ auf berührende, aber nie sentimentale Weise die Vergangenheit aufarbeitet, erkunden die beiden anderen Filme die Gegenwart.
Diskriminierung und Ausgrenzung reichen bis zu den Mahlzeiten
Zhao Liangs „ Zai Yi Qi“ (Together) ist zunächst als Making-of zu Gu Changweis Spielfilm „Life is a Miracle“ angelegt, erweitert sich dann aber zu einer Dokumentation über das Leben mit HIV und Aids in China (siehe auch Blogbeitrag „Chinesische Utopie“). „Life is a Miracle“ handelt von einem abgelegenen Dorf, in dem ein unbekanntes Fieber ausbricht. Dieses will der Regisseur als Metapher für Aids verstanden wissen, weshalb er auch HIV-Positive als Statisten und für kleinere Rollen gesucht hatte. Ein kleiner Junge, der in einem Heim für HIV-positive Kinder aufwächst, übernahm sogar eine der tragenden Rollen.
Der Dokumentarfilmer Zhao Liang zeigt diesen Jungen im geschützten Umfeld, betreut von engagierten Betreuerinnen und zusammen mit anderen Kindern, die geradezu abgeklärt über ihre Krankheit, die Infektionswege und die Medikation sprechen. Ganz anders sieht es in der Familie des Jungen auf dem Lande aus. Dort reichen Diskriminierung und Ausgrenzung bis zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Sein Essgeschirr müsse er selbst und separat waschen, verrät die Großmutter dem Interviewer hinter vorgehaltener Hand, als schäme sie sich für diese Vorsichtsmaßnahme ihrer Schwiegertochter.
In Zhao Liangs Dokumentation offenbart sich nicht nur die mangelnde Aufklärung der chinesischen Bevölkerung über die Infektionswege. Sie zeigt vor allem auch, wie sehr die Scham – der Infizierten wie der Angehörigen – die Präventionsarbeit und das Coming-out der Betroffenen erschwert, bisweilen gar unmöglich macht.
Mit der Kamera in Berlins Stricherszene und auf Heimatbesuch
Scham und Verleugnung, wenngleich unter anderen Vorzeichen, erschweren auch die Arbeit der Streetworker in der Berliner Stricherszene. Seit Öffnung der Grenzen zu Osteuropa gehen hier immer mehr Jungs aus diesen Ländern anschaffen. Der junge Roma Ionel stammt aus einem kleinen rumänischen Dorf, dessen junge Männer fast alle ihr Geld in Berlin auf der Straße verdienen. Offiziell machen sie in der U-Bahn Musik oder wischen an den Ampeln für ein Trinkgeld die Autoscheiben.
Rosa von Praunheim hat für seinen Dokumentarfilm „Die Jungs vom Bahnhof Zoo“ Ionel mit der Kamera bei einem Heimatbesuch begleitet. Die ärmlichen Zustände dort lassen sofort verstehen, weshalb sie die Widrigkeiten in Deutschland auf sich nehmen. „Für viele von ihnen bedeutet es bereits einen sozialen Aufstieg, wenn sie mal für eine Woche bei einem Freier wohnen und dort jeden Tag Fleisch essen und warm duschen können“, sagt Streetworker Sergiu Grimalschi (vielen auch als DAH-Referent für Internationales bekannt), der in Praunheims Film über seine Arbeit bei Sub/Way berichtet. (Mehr zum Film anlässlich des bundesweiten Kinostarts in wenigen Tagen hier auf dem Blog).
„Teddy“ für nationale Ikone Südafrikas
Während Sergiu seine Präventionsbotschaften im Gespräch mit Strichern und Freiern im Kiez an den Mann zu bringen versucht, macht Pieter-Dirk Uys dies überwiegend an Schulen in Südafrika. Schon mehr als drei Millionen Schüler haben sich von ihm – oder von „Evita Bezuidenhout“ – den Gebrauch des Kondoms erklären lassen. Denn der 66-jährige Schauspieler, Autor und Aidsaktivist ist in Südafrika vor allem als Politkabarettist und in seiner Drag-Rolle als Evita Bezuidenhout bekannt. Nelson Mandela bezeichnete Evita als die berühmteste weiße Frau des Landes. Sie sei eine „nationale Ikone“ sagte die südafrikanische Botschafterin Mbuyane-Mokone in ihrer Laudatio. Bei der diesjährigen Verleihung des „Teddy“, dem queeren Filmpreis der Berlinale, durfte sie Uys den Ehren-Teddy für sein Lebenswerk überreichen: für seinen jahrzehntelangen Kampf gegen die Apartheidpolitik wie für sein Engagement in der Aids-Aufklärung.
„We Were Here“. Regie: David Weissman. Mit Ed Wolf, Paul Boneberg, Daniel Goldstein, Guy Clark, Eileen Glutzer. USA 2010, 90 Min. Website mit Trailer: http://wewereherefilm.com
„Zai Yi Qi“ (Together). Regie: Zhao Liang. Chinesische Volksrepublik 2010, 83 Min.
Interview mit Zhao Liang über „Together“ und Filmausschnitt:
http://news.teddyaward.tv/de/video/?a-z=1&select=Z&id_film=334
„Die Jungs vom Bahnhof Zoo“. Regie: Rosa von Praunheim. D 2011, 84 Min.
http://www.youtube.com/user/rosavonpraunheim
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1 Kommentare
Chrissi 21. Februar 2011 17:37
Vielen Dank Christine, für die schöne Übersicht. Bleibt zu hoffen, dass die Filme nach der Berlinale auch einen Weg in die Kinos bei uns finden.