Arbeitsfähigkeit und Beschäftigungsraten bei HIV-Infizierten unter ART
Von Luigia Elzi1, Anna Conen2, Annalea Patzen1, Jan Fehr3, Matthias Cavassini4, Alexandra Calmy5, Patrick Schmid6, Enos Bernasconi7, Hansjakob Furrer8 und Manuel Battegay1 für die Schweizerische HIV-Kohortenstudie*
1Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, Abteilungen für Biomedizin und Klinische Forschung, Universitätsspital Basel, 2Abteilung für Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital Aarau, 3Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, UniversitätsSpital Zürich, 4Service des maladies infectieuses, Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne, 5Service des maladies infectieuses, Hôpitaux Universitaires de Genève, 6Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St. Gallen, 7Servizio di Malattie Infettive, Ospedale Regionale di Lugano, 8Institut für Infektionskrankheiten, Universitätsspital und Universität Bern
Hintergrund
Zur Arbeitsfähigkeit HIV-Infizierter nach Beginn einer antiretroviralen Kombinationstherapie (cART) liegen nur wenige Daten vor. Unser Ziel war, Prädiktoren [Anm. d. Red.: Variablen zur Vorhersage eines Merkmals] für die Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit ein Jahr nach Beginn einer cART zu ermitteln.
Methoden
Analysiert wurden therapienaive HIV-infizierte Individuen unter 60 Jahren, die zwischen Januar 1998 und Dezember 2012 im Rahmen der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie mit einer cART begannen. Arbeitsunfähigkeit wurde definiert als medizinische Einschätzung der Arbeitsfähigkeit von Patient_innen mit 0 %.
Ergebnisse
Von 5.800 Teilnehmer_innen konnten 4.382 (75,6 %) bei der Erstuntersuchung Vollzeit arbeiten, 471 (8,1 %) konnten in Teilzeit arbeiten und 947 (16,3 %) konnten nicht arbeiten. Von den 947 nicht arbeitsfähigen Patient_innen konnten 439 (46,3 %) nach einem Jahr Behandlung arbeiten. Prädiktoren für die Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit waren nichtweiße ethnische Zugehörigkeit (Odds-Ratio [OR] 2.06; 95 % Konfidenzintervall [CI], 1.20–3.54), höherer Bildungsgrad (OR, 4.03; 95 % CI, 2.47–7.48) und Erreichung einer Viruslast von weniger als 50 Kopien/ml (OR, 1.83; 95 % CI, 1.20–2.80). Höheres Alter (OR, 0.55; 95 % CI, .42–.72 pro 10 Jahre mehr) und psychiatrische Störungen (OR, 0.24; 95 % CI, .13–.47) waren mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für die Arbeitsfähigkeit assoziiert. Der Anteil der Teilnehmer_innen, die nach einem Jahr die volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangten, stieg von 24,0 % in den Jahren von 1998 bis 2001 auf 41,2 % in den Jahren 2009 bis2012, wobei sich die Beschäftigungsrate allerdings nicht erhöhte.
Schlussfolgerungen
Die Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit hängt in erster Linie vom Erreichen einer nicht nachweisbaren Viruslast, der Abwesenheit psychiatrischer Komorbidität [Anm. d. Red.: Begleiterkrankungen] sowie von günstigen psychosozialen Faktoren ab. Die Diskrepanz zwischen der Arbeitsfähigkeit der Patient_innen und der Beschäftigungsrate deutet auf Barrieren für die Reintegration von Menschen mit HIV hin.
Hintergrund
Dank der antiretroviralen Kombinationstherapie (cART) hat sich in den letzten zwanzig Jahren die prognostizierte Lebenserwartung für einen beträchtlichen Anteil der Menschen mit HIV/Aids derjenigen der Allgemeinbevölkerung angeglichen [1]. Eine Folge davon ist, dass Personen, die zuvor aufgrund HIV-bezogener Morbidität nicht arbeiten konnten, angesichts ihres verbesserten Gesundheitszustandes wieder in die Arbeitswelt zurückkehren können. Zu den positiven Auswirkungen von Beschäftigung gehören ökonomisches Wohlbefinden, weniger Depressionssymptome und verbesserte soziale Unterstützung [2–6]. Dem gegenüber stehen Berichte über Barrieren für die Rückkehr HIV-Positiver in die Arbeitswelt, Nebenwirkungen der cART und Diskriminierung [7–11]. 2004 schätzte eine Querschnittsstudie im Rahmen der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) den jährlichen Produktivitätsverlust für etwa 5.000 HIV-infizierte Schweizer_innen auf 121,9 Millionen Schweizer Franken (95,2 Millionen US-Dollars) [4]. Arbeitsunfähigkeit war unabhängig assoziiert mit höherem Alter, aidsdefinierenden Erkrankungen, einer Geschichte injizierenden Drogengebrauchs und niedrigeren CD4-Zellzahlen, während ein höherer Bildungsgrad und eine stabile Partnerschaft mit einem höheren Maß an Arbeitsfähigkeit assoziiert waren, was darauf hindeutet, dass soziökonomische Faktoren die Kosteneffizienz gesundheitlicher Interventionen bei Menschen mit HIV beeinflussen könnten. Die Einführung neuer, einfacher einzunehmender antiretroviraler Medikamente mit verbesserter Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit und der frühere Therapiebeginn könnten das Niveau der Arbeitsfähigkeit beeinflusst haben [12, 13]. Nichtsdestotrotz sind die Beschäftigungsraten bei HIV-positiven Erwachsenen in Ländern mit hohen Einkommen nach wie vor niedriger als in der Allgemeinbevölkerung [14, 15].
Das Gesamtziel dieser Studie war die Erforschung der Arbeitsfähigkeit bei HIV-1-infizierten Erwachsenen unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie. Unterziele waren (1) die Suche nach Prädiktoren dafür, welche Patient_innen ein Jahr nach Beginn einer ART die volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangten, (2) der Vergleich der zeitlichen Trends bei der Arbeitsfähigkeit und bei den Haupteinkommensquellen der untersuchten Patient_innen in einem Zeitraum von fünf Jahren und (3) die Erforschung von Risikofaktoren für das Auftreten neuer Schwierigkeiten, welche die Arbeitsfähigkeit der Patient_innen beeinträchtigten.
METHODEN
Studiendesign
Dieser Studie liegt ein Teil-Datensatz der prospektiven SHCS zugrunde. In diese Studie werden kontinuierlich HIV-infizierte Erwachsene ab 18 Jahren aufgenommen, die in HIV-Ambulanzen von sieben Schweizer Krankenhäusern (Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano, St. Gallen, Zürich) sowie in assoziierten kleineren Kliniken und Arztpraxen behandelt werden [16]. Die Daten wurden prospektiv zum Zeitpunkt der Aufnahme der Patient_innen in die Studie und anschließend alle sechs Monate mithilfe standardisierter Formulare erhoben; sie umfassen soziodemografische Basisdaten sowie Informationen über den klinischen Verlauf der Krankheit, Koinfektionen mit Hepatitis B und Hepatitis C, psychiatrische Begleiterkrankungen, die antiretrovirale Behandlung, weitere eingenommene Medikamente und immunologische und virologische Parameter. Die Arbeitsfähigkeit der Patient_innen in den Monaten vor den Kontrolluntersuchungen wurde – unabhängig vom jeweils aktuellen Beschäftigungsstatuts oder der Selbsteinschätzung der Patient_innen – von den behandelnden Ärzt_innen auf einer Skala von 0 % (absolut arbeitsunfähig) bis 100 % (uneingeschränkt arbeitsfähig) eingeschätzt. In der Handreichung wurden keine detaillierten Angaben dazu gemacht, welche medizinischen Faktoren bei der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt werden sollten. Die Haupteinkommensquelle der Patient_innen wurde alle sechs Monate mithilfe der fünf Kategorien „Job“, „Versicherung“, „Arbeitslosengeld“, „Verwandte“ und „Ersparnisse“ erhoben. Der vorliegenden Analyse liegt der SHCS-Datenbankauszug vom Juni 2014 zugrunde. Die Studie wurde von den Ethikkommissionen der teilnehmenden Studienzentren (Ethikkommissionen Nordwest- und Zentralschweiz, Bern, Genf, St. Gallen, Tessin, Waadt und Zürich) genehmigt, das Einverständnis aller Teilnehmer_innen wurde schriftlich eingeholt.
Studienpopulation
Eingeschlossen in diese Studie wurden ART-naive HIV-infizierte Personen unter 60 Jahren, die an der Schweizerischen Kohortenstudie (SHCS) teilnehmen und die zwischen dem 1. Januar 1998 und dem 31. Dezember 2012 mit einer HIV-Kombinationstherapie (cART) begonnen haben, sofern Daten zu ihrer Arbeitsfähigkeit zu Therapiebeginn und nach einem Jahr Therapie vorlagen. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter in unserer Kohorte lag bei 65 Jahren (ähnlich wie in der Gesamtbevölkerung); wir haben die Analyse auf Patient_innen unter 60 begrenzt, um eine potenzielle Beobachtungszeit von fünf Jahren erreichen zu können.
Definitionen
„Arbeitsunfähigkeit“ wurde definiert als medizinische Einschätzung, dass Patient_innen aufgrund ihres Gesundheitszustandes zu keinerlei einkommensgenerierenden Aktivitäten in der Lage sind, und mit 0 % Arbeitsfähigkeit erfasst. „Teilweise arbeitsfähig“ wurde definiert als medizinische Einschätzung, dass Patient_innen in Teilzeit arbeiten konnten, und mit 1 % bis 99 % Arbeitsfähigkeit erfasst. „Voll arbeitsfähig“ wurde definiert als medizinische Einschätzung, dass Patient_innen Vollzeit arbeiten konnten, und mit 100 % Arbeitfähigkeit erfasst. Antiretrovirale Kombinationstherapie („cART“) wurde definiert als antiretrovirale Therapie mit mindestens drei Wirkstoffen, das heißt zwei Nukleos(t)ide Reverse-Transkriptase-Inhibitoren in Kombination entweder mit einem Nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, einem Integrase-Inhibitor oder einem Protease-Inhibitor. Der Bildungsgrad wurde in drei Kategorien zusammengefasst: „niedrig“ (obligatorische Schulbildung von bis zu 9 Jahren), „mittel“ (obligatorische Schuldbildung und Berufsausbildung von 9–12 Jahren) und „hoch“ (Bildungs-/Ausbildungszeiten von mehr als 12 Jahren).
Statistische Analyse
Der primäre Endpunkt war der Anteil der Individuen, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähig waren und am Ende des ersten Therapiejahres wieder Vollzeit arbeiten konnten. Sekundäre Endpunkte waren der Anteil der Individuen, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsfähig waren und nach einem Jahr bzw. fünf Jahren Therapie arbeitsunfähig waren, sowie die Veränderungen bei der Arbeitsfähigkeit der Patient_innen und bei ihren Haupteinkommensquellen. Die soziodemografischen Basisdaten sowie Daten zu Komorbiditäten (einschließlich aktuellen intravenösen Drogengebrauchs und psychiatrischer Begleiterkrankungen), CD4-Zellzahlen, der HIV-Viruslast und der cART wurden hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit bei Aufnahme in die Studie verglichen, wobei der χ2-Test für die kategorischen Variablen und der Mann-Whitney-U- oder der Kruskal-Wallis-Test für die kontinuierlichen Variablen eingesetzt wurden. Mithilfe logistischer Regressionsmodelle wurden (1) Prädiktoren für die Erreichung der vollen Arbeitsfähigkeit bei Patient_innen, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähig waren, und (2) Risikofaktoren für neu auftretende Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit ermittelt. Wir haben Modelle mit gemischten Effekten eingeführt, um Unterschiede bei den medizinischen Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit auszugleichen. Sämtliche Analysen wurden mithilfe der Stata-Software durchgeführt (Version 11 für Windows; StataCorp, College Station, TX).
ERGEBNISSE
Studienpopulation
Von den mehr als 18.000 SHCS-Teilnehmer_innen begannen 6.782 ART-naive Patient_innen zwischen dem 1. Januar 1998 und dem 31. Dezember 2012 mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie. 291 von ihnen wurden ausgeschlossen, weil sie über 60 Jahre alt waren, 691 wurden ausgeschlossen, weil keine Daten zu ihrer Arbeitsfähigkeit bei Aufnahme in die Studie oder nach dem ersten Jahr der Therapie vorlagen. Die endgültige Studienpopulation umfasste 5.800 Personen. Bei Aufnahme in die Studie waren 4.382 Individuen (75,6 %) voll arbeitsfähig, 471 (8,1 %) konnten nur in Teilzeit arbeiten, und 947 (16,3 %) waren überhaupt nicht arbeitsfähig. Von den 471 Patient_innen, die in Teilzeit arbeiten konnten, wurde die Arbeitsfähigkeit nur bei 12 mit 10 % und bei sechs mit 90 % eingeschätzt; bei allen anderen wurde die Arbeitsfähigkeit mit Werten zwischen 20 % und 80 % und bei niemandem wurde sie mit weniger als 10 % oder mehr als 90 % angegeben. Die Daten zur Arbeitsfähigkeit bei Beginn einer cART werden in Tabelle 1 dargestellt.
Arbeitsfähigkeit und Haupteinnahmequelle nach einem Jahr Behandlung
Von den 947 Individuen, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähig waren, konnten 508 (53,6 %) auch ein Jahr nach Beginn der cART noch nicht arbeiten, während 310 (32,8 %) voll arbeitsfähig waren und 129 (13,6 %) in Teilzeit arbeiten konnten (Abbildung 1). Demgegenüber waren nur bei 217 (5,0 %) von den 4.382 Individuen, die bei Aufnahme in die Studie zu 100 % arbeitsfähig waren, nach einem Jahr cART Beeinträchtigungen aufgetreten, die ihre Arbeitsfähigkeit einschränkten. Wurde die Analyse auf diejenigen 580 (61,2 %) der 947 Patient_innen beschränkt, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähig waren und ihr Therapieregime im ersten Jahr der Behandlung nicht wechselten, waren ähnliche Ergebnisse zu beobachten: Nach einem Jahr waren 50,9 % arbeitsunfähig, 34,8 % waren voll arbeitsfähig und 14,3 % konnten in Teilzeit arbeiten.
Bei der multivariaten Analyse (Tabelle 2) ergaben sich als Prädiktoren für die Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit nach einem Jahr nichtweiße Ethnizität (Odds-Ratio [OR], 2.04; 95 % Konfidenzintervall [CI], 1.20–3.44), ein höherer Bildungsgrad (OR, 4.03; 95 % CI, 2.47–7.48), CD4-Zellzahlen nach einem Jahr von mindestens 500 Zellen/µl (OR, 2.53; 95 % CI, 1.27–5.04 für CD4-Zellzahlen > 500 verglichen mit < 200Zellen), eine HIV-Viruslast unter 50 Kopien/ml nach einem Jahr (OR, 2.06; 95 % CI, 1.20–3.54) und der Beginn der cART in einer späteren Studienphase (OR, 2.11; 95 % CI, 1.30–3.44 für den Zeitraum 2006–2012 verglichen mit 1998–2000). Demgegenüber waren höheres Alter (OR, 0.55; 95 % CI, .42–.72, pro 10 Jahre mehr), eine psychiatrische Störung (OR, 0.24; 95 % CI, .13–.47) und die Teilnahme an einem Substitutionsprogramm (OR, 0.41; 95 % CI, .23–.73) mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit assoziiert, nach einem Jahr arbeitsfähig zu sein. Risikofaktoren für eine neu auftretende Beeinträchtigung waren höheres Alter (OR, 1.37; 95 % CI, 1.20–1.58, pro 10 Jahre mehr), weibliches Geschlecht (OR, 1.74; 95 % CI, 1.32–2.29), eine Koinfektion mit Hepatitis C (OR, 1.76; 95 % CI, 1.36–2.29), eine früher aufgetretene aidsdefinierende Erkrankung (OR, 1.58; 95 % CI, 1.16–2.46), aktiver intravenöser Drogengebrauch bei der Aufnahme in die Studie (OR, 4.15; 95 % CI, 2.02–8.53) und eine psychiatrische Störung (OR, 2.70; 95 % CI, 1.78–4.11) (Tabelle 3). Bei Individuen nichtweißer Ethnizität (OR, 0.66; 95 % CI, .51–.93), Personen mit einem höheren Bildungsgrad (OR, 0.46; 95 % CI, .32–.66), höheren CD4-Zellzahlen (OR, 0.54; 95 % CI, .33–.86 für CD4-Zellzahlen > 350 verglichen mit < 200 Zellen/µl), einer Viruslast unter der Nachweisgrenze (OR, 0.63; 95 % CI, .47–.83) oder einem Therapiebeginn in einer späteren Studienphase(OR, 0.41; 95 % CI, .31–.55, für den Zeitraum 2006–2012 verglichen mit 1998–2000) war die Wahrscheinlichkeit geringer, nach einem Jahr Therapie arbeitsunfähig zu sein.
Tabelle 1: Eigenschaften der Studienpopulation im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit der Patient_innen zu Beginn der cART (n = 5800)
100 % arbeitsfähig
(n = 4382) |
10 %–90 % arbeitsfähig
(n = 471) |
0 % arbeitsfähig
(n = 947) |
||||||||
Eigenschaften | n | % | n | % | n | % | p-Wert | |||
Medianalter, IQR | 37 | 31–43 | 38 | 33–45 | 39 | 34–45 | <.001 | |||
Männliches Geschlecht | 3201 | 73.1 | 293 | 62.2 | 618 | 65.3 | <.001 | |||
Übertragungsweg | ||||||||||
MSM | 2129 | 48.6 | 111 | 23.6 | 181 | 19.1 | <.001a | |||
Heterosexuell | 1812 | 41.4 | 201 | 42.7 | 372 | 39.3 | ||||
Injizierender Drogengebrauch | 267 | 6.1 | 138 | 29.3 | 346 | 36.5 | ||||
Andere | 174 | 4.0 | 21 | 4.5 | 48 | 5.1 | ||||
Weiße Ethnizität | 3210 | 73.3 | 379 | 80.5 | 773 | 81.6 | <.001 | |||
Niedriger Bildungsgrad | 994 | 22.9 | 163 | 35.9 | 325 | 36.1 | <.001 | |||
Hepatitis-C-Koinfektion | 786 | 17.9 | 191 | 40.6 | 452 | 47.3 | <.001 | |||
Hepatitis-B-Koinfektion (HBs-Antigen positiv) | 224 | 5.1 | 20 | 4.3 | 62 | 6.6 | .117 | |||
Frühere aidsdefinierende Erkrankung | 532 | 12.1 | 120 | 25.5 | 354 | 37.8 | <.001 | |||
Aktiver injizierender Drogengebrauch | 78 | 1.8 | 60 | 12.7 | 154 | 16.3 | <.001 | |||
Substitutionsprogramm | 280 | 6.4 | 83 | 17.6 | 249 | 26.3 | <.001 | |||
Psychiatrische Störung | 229 | 5.2 | 66 | 14.0 | 186 | 19.6 | <.001 | |||
Median der HIV-RNA, IQR | 4.7 | 4.1–5.2 | 4.8 | 3.9–5.3 | 4.9 | 4.2–5.5 | <.001 | |||
Median der CD4-Zellzahlen, IQR | 263 | 160–372 | 196 | 65–325 | 157 | 54–291 | <.001 | |||
CD4-Zellzahlen | ||||||||||
< 50 | 386 | 8.9 | 101 | 21.4 | 233 | 24.6 | <.001a | |||
50–99 | 276 | 6.3 | 42 | 8.9 | 108 | 11.4 | ||||
100–199 | 828 | 18.8 | 94 | 20.0 | 213 | 22.5 | ||||
200–349 | 1621 | 37.0 | 135 | 28.7 | 225 | 23.7 | ||||
> 350 | 1271 | 29.0 | 99 | 21.0 | 168 | 17.8 | ||||
cART | ||||||||||
PI | 2354 | 53.7 | 273 | 58.0 | 598 | 63.1 | <.001a | |||
NNRTI | 1735 | 39.6 | 155 | 32.9 | 284 | 30.0 | ||||
Andere | 293 | 6.7 | 43 | 9.1 | 65 | 6.9 | ||||
Zeitraum | ||||||||||
1998–2000 | 855 | 19.5 | 144 | 30.6 | 330 | 34.9 | <.001a | |||
2001–2005 | 1133 | 25.9 | 164 | 34.8 | 292 | 30.8 | ||||
2006–2012 | 2394 | 54.6 | 163 | 34.6 | 325 | 34.3 |
Abkürzungen:
Aids: erworbenes Immunschwächesyndrom; cART: antiretrovirale Kombinationstherapie; HB: Hepatitis B; HIV: Humanes Immunschwäche-Virus; IQR: Interquartilbereich; MSM: Männer, die Sex mit Männern haben; NNRTI: Nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren; PI: geboosterte Protease-Inhibitoren; RNA: Ribonukleinsäure
a χ2-Test
Abbildung 1: Medizinische Einschätzung der Arbeitsfähigkeit der Patient_innen zu Beginn der antiretroviralen Therapie (cART) und nach einem Jahr Therapie (n = 5.800)
ganz links: Therapiebeginn zwischen 1998 und 2012
mittlere Spalte: Zu Beginn der cART; 100 % arbeitsfähig n = 4.382 (75,6 %); teilweise arbeitsfähig n = 471 (8,1 %); 0 % arbeitsfähig n = 947 (16,3 %)
rechte Spalte: Nach einem Jahr cART; 100 % arbeitsfähig n = 3927 (89,6 %), 0 % arbeitsfähig n = 217 (5,0 %); 100 % arbeitsfähig n = 166 (35,2 %), 0 % arbeitsfähig n = 80 (17,0 %); 100 % arbeitsfähig n = 310 (32,8 %), 0 % arbeitsfähig n = 508 (53,6 %)
Zu Beginn ihrer cART war für 3.397 Individuen (58,6 %) ein Beruf die Haupteinkommensquelle, für 1.198 Individuen (20,7 %) waren es Versicherungsleistungen, für 101 (1,7 %) Arbeitslosengeld, für 432 (7,5 %) Verwandte und für 46 (0,8 %) Ersparnisse, während 626 Individuen (10,8 %) zwei gleichwertige Einkommensquellen berichteten, zum Beispiel einen Beruf und Unterstützungsleistungen von Verwandten. Nach einem Jahr Behandlung berichteten 3.287 Individuen (56,7 %), sie finanzierten sich über ihren Lohn/ihr Gehalt, 1374 (23,7 %) gaben Versicherungsleistungen als Haupteinkommensquelle an, 110 (1,9 %) Arbeitslosengeld, 441 (7,6 %) Geld von Verwandten und 45 (0,8 %) Ersparnisse, während 543 Individuen (9,4 %) zwei gleichwertige Einkommensquellen angaben. In der Gruppe der 947 Individuen, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähig waren, berichteten 161 (51,9 %) von 310 Individuen, die nach einem Jahr Therapie wieder voll arbeitsfähig waren, dass sie von ihrem Lohn oder Gehalt lebten, und von den 508 Individuen mit andauernder Arbeitsunfähigkeit lebten 431 (84,8 %) von Versicherungsleistungen.
Zeittrends bei der Arbeitsfähigkeit und der Haupteinkommensquelle
Der Anteil der zu Beginn der cART voll arbeitsfähigen Individuen stieg von 64,4 % in den Jahren 1998–2001 auf 85,9 % in den Jahren 2009–2012 (Trendtest für p < .001) (Abb. 2A). Der Anteil von Patient_innen mit einem Beruf als Haupteinkommensquelle zu Beginn ihrer cART stieg von 50 % in den Jahren 1998–2001 auf 62,4 % in den Jahren 2009–2012 (Trendtest für p < .001), während der Anteil der Individuen mit Versicherungsleistungen als Haupteinkommensquelle von 27,4 % in den Jahren 1998–2001 auf 13.5 % in den Jahren 2009–2012 (Trendtest für p < .001). Unter den 947 bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähigen Individuen stieg der Anteil derjenigen, die nach einem Jahr Therapie ihre volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangt hatten, von 24,0 % in den Jahren 1998–2001 auf 41,2 % in den Jahren 2009–2012 (Trendtest für p = .001) (Abb. 2 B). Demgegenüber blieb der Anteil der Patient_innen, die sich ausschließlich über ihr Gehalt finanzierten, stabil (17,0 % in den Jahren 1998– 2001 vs. 18,9 % in den Jahren 2009–2012 [p = .094]), während der Anteil der von Versicherungsleistungen lebenden Patient_innen von 64,4 % in den Jahren 1998–2001 auf 59,2 % in den Jahren 2009–2012 sank (p = .052).
Bei einer detaillierteren Analyse, in die auch die Art der vorherigen Beschäftigung einbezogen wurde, war bei Patient_innen, die vorher nach eigenen Angaben selbstständig gewesen waren oder im Betrieb von Verwandten gearbeitet hatten, die Wahrscheinlichkeit, bei Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit arbeitslos zu sein, gegenüber jenen erhöht, die zuvor als Manager_innen, als Beschäftigte im mittleren oder unteren Segment oder als Angestellte gearbeitet hatten (p < .001).
Veränderungen bei der Arbeitsfähigkeit und der Haupteinkommensquelle über einen Fünfjahreszeitraum
Daten zur Arbeitsfähigkeit fünf Jahre nach Beginn der cART lagen für 3.029 (52,2 %) der 5.800 in die Studie aufgenommenen Patient_innen vor. Davon wurden 2.187 (72,2 %) als voll arbeitsfähig eingestuft, 392 (12,9 %) als teilweise arbeitsfähig und 450 (14,9 %) als nicht arbeitsfähig. Von den 2.264 Individuen, die nach einem Jahr cART arbeitsfähig waren, waren nach fünf Jahren noch 1.980 (87,5 %) arbeitsfähig, und nur bei 131 (5,8 %) war eine neue Einschränkung aufgetreten, die ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte. Nur 71 % der nach fünf Jahren Therapie voll arbeitsfähigen Individuen gaben an, sich von ihrem Arbeitseinkommen zu finanzieren. Von den nach fünf Jahren arbeitsunfähigen Personen gaben 89,1 % an, von Versicherungsleistungen zu leben. Hauptgründe für die fehlenden Daten zur Arbeitsfähigkeit nach fünf Jahren Therapie bei 2.771 Individuen waren ein zu kurzer Beobachtungszeitraum bei Patient_innen, die ihre cART in der letzten Studienphase (zwischen 2006 und 2012) begannen (n = 1.892; 68,3 %), Nichterscheinen zu Nachfolgeuntersuchungen bei 574 (20,7 %) und Tod bei 17 (6,1 %) der Patient_innen.
DISKUSSION
Diese Studie zeigt, dass die Arbeitsfähigkeit von Patient_innen unter cART, also die Fähigkeit, in Vollzeit oder Teilzeit zu arbeiten, sich über die Zeit deutlich verbessert hat. Bis zu 50 % derjenigen Individuen, die zu Beginn ihrer cART arbeitsunfähig waren, konnten nach einem Jahr Behandlung in Vollzeit oder Teilzeit arbeiten, und diese Arbeitsfähigkeit blieb auch nach fünf Jahren Therapie erhalten. Trotzdem hat sich auch in einem Land mit so niedrigen Arbeitslosenraten wie der Schweiz der Anteil der voll arbeitsfähigen HIV-Patient_innen, für die ihr Beruf die Haupteinkommensquelle darstellt, über die Jahre nicht erhöht. Das deutet darauf hin, dass es nach wie vor Barrieren für die Re-Integration von Menschen mit HIV in den Arbeitsmarkt gibt.
Tabelle 2. Prädiktoren für volle Arbeitsfähigkeit nach einem Jahr Behandlung bei Patient_innen, deren Arbeitsfähigkeit zu Beginn der cART bei 0 % lag (n = 947)a
Univariate Analyse | Multivariate Analyse | ||||||
Eigenschaften bei Aufnahme in die Studie | OR | 95 % CI | p-Wert | ORb | 95 % CI | p-Wert | |
Alter, pro 10 Jahre mehr | 0.73 | .62–.87 | <.001 | 0.55 | .42–.72 | <.001 | |
Weibliches Geschlecht | 0.85 | 0.64–1.13 | .263 | 0.74 | .45–1.22 | .238 | |
Nichtweiße Ethnizität | 3.12 | 2.23–4.37 | <.001 | 2.04 | 1.20–3.44 | .008 | |
Bildungsgrad | |||||||
niedrig | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
mittel | 1.02 | .75–1.40 | .881 | 2.01 | 1.22–3.33 | .007 | |
hoch | 2.56 | 1.70–3.83 | <.001 | 4.03 | 2.47–7.48 | <.001 | |
Hepatitis-C-Koinfektion | 0.28 | .21–.37 | <.001 | 0.65 | .41–1.05 | .077 | |
Frühere aidsdefinierende Erkrankung | 1.53 | 1.16–2.02 | .003 | 1.59 | .83–1.78 | .213 | |
CD4-Zellzahl zu Beginn | |||||||
< 100 | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
100–199 | 1.67 | 1.39–2.02 | <.001 | 0.69 | .40–1.19 | .186 | |
200–349 | 2.04 | 2.02–2.85 | <.001 | 0.55 | .30–1.02 | .058 | |
>350 | 2.43 | 2.02–2.92 | <.001 | 0.52 | .25–1.04 | .064 | |
CD4-Zellzahlen nach einem Jahr | |||||||
< 200 | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
200–349 | 1.97 | 1.62–2.40 | <.001 | 1.41 | .86–2.32 | .176 | |
350–499 | 3.33 | 2.70–4.11 | <.001 | 1.11 | .60–2.08 | .741 | |
> 500 | 3.84 | 3.16–4.67 | <.001 | 2.53 | 1.27–5.04 | .008 | |
HIV-RNA > 100.000 Kopien/ml zu Beginn | 1.53 | 1.15–2.02 | .003 | 1.31 | .89–1.92 | .170 | |
HIV-RNA < 50 Kopien/ml nach einem Jahr | 2.17 | 1.54–3.07 | <.001 | 2.06 | 1.20–3.54 | .002 | |
Aktiver injizierender Drogengebrauch | 0.21 | .13–.36 | <.001 | 0.63 | .29–1.36 | .239 | |
Substitutionsprogramm | 0.18 | .12–.27 | <.001 | 0.41 | .23–.73 | .003 | |
Psychiatrische Störung | 0.44 | .30–.66 | <.001 | 0.24 | .13–.47 | <.001 | |
cART | |||||||
PI | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
NNRTI | 1.10 | .81–1.48 | .540 | 0.78 | .54–1.15 | .217 | |
Andere | 0.62 | .34–1.12 | .114 | 0.63 | .30–1.35 | .237 | |
Zeitraum | |||||||
1998–2000 | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
2001–2005 | 1.53 | 1.08–2.16 | .017 | 1.57 | .98–2.51 | .059 | |
2006–2012 | 2.02 | 1.44–2.82 | <.001 | 2.11 | 1.30–3.44 | .003 |
Abkürzungen:
Aids: erworbenes Immunschwächesyndrom; cART: antiretrovirale Kombinationstherapie; CI: Konfidenzintervall; HIV: Humanes Immunschwäche-Virus; NNRTI: Nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren; OR: Odds-Ratio; PI: geboosterte Protease-Inhibitoren; Ref.: Referenz; RNA: Ribonukleinsäure
a Uni- und multivariate ORs, logistische Regression
b bereinigte Odds-Ratio für alle aufgeführten Variablen
Unsere Ergebnisse stellen eine erhebliche Erweiterung der Erkenntnisse aus früheren Studien dar, die sowohl in Ländern mit hohen als auch mit mittleren Einkommen steigende Beschäftigungsraten bei HIV-infizierten Patient_innen unter cART ergeben hatten [3, 7, 8, 14, 15, 17, 18], und zwar vor allem als Folge des verbesserten Zugangs zur cART und einer besseren Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit neuerer antiretroviraler Medikamente. Auch in unserer Studie zeigte sich eine substanzielle Verbesserung der Arbeitsfähigkeit bei HIV-infizierten Individuen, die eine cART begonnen hatten. Ebenso zeigte sich ein paralleler Anstieg des Anteils der Patient_innen, die sich vor allem über ihr Arbeitseinkommen finanzierten, und ein Absinken des Anteils der Individuen, die von Erwerbsunfähigkeitsleistungen lebten.
Auch in der Gruppe der bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähigen Individuen verbesserte sich die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit über die Zeit beträchtlich. Trotz dieser Verbesserung der Arbeitsfähigkeit der Patient_innen stieg die Beschäftigungsrate bei ihnen aber nicht an; die Anteile der Individuen, die von ihrem Arbeitseinkommen bzw. von Erwerbsunfähigkeitsleistungen lebten, blieben stabil. Diese Ergebnisse passen zu den Ergebnissen neuerer Studien, die auf niedrigere Beschäftigungsraten bei Menschen mit HIV im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hindeuten [14, 19–23]. Die Diskrepanz zwischen der Fähigkeit der Patient_innen, in Vollzeit zu arbeiten, und ihren tatsächlichen Beschäftigungsraten – in einem Land mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenquote – könnte auf Barierren für die Re-Integration von Menschen mit HIV in den Arbeitsmarkt hindeuten. Dazu können Bedenken hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Gesundheitszustandes, der mögliche Verlust von Leistungen, veraltete Qualifikationen, Nebenwirkungen der cART und Diskriminierung gehören [7–11]. Darüber hinaus könnten sich auch Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Leber-Erkrankungen und neurokognitive Beeinträchtigungen negativ auf die Beschäftigungsraten in einer älter werdenden HIV-Population auswirken [14, 15, 24].
In unserer Studie wurde die Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit vor allem davon beeinflusst, ob die Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze gelang, sowie von psychiatrischen Begleiterkrankungen, aktuellem intravenösem Drogengebrauch und psychosozialen Faktoren. Die psychische Gesundheit ist ein bekannter Schlüsselfaktor für beschäftigungsbezogene Ergebnisse und beeinflusst auch die neurokognitive Leistung und die cART-Adhärenz [5, 23, 25, 26]. Unter den psychosozialen Faktoren war ein höherer Bildungsgrad stark assoziiert mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, wieder arbeiten zu können. Interessant zu beobachten war, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr ins Erwerbsleben bei besser ausgebildeten Individuen mit der Zeit stieg, was auch in anderen Studien beobachtet wurde [5, 14, 27–30], möglicherweise aufgrund verbesserter Beschäftigungsmöglichkeiten und höherer beruflicher Positionen. In dieser Hinsicht hatten Personen, die zuvor als Manager_innen oder in der mittleren/unteren Ebene beschäftigt waren, bessere Chancen, nach Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit ins Arbeitsleben zurückzukehren.
Tabelle 3. Prädiktoren für die Entwicklung einer Arbeitsunfähigkeit (0 % Arbeitsfähigkeit) im ersten Jahr der cART bei Patient_innen, die zu Beginn der Therapie zu 100 % arbeitsfähig waren (n = 4.382)a
Univariate Analyse | Multivariate Analyse | ||||||
Eigenschaften bei Aufnahme in die Studie | OR | 95 % CI | p-Wert | ORb | 95 % CI | p-Wert | |
Alter, pro 10 Jahre mehr | 1.17 | 1.05–1.29 | .004 | 1.37 | 1.20–1.58 | <.001 | |
Weibliches Geschlecht | 1.44 | 1.17–1.78 | <.001 | 1.74 | 1.32–2.29 | <.001 | |
Nichtweiße Ethnizität | 0.73 | .58–.92 | .008 | 0.66 | .48–.91 | .012 | |
Bildungsgrad | |||||||
niedrig | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
mittel | 0.75 | .60–.94 | .013 | 0.69 | .51–.93 | .015 | |
hoch | 0.40 | .30–.52 | <.001 | 0.46 | .32–.66 | <.001 | |
Hepatitis-C-Koinfektion | 2.83 | 2.29–3.49 | <.001 | 1.76 | 1.36–2.29 | <.001 | |
Hepatitis-B- Koinfektion | 1.59 | 1.09–2.32 | .017 | 1.59 | 1.04–2.46 | .034 | |
Frühere aidsdefinierende Erkrankung | 2.01 | 1.57–2.58 | <.001 | 1.58 | 1.16–2.17 | .004 | |
CD4-Zellzahl zu Beginn | |||||||
< 100 | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
100–199 | 0.40 | .65–.75 | .002 | 0.52 | .33–.80 | <.001 | |
200–349 | 0.37 | .56–.94 | .003 | 0.66 | .42–1.04 | .076 | |
> 350 | 0.39 | .13–.54 | <.001 | 0.69 | .41–1.17 | .172 | |
CD4-Zellzahl nach einem Jahr | |||||||
< 200 | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
200–349 | 0.50 | .36–.68 | <.001 | 0.81 | .54–1.20 | .289 | |
350–499 | 0.28 | .20–.40 | <.001 | 0.54 | .33–1.34 | .163 | |
>500 | 0.31 | .23–.42 | <.001 | 0.60 | .36–1.08 | .058 | |
CD4-Zellzahl zu Beginn der cART, pro 100 Zellen/µl mehr | 0.90 | .84–.97 | .004 | 1.00 | .90–1.10 | .951 | |
CD4-Zellzahl nach einem Jahr, pro 100 Zellen/µl mehr | 0.88 | .83–.94 | <.001 | 0.92 | .85–.99 | .040 | |
HIV-RNA > 100.000 Kopien/ml zu Beginn der cART | 1.18 | .96–1.44 | .119 | 1.11 | .86–1.44 | .412 | |
HIV-RNA < 50 Kopien/ml nach einem Jahr | 0.50 | .39–.63 | <.001 | 0.63 | .47–.83 | .001 | |
Aktiver injizierender Drogenkonsum | 8.39 | .32–13.2 | <.001 | 4.15 | 2.02–8.53 | <.001 | |
Substitutionsprogramm | 2.15 | 1.57–2.95 | <.001 | 1.15 | .71–1.89 | .564 | |
Psychiatrische Störung | 2.59 | 1.86–3.60 | <.001 | 2.70 | 1.78–4.11 | <.001 | |
cART | |||||||
PI | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
NNRTI | 0.81 | .65–1.00 | .049 | 1.05 | .82–1.36 | .684 | |
Andere | 1.37 | .96–1.94 | .083 | 1.28 | .83–1.96 | .263 | |
Zeitraum | |||||||
1998–2000 | Ref. | – | – | Ref. | – | – | |
2001–2005 | 0.55 | .43–.71 | <.001 | 0.48 | .35–.66 | <.001 | |
2006–2012 | 0.31 | .25–.40 | <.001 | 0.41 | .31–.55 | <.001 |
Abkürzungen:
Aids: erworbenes Immunschwächesyndrom; cART: antiretrovirale Kombinationstherapie; CI: Konfidenzintervall; HIV: Humanes Immunschwäche-Virus; NNRTI: Nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren; OR: Odds-Ratio; PI: geboosterte Protease-Inhibitoren; Ref.: Referenz; RNA: Ribonukleinsäure
a Uni- und multivariate ORs, logistische Regression
b bereinigte Odds-Ratio für alle aufgeführten Variablen
In unserer Studie war nichtweiße Ethnizität mit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nach Beginn einer cART assoziiert. Da es sich bei den meisten nichtweißen Personen in der Schweiz um Immigrant_innen aus Subsahara-Afrika handelt, könnten sich in der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit Verbesserungen des Gesundheitszustands nach Behandlung opportunistischer Infektionen wie der Tuberkulose widerspiegeln, die nicht notwendigerweise mit Folgeerkrankungen verknüpft ist, welche zu langfristiger Erwerbsunfähigkeit führen. Außerdem könnte sich darin ein „Healthy-Immigrant-Effekt“ widerspiegeln, da es sich bei Migrant_innen in der Regel eher um gesunde jüngere Personen ohne Begleiterkrankungen handelt [31]. Allerdings gaben nur wenige Migrant_innen an, sich über ein Arbeitseinkommen zu finanzieren – wahrscheinlich deshalb, weil man eine Arbeitserlaubnis in der Schweiz nur nach vorheriger Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bekommt.
Abbildung 2. Volle Arbeitsfähigkeit und Haupteinkommensquelle im Verlauf; (A) zu Beginn der Studie (n = 5.800), (B) nach einem Jahr cART bei Patient_innen, die bei Aufnahme in die Studie arbeitsunfähig waren (n = 947).
Achsen: Anteil der Patientenpopulation in Prozent; Jahre
Voll arbeitsfähig, Job als Haupteinkommensquelle, Versicherungsleistungen als Haupteinkommensquelle
Bei Patient_innen, die bei Aufnahme in die Studie voll arbeitsfähig waren, erhöhte die cART die Wahrscheinlichkeit, ein Beschäftigungsverhältnis zu behalten [5, 14, 15, 29]. Faktoren für eine neu einschränkende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit waren entweder HIV-bezogen – nämlich eine frühere aidsdefinierende Erkrankung oder das Nichterreichen einer Viruslast unter der Nachweisgrenze – oder mit spezifischen Komorbiditäten wie psychiatrischen Störungen, aktuellem intravenösem Drogengebrauch oder Koinfektionen mit Hepatitis B und Hepatitis C assoziiert. Vorangegangene Studien haben gezeigt, dass nicht durch HIV verursachte Komorbiditäten bei HIV-infizierten Individuen mit einem höheren Risiko für Krankenhausaufenthalte und Tod sowie für den Verlust einer Beschäftigung verbunden sind [5, 14, 15, 32]. Die Hepatitis-C-Koinfektion war in vielen Studien mit Arbeitslosigkeit assoziiert, vor allem aufgrund ihrer Symptome wie z. B. Müdigkeit, die wahrscheinlich zu einer geringeren Produktivität und einem höheren Risiko für den Arbeitsplatzverlust bei diesen Patient_innen führen [33].
Diese Studie hat einige Grenzen und Beschränkungen. Erstens sind Verzerrungen aufgrund eines „information bias“ möglich, denn die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit einer Person beruht auf der Wahrnehmung der Ärzt_innen, und diese Wahrnehmung wiederum ist abhängig von der ärztlichen Erfahrung wie auch von Komorbiditäten sowie den Berufen der Patient_innen. Dennoch ließ sich eine sehr gute Korrelation zwischen dem validierten Instrument „Work Ability Index“ und der Ein-Item-Frage „aktuelle Arbeitsfähigkeit im Vergleich mit dem Lebenszeit-Bestwert“ zeigen, die der ärztlichen Einstufung in der SHCS nahekommt [34]. Außerdem korrelierte die medizinische Einschätzung der Arbeitsfähigkeit sehr gut mit der Haupteinkommensquelle. Zweitens könnte es eine Stichprobenverzerrung gegeben haben, denn gesunde Individuen, die weniger anfällig sind, zu Folgeuntersuchungen nicht zu erscheinen, sind möglicherweise überrepräsentiert, was zu einer Überschätzung der Arbeitsfähigkeit von Menschen mit HIV führen könnte. Hier spielt womöglich insbesondere der von uns erwähnte „Healthy-Immigrant-Effekt“ bei Menschen nichtweißer Ethnizität eine Rolle, die in der Regel jünger und gesünder (ohne Komorbiditäten) sind.
Unsere Studie hat aber auch mehrere Stärken. Unseres Wissens ist sie die größte und umfassendste Studie zu den Auswirkungen der cART auf die Arbeitsfähigkeit HIV-infizierter Individuen über einen langen Beobachtungszeitraum, die Zeittrends und die Haupteinkommensquelle vergleicht. Noch wichtiger ist, dass die Studienpopulation hohe Anteile von Frauen, aktiven Drogengebraucher_innen, Patient_innen in einem fortgeschrittenen klinischen Stadium der HIV-Erkrankung sowie von Patient_innen mit Begleiterkrankungen aufwies und damit die Lebensrealität von Menschen mit HIV in vielen Ländern abbildet. Die bislang verfügbare Literatur basiert auf Beschäftigungsraten HIV-infizierter Erwachsener, nicht auf der medizinischen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit. Daten zur Beschäftigung spiegeln aber aus verschiedenen Gründen nicht die tatsächliche Arbeitsfähigkeit wider: Einige Patient_innen arbeiten trotz einer Einschränkung weiter, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren, andere finden keine Stelle, haben keine Arbeitserlaubnis oder entscheiden sich aufgrund familiärer Verpflichtungen, nicht zu arbeiten. Die Situation in der Schweiz könnte für die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit besonders geeignet sein, da der Arbeitsmarkt von der internationalen Finanzkrise kaum betroffen war und die Arbeitslosenquoten sehr niedrig geblieben sind (zwischen 3,5 % und 4,2 % im untersuchten Zeitraum) [35], sodass die Arbeitslosenquoten den Beschäftigungsstatus HIV-infizierter Individuen wahrscheinlich nicht beeinflusst haben.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die Arbeitsfähigkeit HIV-infizierter Individuen unter einer cART hat sich über die Jahre verbessert. Die Arbeitsfähigkeit in dieser Population hängt vor allem vom Erreichen einer Viruslast unter der Nachweisgrenze und förderlichen psychosozialen Faktoren sowie der Abwesenheit spezifischer Komorbiditäten ab. Der Anteil der Individuen, die ein Arbeitseinkommen als Haupteinkommensquelle angaben, ist ebenfalls gestiegen. Unsere Studie spiegelt die bessere Prognose für Menschen mit HIV unter einer cART wider. Künftige Studien müssen klären, ob spezifische Maßnahmen wie das Angebot modifizierter, das heißt angepasster Arbeitsbedingungen für kranke Beschäftigte, Trainings für Vorgesetzte und Kommunikation zwischen Arbeitgeber_innen und Beschäftigten des Gesundheitswesens die Re-Integration unterstützen und die Beschäftigungsraten HIV-infizierter Individuen unter cART erhöhen könnten.
Danksagung
- B. hatte uneingeschränkten Zugang zu allen Daten der Studie und übernimmt die Verantwortung für die Datenintegrität und die Genauigkeit der Datenanalyse.
Financial support. This study was funded in the framework of the Swiss HIV Cohort Study (SHCS), supported by the Swiss National Science Founda- tion (SHCS project 708). The members of the Swiss HIV Cohort Study (J. Barth, M. Battegay, E. Bernasconi, J. Böni, H. C. Bucher, P. Bürgisser, C. Burton-Jeangros, A. Calmy, M. Cavassini, R. Dubs, M. Egger, L. Elzi, J. Fehr, M. Fischer, M. Flepp, H. Furrer [Chairman of the Clinical and Laboratory Committee], C. A. Fux, M. Gorgievski, H. Günthard [President of the SHCS], B. Hasse, H. H. Hirsch, B. Hirschel, I. Hösli, C. Kahlert, L. Kaiser, O. Keiser, C. Kind, T. Klimkait, H. Kovari, B. Ledergerber, G. Martinetti, B. Martinez de Tejada, N. Müller, D. Nadal, G. Pantaleo, A. Rauch [Chairman of the Scientific Board], S. Regenass, M. Rickenbach [Head of Data Center], C. Rudin [Chairman of the Mother & Child Substudy], P. Schmid, D. Schultze, F. Schöni-Affolter, J. Schüpbach, R. Speck, P. Taffé, P. Tarr, Telenti, A. Trkola, P. Vernazza, V. von Wyl, R. Weber, S. Yerly, L. Elzi, and A. Conen) have been supported by an unrestricted grant from the Stiftung Forschung Infektionskrankheiten (project no. 39).
Potential conflicts of interest. L. E. has received travel grants from Abbvie, Bristol-Myers Squibb, Janssen-Tibotec, Gilead Sciences, ViiV Healthcare. A. C. received travel grants from Merck Sharp & Dohme, Gilead Sciences, Bristol-Myers Squibb, and ViiV Healthcare. J. F. has received travel, educational, and research grants from Abbvie, Boehringer-Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Gilead Sciences, Merck Sharp & Dohme, Janssen-Tibotec, and ViiV Healthcare. M. C. has received travel grants from Abbvie, Boehringer-Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, and Gilead Sciences. A. C. has received travel grants from Boehringer-Ingelheim, Gilead Sciences, and educational grants for her institution from Abbvie, Gilead Sciences, Janssen- Tibotec, ViiV Healthcare, and Merck Sharp & Dohme. E. B. has received travel grants or speakers’ honoraria from Abbvie, Bristol-Myers Squibb, Gilead, Janssen-Tibotec, Merck Sharp & Dohme, Pfizer, and ViiV Healthcare. The institution of H. F. has received consultancy honoraria and grants from Boehringer-Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Gilead, Merck Sharp & Dohme, ViiV Healthcare, and Abbvie. M. B. has received research grants or speakers’ honoraria from Abbvie, Boehringer-Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Gilead, Merck Sharp & Dohme, Janssen-Tibotec, and ViiV Healthcare. All authors have submitted the ICMJE Form for Disclosure of Potential Conflicts of Interest. Conflicts that the editors consider relevant to the content of the manuscript have been disclosed.
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Übersetzung: Literaturtest
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