Tierische Kumpane
Für viele Suchterkrankte sind Tiere nicht nur beste Freunde, sondern auch eine wichtige psychische Stütze im Leben. In dem Dokumentarfilm „Nicht ohne meine Tiere“ erzählen vier Drogengebrauchende von ihrer Suchtgeschichte – und wie ihnen ihre Tiere halfen, Stabilität zu finden.
Sie heißen Dorothy, Ayoka, Karlchen und Leontin. Sie sind flauschig, niedlich, treu und verspielt. Und sie bekommen in diesem Dokumentarfilm allesamt verdientermaßen ihren großen Auftritt. Denn wie die vielen anderen Zwei- und Vierbeiner – Katzen und Kaninchen, Wellensittiche und Meerschweinchen, Hunde aller Größen und Rassen –, die in Volker Meyer-Dabischs Film „Nicht ohne meine Tiere“ vor der Kamera erscheinen, sind sie Lebensretter und Überlebenshilfe. Die Menschen an ihrer Seite sind nämlich Suchtpatient*innen.
Selbstvertrauen und Schutz
Christina, die älteste der vier Protagonist*innen, die hier von ihrer Suchtbiografie und ihren tierischen Begleitern erzählt, ist mit 14 Jahren von zu Hause abgehauen und im West-Berlin der 70er Jahre in die Drogenszene abgetaucht. Um ihren Konsum zu finanzieren, verkaufte sie Obdachlosenzeitungen. Zwei große Pitbulls, denen sie bunte T-Shirts überstreifte, gaben ihr Selbstvertrauen und Schutz.
Die Italienerin Viola war wegen der Technoszene nach Berlin gekommen. Heroin hatte eine große Faszination für sie und half zudem gegen ihre Panikattacken. Aber bald konnte sie den Konsum nicht mehr kontrollieren, vielmehr kontrollierte die Sucht nun ihr Leben. Sie brauchte Jahre, um das wieder in den Griff zu bekommen. Ihre Katze half ihr, dem Suchtdruck zu widerstehen und in einem Moment größter Verzweiflung doch nicht Suizid zu begehen. Auch Thomas, Ex-Musiker einer Punkrock-Band, erzählt eine solche Geschichte. Seinem Kater hat er in der Wohnung einen Laufparcour gebaut.
Wie Viola traut sich auch Claudia nicht, ihr Gesicht zu zeigen. Die Angst vor Stigmatisierung und den möglichen Folgen sitzt tief. Auch sie hat jahrelange Drogenerfahrungen hinter sich. Bereits als Jugendliche im Erziehungsheim hat sie mit dem Konsum begonnen. Direkt nach ihrem 18. Geburtstag heiratete sie. Als ihr Ehemann gewalttätig wurde, suchte sie Unterschlupf in der Berliner Hausbesetzerszene – mit dabei eine Ratte, die ihr jemand geschenkt hatte. Allerdings war das Tier trächtig und aus einem Exemplar waren bald 57 geworden.
Die Zeit ohne festen Wohnsitz und der intensive Heroinkonsum haben ihre Spuren hinterlassen, gesundheitlich wie mental. Doch Claudia hat inzwischen eine eigene Wohnung, die sie selbstverständlich mit Tieren teilt: Da sind Wellensittichen, deren Verhalten sie erheitert und die sie stundenlang beobachten kann, und Kaninchen, die sich frei bewegen dürfen. In einem Käfig will sie die Tiere nicht halten. Aus ihrer Zeit in Haft weiß Claudia, wie es sich anfühlt, eingesperrt zu sein.
Das Tier als Freund und Partner
Der Filmemacher Volker Meyer-Dabisch lässt seinen Protagonist*innen den Raum, um ihre Geschichten zu erzählen: davon, wie sie als junge Menschen erste Drogenerfahrungen machten, wie der Konsum von MDMA, LSD, Kokain, Schmerzmitteln und bei allen auch Opiaten zunehmend ihr Leben bestimmte. Und sie erzählen, wie schwierig es war, in eine Ersatztherapie zu kommen.
Die Kamera begleitet Thomas beim morgendlichen Gang zu seiner Substitutionspraxis. Sein behandelnder Arzt Dr. Michael Janßen spricht aus, was sicherlich viele seiner Kolleg*innen über die Tiere von Suchtpatient*innen denken: Sie werden vor allem als Störfaktoren und als Hindernis für die Therapie wahrgenommen. Weil sie nicht in die Praxis mitgenommen werden dürfen, bellen Hunde dann manchmal im Treppenhaus. Wenn Patient*innen ins Krankenhaus müssen, gibt es oft keine Person, die sich um die Tiere kümmern könnte. Oder Patient*innen sagen sogar den Klinikaufenthalt ab, weil sie sich nicht von ihren Haustieren trennen möchten.
Nur wenige Einrichtungen ermöglichen den Zugang mit Tieren. Das stellt nicht oft auch ein Problem auch für Wohnungslose dar, wie der Gesundheitswissenschaftler und Suchtmediziner Dr. Michael Christian Schulz erklärt. Diese verzichteten dann lieber auf einen Schlafplatz und schlafen deshalb draußen: „Die Entscheidung ist für fast alle immer klar. Man bleibt bei dem Tier, denn das ist der Partner, der Freund, den man nicht alleine lässt. Das kann im allerschlimmsten Fall in der Kälte ein Todesurteil bedeuten.“ 2023 hatte er die Studie „Die Bedeutung von Kumpantieren für Opioidabhängige in Substitutionstherapie“ veröffentlicht, die Volker Meyer-Dabisch zu seinem Film angeregt hat.
Mehr Wertschätzung im Hilfesystem
Für Außenstehende sind solche Entscheidungen oftmals schwer nachvollziehbar. Tierhaltung, sagt Dr. Janßen, werde gar zu einem stigmatisierenden Label. Suchtkranke Menschen, so beschreibt er das Vorurteil, „sind nicht in der Lage, zwischenmenschliche Beziehungen gut zu pflegen, und müssen deshalb in ihrer Not auf vermeintlich minderwertige Beziehungen zu Tieren zurückzugreifen, um nicht zu vereinsamen“. Dabei können Tiere, wie die Beispiele dieses Films eindrücklich zeigen, entscheidende positive Faktoren darstellen.
Auch Dr. Sandra Wesenberg hat zu Mensch-Tier-Beziehungen geforscht und erläutert im Film die besondere Bedeutung von Tieren für Suchterkrankte. Viele von ihnen haben im Laufe ihres Lebens Gewalterfahrungen oder andere traumatisierende Erfahrungen gemacht. „Sie sind deshalb im Kontakt zu anderen Menschen oft sehr misstrauisch, vorsichtig bis offen skeptisch, weil sie, von früher Kindheit an, andere Menschen als nicht vertrauenswürdig erfahren haben“, sagt die Psychiaterin. Mit Tieren können sie selbst dann Intimität und körperliche Nähe erleben, wenn dies durch ihre drogenbedingte soziale Isolation mit Menschen nicht mehr möglich ist. Deshalb wäre es wichtig, die Tierhaltung in der Drogenhilfearbeit mitzudenken und, wie es Dr. Schulz formuliert, ihr mehr „Wertschätzung im professionellen Hilfesystem erfahren“ zu lassen.
Trailer „Nicht ohne meine Tiere“
Nicht ohne meine Tiere, D 2024, Regie Volker Meyer-Dabisch, Buch Michael Christian Schulz. 75 min. Seit 28. November 2024 im Kino.
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